6. "Was ist los?"

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Alles war still, die Grillen, das Haus, die Geister. Mit dem Rücken an die Wand gepresst stand sie dort, traute sich nicht zu atmen. Sie hatte Angst, jeder ihrer Atemzüge wäre verräterisch laut, führte das Böse direkt zu ihr.

Sie traute sich nicht, den kleinen Zeh zu krümmen. Sie hatte Angst, man könne diese Bewegung sehen und hören.

Die Stille war unheimlich. Wie versteinert starrte sie die geschlossene Tür an. Das grelle Mondlicht war die einzige Lichtquelle, wodurch der runde Türknauf gefährlich glitzerte, wie ein visuelle Drohung.

Unvermittelt begannen ihre Lippen zu beben, ihr Körper zu zittern und Tränen ihre Wangen entlangzurinnen. Die Angst übernahm die Kontrolle und terrorisierte sie bis aufs Äußere. Wann hatte ihr Leben diese drastische Wende genommen und war von einem kitschigen Erfolgsfilm zu ihrem ganz persönlichen Horror geworden?

Die Frage schien so bedeutsam und doch war die Antwort simpel: Es begann alles bei ihrer ersten gemeinsamen Begegnung. Wenn sie sich von ihrer besten Freundin damals nicht hätte zum Feiern überreden lassen, dann wäre ihr Leben vielleicht langweilig, aber nicht lebensgefährdet.

Die Hand fest um den Griff des Küchenmessers geschlungen presste sie die Hand auf den Mund, als sie den Schluchzer in ihrer Kehle aufsteigen spürte. Sie durfte keinen Mucks von sich geben, sonst war alles vorbei. Sie durfte keine Schwäche zeigen, nicht weinen, musste sich konzentrieren.

Es dauerte ein paar Sekunden, ehe sie wieder zur Ruhe gekommen war, soweit es eben möglichen war, doch sie konnte wieder klarer sehen.

Sie würde nicht heute Nacht sterben, vor allem nicht durch ihn, das schwor sie auf ihr Leben. Sie würde kämpfen bis zum letzten Atemzug, denn sie besaß immer noch ihren Stolz und ihre Würde.

Plötzlich drehte sich der Türknauf, knarzend und quälend langsam...

In dem Moment tippte mir jemand sanft auf die Schulter. Mental hatte ich mich komplett in der Geschichte befunden, weshalb ich mit einem nicht gerade leisen Aufschrei meine Mitmenschen um mich herum ebenso in Schrecken versetzte, wie die junge Stewardess es mit mir getan hatte.

„Ich bitte vielmals um Entschuldigung", schnappte diese nach Luft und versuchte, ihre Fassung wieder zu erlangen. Dabei sah sie sich nervös um und strich sich Rock und Bluse glatt.

Ich blinzelte verwirrt und brauchte einen Moment, bis ich realisierte, wo ich mich eigentlich befand – und zwar nicht in dem geerbten Haus der Protagonistin, sondern im Flugzeug.

„Ich wollte Sie wirklich nicht erschrecken, aber wir setzen gleich zur Landung an", erklärte die hübsche Blondine und lächelte mich höflich an. „Ich muss Sie daher bitten, ihren Tisch wieder einzuklappen und sicherzustellen, dass ihr Sitz gerade ist und Sie angeschnallt sind."

„Ja, natürlich, danke, äh, Entschuldigung, ich meine...", stammelte ich immer noch etwas konfus vor mich ihn. Die ganze Situation war mir so unangenehm! Ich hatte das Gefühl, dass mich alle Passagiere anstarrten, einige neugierig und andere mit gerümpfter Nase, aber ich traute mich nicht, mich umzusehen. Wenigstens flog kein dummer Spruch von Henry durch das Abteil. Vielleicht hatte ich Glück und er hatte nichts mitgekriegt.

Hoffentlich war ich jetzt nicht rot im Gesicht, die Wangen waren auf jeden Fall verräterisch heiß.

Rasch klappte ich den Tisch nach oben und lächelte die Stewardess verlegen an. Da ich mich weder abgeschnallt, noch den Sitz verstellt hatte, fuhr sie mit der Kontrolle der anderen Sitzplätze fort.

Vorsichtig drehte ich den Kopf – und blickte einem belustigt schmunzelnden Typen entgegen. Sofort richtete ich meinen Blick wieder auf den Sitz vor mir. Bevor ich noch einer anderen amüsierten Person ins Gesicht schauen musste, drehte ich die Musik auf und verharrte in dieser Position, bis das Flugzeug unter dem undeutlichen Getuschel des Piloten zum Stehen kam.

Alle Wege führen nach RomWhere stories live. Discover now