42. Pizza a la Henry

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Wenn ich nicht schon Hals über Kopf in Henry verliebt gewesen wäre, so wäre es spätestens bei seiner Küchenperformance um mich geschehen. Er brauchte kein Rezept, um alle Zutaten zusammenzusuchen und in den passenden Mengen in die Rührschüssel zu geben und er brauchte auch kein YouTube-Tutorial, um sich die beste Technik zum Kneten des Teigs anzuschauen. Wie oft er das wohl schon gemacht hatte? Und gab es bei ihm zu Hause oft selbstgemachte Henry-Pizza?

Seine Küchenhandgriffe wirkten so professionell, dass ich schon beim Abwiegen des Mehls fest davon überzeugt war, dass seine Pizza richtig lecker al la Italia werden würde. Währenddessen referierte er Tipps über die Herstellung des Teigs, denn damit konnte man scheinbar viel und schnell etwas falsch machen. Vor allem käme es auf eine richtige, korrekt ausgeführte Komposition der Zutaten und die richtige Knettechnik an. Denn wenn man zu fahrig mit diesen Komponenten umging, konnte der Teig reißen oder überall kleben bleiben. Was das betraf, hatte er mir mit einem frechen Grinsen angeboten, mir das Kneten hautnah beizubringen, aber ich hatte unter hochrotem Kopf abgelehnt. Abgesehen davon, dass der Kommentar bloß einer seiner üblichen doppeldeutigen Scherze war, konnte ich nach dem neusten Statusupdate meines Hormonhaushaltes nicht garantieren, dass ich es nicht trotzdem genoss. Allein der Gedanke an seine Brust, die sich warm an meinen Rücken schmiegte, seine Arme, die sich um mich legten, um seine rauen Hände auf meine zu legen, und vor allem sein Atem, der über mein Öhrchen und meine Wange strich, versetzte meinen Puls in einen vibrierenden Rhythmus. Und da wir hier Gäste waren, musste jegliche weitere Provokation nun wirklich nicht sein. Ich wollte ihm stattdessen einen spöttischen Spruch reindrücken, aber mein Gehirn befand sich diesbezüglich im Leerlauf.

Nachdem Henry den fast fertigen Teig zum Ruhen in den Kühlschrank gestellt hatte, begann er mit der Tomatensauce, während ich die Ehrenaufgabe erteilt bekam, den Käse zu reiben und die großen Mozzarellakugeln in Scheiben zu schneiden. Da ich diese Aufgabe mit Schnelligkeit und Finesse meisterte, trug Henry mir anschließend auf, diverse Zutaten für den Pizzabelag vorzubereiten. „Dann lass mal deinen kulinarischen Sinn auf die Probe stellen. Das heutige Motto: Bella Italia!"

Mit diesen Worten leitete er eine wilde Diskussion über die Prinzipien von Pizzabelag ein, denn als ich fragte, wo die Belmontes die Champignons lagerten, verzog er theatralisch das Gesicht und heuchelte einen Würgereiz vor. Jetzt konnte ich mir den kleinen, bockigen Henry sehr gut vorstellen, wie er mit Pilzen dazu gezwungen wurde, Marielas Mutter beim Pizzabacken zu helfen.

„Pilze sind doch richtig lecker!", protestierte ich. „Vor allem auf Pizza!"

„Igitt, nein! Das ist mit Abstand das fast widerlichste Lebensmittel, mit dem man eine Pizza ruinieren kann." Um seinen Ekel zu unterstreichen, schüttelte er sich mit dem ganzen Körper.

Meine Augenbrauen wanderten in die Höhe. „Fast das Widerlichste? Was ist denn deiner Meinung nach das allerwiderlichste über allem?"

Seine Augen wurden kugelrund und so groß, dass ich beinahe befürchtete, sie fielen ihm gleich aus den Augenhöhlen in die Tomatensauce. Ich wage zu behaupten, dass ich in seinen Augen eine überaus dumme Frage gestellt hatte.

„Das fragst du noch?"

Ratlos zuckte ich mit den Schultern. „Was weiß ich, womit sich deine Geschmacksknopsen bekriegen. Du magst schließlich auch keine Pilze."

„Es macht mir ein wenig Angst, dass dir nicht logisch erscheint, eine ganz bestimmte Zutat als verboten einzustufen wie jeder andere auch, der etwas von guten Pizzen versteht." Er pausierte wieder, um mir noch einen Moment zum Überlegen zu geben. Ich fühlte mich, als wäre dies meine letzte Chance, mich zu beweisen und aus irgendeinem Grund überkam mich das gleiche Gefühl von Beklommenheit, wenn der Lehrer in der mündlichen Prüfung ausgerechnet die Frage stellte, auf die ich absolut nicht vorbereitet war und das auch nicht kaschieren konnte. Im Gegensatz zu so einer Prüfung wurde mir bei Henrys durchdringlichem Blick plötzlich klar, was er wollte. Dass mir das nicht sofort eingefallen war, wo er doch schon in jungen Jahren dem italienischen Einfluss ausgesetzt gewesen war, war durchaus wenig geistreich.

Alle Wege führen nach RomWhere stories live. Discover now