21. Hippie-Ya-Yeah

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Auf dem Campingplatz hatten wir eine eigene „Nische" mit Picknickmöbeln und einer Feuerschale, die Callum auch sogleich für ein kleines Feuer beschlagnahmte, während Henry und ich das orange-rote Zweipersonenzelt aufbauten.

Auf der Fahrt hierher hatte das Hippie-Paar etwas über sich erzählt, sodass Henry und ich einfach nur zuhören brauchten. Beide übten künstlerische Berufe aus: Grace entwarf und baute Bühnen- und Szenenbilder für Theater, Film und Fernsehen, Callum kreierte Illustrationen und Karikaturen bei Verlagen und Zeitschriften und verdiente sich auch mit Acrylmalerei was dazu. Eine feste Stelle hatten sie nicht, sie waren freiberuflich und arbeiteten stellenweise an mehreren Projekten gleichzeitig, manchmal auch mit Freunden aus dem gleichen Berufsfeld zusammen. Sie liebten es, selbst entscheiden zu können, welches Projekt sie verwirklichen wollten und genossen den Vorzug, die Arbeitsstelle wechseln und neue Leute kennenlernen zu können. Ihre Reiselust kam manchmal dabei auch auf ihre kosten, je nachdem wohin die nächsten Projekte sie führten. Ab und zu gab Callum auch Malkurse oder Crash-Kurse an der Oxford University und Grace half bei Theater-AGs in Schulen, Kindergärten und Sozialen Einrichtungen aus. Ihr letztes Engagement hatte sie an einer High School in Taunton gehabt, wo eine elfte Klasse eine moderne Version von Jane Austens Stolz und Vorurteil aufgeführt und sich für ein eher abstraktes Bühnenbild entschieden hatte.

Wie Álvaro liebten Grace und Callum ihren Beruf, und auch wenn es manchmal etwas schwer oder hart war, bereuten sie ihren Berufsweg nicht – das konnte man deutlich hören. Henry und ich hörten ihnen gerne zu, vor allem wenn Callum zwischendurch einen witzigen Kommentar zu Graces Redeschwall einwarf. Einmal unterbrachen sie ihren Bericht, weil in diesem Moment ihr Lieblingslied von Queen im Radio gespielt wurde, das sie unbedingt mitsingen wollten – Don't stop me now. Grace hatte eine unheimlich voluminöse Stimme, mit der sie ihre eigene Performance aus dem Lied machte, ohne dass es zu dem Original disharmonierte. Als ich ihr gerade sagen wollte, dass ich ihren Gesang sehr schön fand, fuhren wir auf das Campingplatzgelände, weshalb mein Kompliment in der Unterhaltung mit dem Campingplatzbesitzer unterging.

Henry stellte sich erstaunt geschickt beim Zeltaufbau an, was ich ihm sogleich auch scherzhaft mitteilte.

„Dafür, dass du nie zelten gehst, scheinst du aber genau zu wissen, wie du das Zelt zusammenbauen musst."

„Ich habe mir sagen lassen, dass ich nicht nur höchst intelligent bin, sondern auch sehr geschickte Hände habe." Er konnte es einfach nicht lassen, oder?

„Das hat man letztes Jahr beim Weihnachtsfrühstück gesehen, als du beweisen wolltest, dass du mehrere Sachen auf einmal tragen kannst, um nicht zweimal laufen zu müssen", erwiderte ich trocken und schob einen Hering in den Boden, um die erste Ecke des Zeltes zu befestigen. Henry stoppte beim Einfädeln der Stange.

„Ich bin über eine Tasche gestolpert!", protestierte er.

„Und hast erfolgreich bewiesen, dass du ein verdammt mieser Jongleur bist, als du bei dem Versuch, dein Geschirr und die Marmeladen vor einem Aufprall zu bewahren, kläglich gescheitert bist."

„Wenigstens konnte ich dich zum Lachen bringen", konterte er und fuhr mit seiner Arbeit fort. Anschließend zurrte er das Zelt mit zwei Heringen fest.

„Nicht nur mich", murmelte ich und wandte bei der Erinnerung den Kopf ab. Henry hatte es damals zwar nicht gesehen, aber ich hatte als Einzige erst erschrocken die Luft eingesogen und nachfragen wollen, ob alles okay ist und er sich wehgetan hätte, aber da war er auch schon in das Lachen der anderen eingestiegen, war aufgestanden und hatte seine Sachen, von denen nur das Himbeermarmeladenglas kaputt gegangen war, eingesammelt, als hätte er sich nicht gerade blamiert.

Da war mir klar geworden, dass Henry sich schlicht nicht blamieren konnte. Er schämte sich nicht in peinlichen Situationen, stattdessen entschärfte er sie mit einem witzigen Spruch und machte sich bei seinen Mitmenschen mit seiner Nonchalance noch sympathischer. Mein Gesicht dagegen hätte meinen Mitschülern Lust auf Rotwein verpasst und ich hätte mich den Rest des Tages im Hintergrund gehalten, um bloß kein weiters Mal aufzufallen. Das war in der zehnten Klasse gewesen, als gerade unser Klassenverband aufgelöst worden war und ich ihn demnach noch nicht lange kannte.

Alle Wege führen nach RomWhere stories live. Discover now