11. Das Zottelchen

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Dem anstrengenden ersten Tag war es zu verdanken, dass ich meine erste Nacht in Barcelona und mit Henry in einem Bett gut und ausgeschlafen überstanden hatte. Zum Glück schnarchte Henry auch nicht – oder ich hatte einfach so tief und fest geschlafen, dass ich davon nicht wach geworden war, denn das wurde ich erst, als die Dusche im Badezimmer lief. Verschlafen öffnete ich meine Augen und wusste erst nicht, wo ich mich befand. Die Rucksäcke und die leere Betthälfte neben mir erinnerten mich daran, was gestern alles schief gelaufen war.

Stöhnend ließ ich meinen Kopf wieder ins Kissen sinken. Vielleicht sollten wir heute beim Flughafen anrufen und fragen, ob es irgendwelche Neuigkeiten gab.

Da mein Mund etwas trocken war, griff ich nach meiner Wasserflasche. Während ich gierig ein paar Schlucke nahm, überlegte ich, ob wir für heute einen genauen Plan geschmiedet hatten, konnte mich allerdings nur an die Idee „Sightseeing" erinnern. Ich beschloss, schon mal ein paar Sehenswürdigkeiten rauszusuchen, während Henry das Badezimmer blockierte. Somit warf ich die Bettdecke zurück und tippelte zu dem Schreibtisch, auf dem die ganzen Flyer lagen, die wir gestern aus der Hotellobby mitgenommen hatten. Zusammen mit der Karte von der netten Flughafenmitarbeiterin versuchte ich, einen Plan aufzustellen.

„Einen wunderschönen guten Morgen, Zottelchen."

Erschrocken zuckte ich zusammen und wirbelte mit großen Augen zu Henry herum, um ihn gereizt darum zu bitten, sich das nächste Mal nicht anzuschleichen, doch die Worte blieben mir im Hals stecken, als ich ihn nur mit einem Handtuch um die Hüften bekleidet erblickte. Mit einem zweiten Handtuch rubbelte er sich die halblangen Haare trocken. Ein paar Tropfen hatten sich jedoch von den Haaren gelöst und glitten geschmeidig seine glatte Brust entlang Richtung Süden. Henry war zwar nicht besonders muskulös, aber sein Oberkörper war sportlich genug, um als athletisch durchzugehen.

In meinem Kopf tauchte mit einem Mal das Bild einer sehr erotischen Buchszene auf, in der die Protagonistin ihrem Helden lasziv einige Regentropfen von der muskulösen Brust leckte.

Bevor die Szene mir irgendwelche Flausen in den Kopf setzten konnte, schüttelte ich schnell die Erinnerung ab und konzentrierte mich auf den halbnackten Holzkopf vor mir.

„Danke, äh, dir auch einen guten Morgen", stammelte ich und blinzelte ein paar Mal. Die Situation war äußerst merkwürdig, besonders als Henry sich das kleine Handtuch über die Schulter warf und dann seinen Blick ungeniert an mir herunter schweifen ließ. Checkte er mich gerade etwa ab?

„Ich muss schon sagen, mein T-Shirt verleiht dir unheimlich viel Sexappeal", kam der schon erwartete erste dumme Kommentar an diesem Tag und gleich darauf das belustigte Grinsen. Ich verdrehte die Augen und drehte mich zu meinem Rucksack, um mir frische Kleidung zu nehmen. Allerdings konnte ich nicht leugnen, dass ich unauffällig versuchte, das Shirt weiter runterzuziehen, obwohl es alles Wichtige großzügig bedeckte.

„Wenigstens habe ich eines", konterte ich. Zufrieden griff ich nach neuer Unterwäsche, Shorts und einer schulterfreien Bluse. Ein Blick nach draußen, wo die Sonne Barcelona in warmes Licht tauchte, ließ mich vermuten, dass heute ein heißer Spätsommertag werden könnte.

„Bei dieser Frisur auch kein Wunder. Du machst deinem Nachnamen alle Ehre."

Ich warf ihm auf dem Weg zum Badezimmer einen leider nicht tödlich genügenden Blick zu. Sollte er Recht behalten und meine Frisur sah in der Tat aus wie das pure Abbild der Wildnis, war die Mischung aus Zottelfrisur und Todesblick wahrhaftig ein amüsanter Anblick. Bevor ich die Tür hinter mir schloss, hörte ich ihn leise lachen.

Normalerweise war ich nun wirklich kein Morgenmuffel, aber wer reagierte schon positiv auf solchen Spott?

Rasch putzte ich mir die Zähne, entledigte ich mich meiner Schlafkleidung und duschte mich schnell ab, ohne meine Haare waschen zu müssen. Als ich mich dann direkt mit Sonnencreme eincremen wollte, stellte ich fest, dass ich diese im Rucksack gelassen hatte. Von mir selbst genervt wickelte ich mich in das Duschhandtuch, atmete einmal tief durch und verließ das Badezimmer. Betont unbekümmert zwängte ich mich an Henry vorbei, der sich gerade ein T-Shit überzog – leider, äh, Gott sei Dank – und griff nach der Sonnencreme.

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