51. Der eingelöste Gefallen

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Eine Woche war seit der Versöhnung mit Henry vergangen und es war eigentlich nichts Spannendes seither passiert. Wir hatten viel hin und her geschrieben, wobei er sehr viele Sticker verwendete, die er aus den Fotos unserer Reise gebastelt hatte. In der Schule liefen wir uns nicht einfach nur über den Weg und drückten uns wie sonst blöde Sprüche rein, sondern wir trafen uns in den Pausen an unseren Schließfächern, aßen an langen Schultagen in der Mensa zusammen oder schauten uns in der Freistunde die Fotos unserer Reise an.

Lizzy hatte mir direkt am zweiten Tag in ihrem Biounterricht geschrieben, dass Henry und ich das Gesprächsthemanummer Eins waren und sie schon von einigen Leuten mit Fragen zu unserem Beziehungsstatus gelöchert worden war.

„Mein Mund ist aber verschlossen", hatte sie mir in der Pause gesagt und sich imaginär mit einem Schlüssel den Mund verschlossen. „Von mir erfährt niemand etwas! Vor allem die ganzen Kanalratten, die hinter unserem Rücken über uns lästern, können sich die Infos auf dem Schwarzmarkt gegen ihre Seele erkaufen, wenn sie das unbedingt wissen wollen."

Und genau das hatte sie jedem Einzelnen direkt ins Gesicht gesagt, nur etwas freundlicher, hatte sie mir versichert. Außerdem sollten sie mich selbst fragen, aber bisher hatte sich doch niemand getraut.

Allerdings gab es eine Person, die ein ganz besonderes Interesse an dem Thema hatte oder vielmehr an Henrys Beziehungsstatus. Den giftigen Blicken nach zu urteilen, die Melissa mir bei jeder Begegnung zuwarf, sprachen Bände, dass sie nichts so sehr verabscheute als den Gedanken, zwischen mir und Henry wäre wirklich was passiert. Als ich schon dachte, sie hätte sich schon mit dem Thema abgefunden, gab sie sich in der Umkleide vor dem Sportunterrichtsbeginn einen Ruck und sprach mich direkt an.

„Hey, Ember", sagte sie und ihr Lächeln wirkte so gezwungen, als hätte sie es einmal zu heiß gewaschen. Ob aus Abneigung oder einfach nur Unsicherheit konnte ich leider nicht sagen.

„Hi", grüßte ich höflich zurück, auch wenn ich jetzt schon genervt von ihr war. Wollte sie mir wieder unter die Nase reiben, wie toll sie war und was sie alles besser konnte oder war als ich? „Was gibt's?"

„Ach, ich wollte mich nur mal direkt bei dir erkundigen, was zwischen dir und Henry auf eurer kleinen Reise so passiert ist", begann sie unschuldig und bemühte sich um eine lässige Haltung, aber das gezwungene Heben ihrer Mundwinkel verrieten sie. „Man hört ja so viele Leute reden und da habe ich mich gefragt, was an den Gerüchten denn so dran ist. Und wen kann ich da besser fragen, als eine der Betroffenen selbst?" Sie zwinkerte mir zu.

Dass sie auf Biegen und Brechen locker mit mir darüber reden und sich ihre Sorge nicht anmerken lassen wollte, zeigte mir, wie sehr sie der Gedanke belastete. Ich konnte in dem Moment nicht auf sie sauer sein wegen ihrer sonst so abschätzigen Art, denn ich empfand Mitleid für sie. Die Arme war seit Längerem in einen Jungen verliebt und offensichtlich erwiderte dieser die Gefühle nicht. Ich wollte mir nicht ausmalen, wie weh die Gewissheit tun musste, dass er nicht nur keine romantischen Gefühle für sie hegte, sondern stattdessen deutliches Interesse an einer anderen zeigte.

Auch wenn ich Melissa eigentlich nicht leiden konnte, so hatte sie dennoch die Wahrheit verdient, auch wenn sie wehtat. Aber je weniger Zeit für Ungewissheit sie noch aushielt, desto besser.

Ich seufzte. „Ich weiß zwar nicht, was genau du an Gerüchten gehört hast", begann ich vorsichtig, „aber Henry und ich sind uns wirklich sehr nahegekommen, weshalb wir offiziell noch kein Paar sind." Zumindest hatten wir nie darüber gesprochen, wann wir es offiziell machen wollten. Dass wir ein Paar waren, war schließlich unumstößlich nach unseren gegenseitigen Liebesgeständnissen. Alles andere wäre albern gewesen.

Melissa schluckte kaum merklich und blinzelte nervös. „Und, ähm, inoffiziell?", hakte sie nach. Am liebsten hätte ich gar nicht darauf geantwortet, weil ich mir fast schon gemein vorkam, ihr das Herz zu brechen, auch wenn ich wusste, dass ich da absolut nichts für konnte. Weder sie noch ich hatten uns ausgesucht, wohin uns unsere Emotionen trugen.

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⏰ Last updated: Feb 12 ⏰

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