49. Home Sweet Home

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Die am Check-In erhaltenen Rückflugtickets horteten unsere Lehrer bis das Boarding anfing – beziehungsweise bekamen wir unsere Tickets erst, als die Stewardess am Schalter unsere Tickets einscannen wollten. Bis dahin zählten sie jede halbe Stunde alle Schüler durch, um sicher zu gehen, dass niemand fehlte. Wollte sich jemand Snacks kaufen oder durch die Flughafenläden bummeln, musste man sich höchstpersönlich bei den beiden abmelden und durfte maximal eine Viertelstunde abwesend sein. Ausnahme war nur der Gang zur Toilette, da musste man sich zwar auch abmelden, aber durch teilweise lange Wartezeiten gaben sie wenigstens kein Zeitlimit an.

Da gerade ich nicht nochmal verloren gehen wollte, blieben lizzy, Rebekka und ich mit ein paar anderen und den Lehrern am Gate sitzen, während vereinzelte Leute entweder auf Toilette gingen oder im Shop gegenüber bummelten. Vom Gate aus konnten Frau Lenz und Herr Kleicker auch einen stetig prüfenden Blick dorthin werfen, um sicherzugehen, dass noch keiner verschwunden war.

Zudem beschloss Frau Lenz, dass unser gesamter Trupp erst boarden würden, wenn alle anderen Passagiere schon in der Fluggastbrücke waren. Dadurch würde das Gate leerer sein und sie konnten nochmal gründlich die Anwesenheit aller Schüler überprüfen.

Diesmal wollten sie zu tausend Prozent sichergehen, dass sie niemanden vergaßen. Es hätte mich allerdings nicht gewundert, wenn wir uns alle an den Händen halten müssten bis wir im Flugzeug saßen, aber so tief saß das Trauma dann wohl Gott sei Dank noch nicht.

Henry war ich gestern Abend nicht begegnet, sondern erst heute früh in der Hotellobby. Allerdings hatte es noch keine Möglichkeit gegeben, mit ihm unter vier Augen zu sprechen. Wir beide waren ständig von unseren Mitschülern umgeben und insgeheim war ich etwas froh, dass sich dadurch das klärende Gespräch etwas hinausgezögert wurde. Immerhin bedeutete dieses Gespräch, dass ich zugeben musste, wie verkorkst und teilweise unrecht ich hatte und wie wir alle wussten, zählte offene Kommunikation über meine Fauxpas nicht gerade zu meinen Stärken.

Außerdem konnte ich mir so nochmal in Ruhe überlegen, wie ich ihn darauf ansprechen konnte und was genau ich sagen sollte. Improvisation kam überhaupt nicht in Betracht, da ging ich ein zu großes Risiko ein, es noch schlimmer zu machen.

Dennoch hatte es allein heute Vormittag ein paar Momente zwischen uns gegeben, bei denen ich das Gefühl gehabt hatte, dass das ausstehende Gespräch eigentlich nur noch eine Formalität werden würde. Beim Frühstück hatten wir hintereinander am Buffet gestanden und ohne verbale Kommunikation hatten wir dem anderen gereicht, was er haben wollte und hatten uns schüchtern angelächelt. Da hatte ich zum ersten Mal die Vermutung, dass wir den gestrigen Abstand zwischen uns einfach gebraucht hatten. Nicht um eine Pause voneinander zu bekommen, sondern um in Ruhe nachzudenken und zu reflektieren.

Aber nicht nur der kleine Moment beim Frühstück diese Wärme zwischen uns gespürt, sondern auf dem Weg in die Hotellobby hatte sich mein Kofferrad in der Aufzugschwelle verfangen und bevor panisch daran rumreißen konnte, war Henry aufgetaucht und hatte mich sanft beiseite gezogen und innerhalb weniger Sekunden meinen Koffer befreit. Sein Duft nach Sandelholz hätte mich beinahe zu einer dankbaren Umarmung verführt, doch ich hatte mich noch im letzten Moment mit dem gleichen zaghaften Lächeln bedankt wie beim Buffet.

Beim Eintreffen des Flughafen-Shuttles waren wir Mädels als einer der ersten in den Bus eingestiegen und Lizzy und ich uns etwas weiter nach vorne gesetzt. Henry hatte wenig später mit einer paar Jungs die hinten Sitze angesteuert und ich hätte schwören können, dass seine Hand absichtlich meine Schulter beim Vorbeigehen berührt hatte. Ich hätte am liebsten danach gegriffen und erst wieder losgelassen, wenn wir in Hannover gelandet wären.

Ich seufzte, als ich mich erleichtert auf meinen Platz im Flugzeug setzte, weil auf der Tafel des Gates immer noch Hannover gestanden hatte, als wir eingestiegen waren. Das hatte ich dreimal kontrolliert: zweimal auf der Tafel und einmal hatte ich es nach dem Ticketscan auf dem Papier überprüft. Dort hatte als Ankunftsziel ebenfalls Hannover gestanden und ich hatte mich etwas beruhigter in die Flugbrücke begeben können.

Alle Wege führen nach RomWhere stories live. Discover now