16. Der Wendler auf Französisch

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In unserer zweiten Nacht in Barcelona war ich so aufgedreht, dass ich trotz anstrengender Sightseeing-Wanderung die ersten eineinhalb Stunden nur wach im Bett lag und unglücklicherweise feststellen musste, dass Henry nachts leise schnarchte. Diese Erkenntnis war mir in der ersten Nacht dank Tiefschlaf erspart geblieben.

Das Schnarchen war jedoch nicht der eigentliche Grund, weshalb ich nicht einschlafen wollte, denn wir würden tatsächlich am nächsten Morgen eigenhändig nach Rom reisen! Irgendwas Gutes musste ich also im Laufe des Tages getan haben, sodass Karma aka die spanische Polizei während unserer Bootstour das Portemonnaie an der Hotelrezeption abgegeben hatte. Das war dann auch die Freikarte für den bevorstehenden Road-Trip gewesen, auch wenn ich nun kein Bargeld mehr besaß.

Überraschenderweise mussten wir keine raffinierten Überzeugungstaktiken bei unseren Eltern anwenden, da wir ja zu zweit waren. Dass wir sie überhaupt informiert hatten, war erst nach gründlichen Überlegungen geschehen, weil ich allein schon bei dem Gedanken, ihnen so etwas Wichtiges zu verheimlichen ein schlechtes Gewissen bekam. Es waren schließlich unsere Eltern und die sollten gerade in unserer Situation wissen, wo wir uns eigentlich rumtrieben.

Zudem ließ Mama mir von Lizzy ausrichten, dass sie bei unserem Wiedersehen alle Details wissen wollte. Wer Lizzy kannte, wusste, dass sie mit Alles nicht etwa die Sehenswürdigkeiten, kulturellen Spezialitäten oder jeden einzelnen SmallTalk meinte, sondern versaute Geschichten mit zerknüllten Bettlaken und quietschendem Bettgestell.

Ich konnte nur hoffen, dass sie mich nicht danach fragte, wenn irgendjemand Bekanntes in der Nähe war – denn solche Gegebenheiten juckten Lizzy nicht.

Irgendwann war ich dann doch eingeschlafen und hatte von Poseidon mit Amaros Gesicht geträumt, der mich mit seinem Dreizack um meinen Geldbeutel bringen wollte, während Henry im Hintergrund fröhlich auf Delfinen ritt. Weiß der Himmel, was mein Unterbewusstsein heimlich für Pillen schluckte.

Mit Hélène und Pierre hatten wir vereinbart, dass sie uns um neun Uhr vor unserem Hotel abholten, damit wir sofort nach Andorra aufbrechen konnten. Ihr Wagen war laut ihrer Aussage ein orangeroter Nissan X-Trail von 2005.

Der Morgen selbst verlief ziemlich unspektakulär, abgesehen davon, dass Henry offenbar einen morgendlichen Spitznamen für mich gefunden hatte, mit dem er mir fröhlich zum Weckruf die Bettdecke weggezogen hatte – „Genug von mir geträumt, Zottelchen. Aufstehen, sonst verpassen wir noch unser Gratis-Taxi!" Der Kerl lebte echt gefährlich.

Um Viertel vor neun hatten wir unser wenig Hab und Gut gepackt und auch schon gefrühstückt. Wir riefen noch einmal unsere Eltern an, ehe wir das Zimmer nach vergessenen Gegenständen absuchten, dann machten wir uns auf den Weg zur Rezeption. Leider war der junge Bruno Mars heute nicht da, dafür eine kleine Frau Anfang vierzig, die uns nach unserem Aufenthalt befragte und uns ihre Hoffnung aussprach, uns bald wiederzusehen. Wie ein Wunder konnte sich Henry doch noch ein paar spanische Floskeln aus den Fingern saugen.

„Ich bin mal gespannt, ob wir es wirklich bis nach Rom schaffen", bemerkte Henry, als wir vor dem Hoteleingang standen und auf Pierre und Hélène warteten.

„Schlimmer als jetzt kann es ja nicht werden", erwiderte ich trocken und blickte die Straße einmal runter, doch entdeckte nirgends einen orangeroten Nissan. „Viel Gepäck haben wir schließlich nicht, und solange wir uns nicht auch noch gegenseitig verlieren, ist alles in Ordnung, denke ich."

„Wir sind auch davon ausgegangen, dass wir in Rom landen und nicht hier, von daher ist nichts unmöglich."

Ich seufzte, denn er hatte recht. Eigentlich sollte man nicht einfach so in irgendeinen Flieger steigen können, den man nicht gebucht hatte, und trotzdem waren wir jetzt nicht in Rom.

Alle Wege führen nach RomDonde viven las historias. Descúbrelo ahora