Ankunft in der Hölle

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Die Felder zogen unglaublich schnell an mir vorbei, es war ein ständiger Wechsel von gelb zu grün und wieder zurück zu gelb. Doch dieses Farbenspiel nahm ich kaum wahr, denn ich war mal wieder viel zu tief in meinen Gedanken versunken. Aber was sollte ich auch anderes tun, immerhin saßen meine Eltern und ich schon über zwei Stunden im Auto, lesen wurde langsam langweilig und schlafen konnte ich auch nicht. Also blieben mir nur noch die Tagträume, normalerweise würde ich mir jetzt die verrücktesten Dinge ausdenken, aber für diese Kreativität war ich schlichtweg viel zu schlecht gelaunt. Immerhin fuhren wir gerade in meine persönliche Hölle, denn wie jedes Jahr würde ich meine Sommerferien bei meiner Tante in Grünwald verbringen.

Nach einem kurzen Blick auf das Navi wusste ich jetzt auch, dass die Fahrt nicht mehr allzu lange dauern würde. Natürlich war an Grünwald selbst nichts auszusetzen und meine Tante war auch eigentlich herzensguter Mensch, aber als 16 jähriges Mädchen stellt man sich seine Sommerferien doch eigentlich ganz anders vor. Ich zumindest, sollte in den kommenden sechs Wochen eigentlich jeden Tag mit meinen Mädels verbringen, aber das war dank meinen Eltern ja nicht möglich.

Man könnte meinen, dass man in meinem Alter verantwortungsbewusst genug sei, um sechs Wochen allein zuhause überleben zu können, aber meine Eltern waren da natürlich anderer Meinung. Versteht mich nicht falsch ich liebe meine Eltern, jedoch nervten mich ihre Entscheidungen bezüglich meiner Sommerfreizeit enorm. Ich wäre ja nicht mal allein zu Hause gewesen, unsere Haushälterin Elena hätte auf mich aufpassen können, aber selbst das konnte meine Eltern nicht überzeugen.
Und so würde ich in den nächsten Wochen per Telefon die ganze Zeit an das erinnert werden, was ich in meiner Heimat verpassen würde. Denn ich war mir sicher, dass meine Mädels sich keine Chance auf Partys entgehen lassen werden. Währenddessen werde ich neidisch ihre Aktionen auf meinem Handy verfolgen und hier am anderen Ende von Deutschland versauern. Denn auch wenn ich seit meiner Kindheit ohne Ausnahme alle meine Sommerferien hier verbracht hatte, kannte ich hier kaum jemanden. Ich verbrachte meine Zeit hier ausschließlich bei meiner Tante und beschäftigte mich mit Musik. Die Zeit hier hatte also nicht nur negative Seiten, denn Musik war mit Abstand meine größte Leidenschaft, ich liebe es zu singen und auch im Gitarre spielen war ich nicht besonders schlecht. Das könnte allerdings auch an der Musikschule liegen, welche ich bereits seit meiner Grundschulzeit besuchte. Wenn es um meine Leidenschaft ging war meinen Eltern kaum etwas zu teuer. Meine Eltern waren im Immobiliengeschäft ziemlich bekannt und verdienten somit auch nicht gerade wenig. Dennoch haben sie immer einen Weg gefunden mich vor den geldgeiernden Menschen zu schützen und dafür liebte ich sie wirklich sehr. Ich hatte das Glück eine unbeschwerte und wundervolle Kindheit zu erleben, auch wenn meine Eltern des Öfteren geschäftlich auf Reisen mussten. Aus eben diesem Grund verbrachte ich meine Ferien auch bei meiner Tante, denn meine Eltern würden die nächsten sechs Wochen aus geschäftlichen Gründen durch ganz Deutschland reisen. Eigentlich fuhr ich auch immer mit dem Zug nach München, allerdings fand in Grünwald zufällig ein Treffen mit irgendwelchen Partnern von meinen Eltern statt, also hatten sie beschlossen mich persönlich bei meiner Tante abzuliefern.

Ich war so in meine Gedanken vertieft, dass ich überhaupt nicht mitbekam wie das Auto zum Stehen kam und meine Eltern sich abschnallten um auszusteigen. Erst als ihre Autotüren zufielen erwachte ich aus meiner Starre. Ich atmete noch einmal tief durch und öffnete meine Autotür dann ebenfalls. Mein Vater war gerade dabei mein Gepäck aus dem Kofferraum zu heben, als meine Tante ihre Haustür aufriss und meiner Mutter um den Hals fiel. „Ich freu mich so, dass ihr mal wieder hier seid! Wir haben uns so lange nicht mehr gesehen. Oh Gott, Kind, bist du schon wieder gewachsen, dass kann ja nicht sein. Du hast ja sogar schon deine Mutter überholt." Plauderte meine Tante los, doch meine Mutter unterbrach sie direkt indem sie Widerspruch einlegte: „ Das stimmt überhaupt nicht, ich bin und bleibe größer als sie." Meine Mutter stellte sich demonstrativ neben mich, was mich nur noch mehr zum Grinsen brachte. „Jaja" entgegnete meine Tante, zwinkerte mir zu und wendete sich dann an meinen Vater um ihn ordentlich zu begrüßen.

Nachdem auch er in eine ziemlich erdrückende Umarmung gezogen wurde wendete sie sich wieder an mich. „Du weißt ja wo dein Zimmer ist, ich hab mir die Freiheit genommen und es etwas umgestaltet, ich denke mal, dass du aus der pinken Phase herausgewachsen bist." „ Danke, die pinken Wände hätten mich sonst bestimmt erdrückt." Meine Mutter begann zu lachen und mein Vater grinste still vor sich hin. Ja, das war eine seltsame Zeit damals, ich hatte vor ungefähr zwei Jahren eine Phase in der grundsätzlich alles pink sein musste. Im Nachhinein ziemlich peinlich, aber das war ja jetzt vollkommen unwichtig.

Ich betrat das Haus meiner Tante und fühlte mich seltsamer Weise sofort zu Hause. Irgendwie war der Gedanke meine Ferien hier zu verbringen gerade gar nicht mehr so schrecklich. Anstatt mich erstmal unten umzusehen, rannte ich sofort die Treppen hinauf in mein Zimmer. Letztes Jahr waren die Wände pink, genauso wie meine Bettwäsche und alle Dekoartikel. Doch das Zimmer welches ich jetzt betrat ähnelte dem in keinster Weise. Es war wunderschön, ganz ehrlich so viel Geschmack hatte ich meiner Tante gar nicht zugetraut.
Ich stand in der Tür und schaute direkt auf ein großes Bett mit einem weißen Gestell und marineblauer Bettwäsche. Die Wand, an der sich das nebenbei gesagt unglaublich bequem aussehende Bett befand war ebenfalls in einem sehr dunklen blau gestrichen. Außerdem hing über dem Bett eine Lichterkette mit kleinen Klammern, welche nur darauf wartete mit Bildern geschmückt zu werden. Rechts von meinem Bett konnte man durch ein großes bodentiefes Fenster direkt auf einen kleinen Balkon gelangen. Neben dem Fenster stand ein kleiner Schreib- beziehungsweise Schminktisch, welcher direkt an meinen Kleiderschrank angrenzte. Dieser zog sich um die Ecke und endete genau neben der Tür in der ich jetzt stand. Zu meiner linken befand sich ein kleiner Sessel mit einem Beistelltisch, auf dem ein paar meiner Notenblätter aus den letzten Jahren lagen. Außerdem hatte meine Tante einen Noten- und einen Gitarrenständer besorgt. Das Zimmer war einfach wunderschön und das schien meine Mutter auch so zu sehen denn ich hörte von ihr nur ein leises „Wow, das ist ja der Hammer." „Da kann ich nur zustimmen. Vielen Dank Melle, das Zimmer ist unfassbar schön." „Kein Problem, das hatte sowieso dringend eine Renovierung nötig." Auf diesem Kommentar hin begannen wir alle zu lachen. Nachdem mein Vater alle Sachen in mein Zimmer getragen hatte, begann ich meine Klamotten in meinen Schrank zu räumen und mich einzurichten.
Nach einer halben Stunde kam dann mein Vater hoch, er stellte sich in die Tür und schaute mir erstmal eine Weile zu, bis ich ihn bemerkte. „ Wir sind heute für ein wichtiges Abendessen mit einem Geschäftspartner verabredet und deine Mutter und ich hätten gerne, dass du uns begleitest.", er schaute mich ganz genau an um jede Reaktion frühzeitig zu erkennen. „ Wieso das denn? Sonst musste ich doch auch nie mit. Gibt es einen besonderen Anlass?" fragte ich. „Nein, eigentlich nicht, aber wir würden dich trotzdem bitten Mia. Bitte überleg es dir, ok?" „Wenn du mich schon so freundlich bittest habe ich ja keine andere Wahl. Ich komme aber nur mit, wenn es etwas Vernünftiges zu essen gibt. Du weißt, dass ich kein Fan von so übertrieben teuren, exotischen Dingen bin." „ Das weiß ich doch, keine Sorge. Wir werden in einem italienischen Restaurant essen, es ist zwar auch nicht gerade günstig, aber eine schlichte Pizza gibt es da bestimmt auch." Mein Vater lächelte noch einmal bevor er mein Zimmer verließ und ich widmete mich wieder meinen Klamotten.

SummerloveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt