Chapter 42

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J A R E D
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„Du hast mir gesagt, dass du nicht gehst", sage ich fassunglos und starre sie an.

Charlie sieht zwischen ihren Eltern hin und her.

„Doch. Sie gehört zu mir, nach London", antwortet ihre Mutter, eine kleine zerzauste Blondine. Sie ist mir auf Anhieb unsympathisch.

„Mum..-", fängt Charlie an.

„Ich bin raus. Ciao", sage ich, hebe die Hände und verlasse so schnell es geht das Haus.

Eilig springe ich in meinen Wagen und gebe Gas. Einen Alltag ohne Charlie kann ich mir niemals vorstellen. Und jetzt soll sie weg?

Wütend fahre ich noch schneller und innerhalb von ein paar Minuten bin ich daheim. Mit einer ruckartigen Bewegung bringe ich den Wagen vor dem großen Garagentor zum Stehen. Ich balle meine Fäuste und klettere aus dem Wagen. Unruhig gehe ich vor dem Haus hin und her. Wenn mich meine Mutter so sieht, wird sie sich nur unnötig Sorgen machen.

Ich balle meine Faust erneut und schlage hart gegen die Wand. Sofort reißt die Haut und ich beginne zu bluten. Mit dem Hinterkopf an die Wand gelehnt schließe ich die Augen und genieße den Schmerz. Man kann mir alles wegnehmen. Alles, außer Charlie.

C H A R L I E
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"Was soll das?", frage ich meine Mutter fassungslos.

„Dad, sag doch auch was!", aber mein Vater sieht mich nur hilflos an.

„Charlie, bitte. Guck, es ist besser wenn ich dafür sorge, dass du wieder lernst, nicht mehr abstürzt. Solche Jungs lassen dich doch nur wieder abstürzen! Und ich hab ein total tolles Internat..-"

„Internat?", rufe ich schrill und trete ein paar Schritte zurück.

„Das kannst du sofort vergessen. Geh wieder nach London, hau ab zu deinem Fettsack. So wie immer, ich bleibe bei Dad!", schreie ich sie an und ihre strengen brauen Augen durchbohren mich. Ich empfinde weder Reue noch Mitleid. Für meine Mutter habe ich nur noch Verachtung übrig, als ich die Treppen hochstürme und die Tür meines Zimmers zuknalle.

Verzweifelt raufe ich mir meine Haare und rutsche die Tür runter. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es wieder wäre, in London zu wohnen.

Ich versuche verzweifelt, einen Plan auszuhecken, aber mir fällt nichts ein. Eins ist klar, ich muss so schnell wie möglich hier weg. So wie ich meine Mutter kenne, wird sie nach ein paar Stunden warten die Geduld verlieren. Aber sie wird mich niemals einfach so aus der Tür laufen lassen.

Stöhnend laufe ich zu meinem Fenster und sehe runter. Der erste Stock ist nicht wirklich hoch, aber ob das wirklich so wie in einem Film klappt? Ich laufe zu meinem Schrank, krame nach einem Hoodie und ziehe ihn an. Die Nächte in Monterey sind meist recht kühl.

Ich hole mir noch eine Tasche, packe die wichtigsten Sachen ein und schultere sie. So leise wie möglich öffne ich das Fenster und sehe hinunter.

Die Häuser in Amerika sind eigentlich tiefer gebaut als in Europa, trotzdem zittern meine Beine, als ich sie anhebe und mich auf das Fensterbrett setze. Ich atme langsam ein und aus und beruhige mich selber. Ohne weiter zu zögern stoße ich mich ab. Einen kurzen Moment fühlt es sich unglaublich an zu fliegen, aber als ich auf den Beinen lande, schießt kurze Zeit später ein stechender Schmerz durch mein Bein. Schmerzerfüllt lege ich mich auf den Rücken und halte meinen Knöchel. Schwer atmend stelle ich mich hin und betrachte ihn. Bis morgen wird er sicherlich anschwellen.

Den Schmerz ignorierend packe ich meine Tasche und humpele los. Es kommt natürlich nur ein Ort in Frage, wo ich bleiben könnte.

Nachdem ich einige Straßen weitergelaufen, oder besser gesagt gehumpelt, bin, packe ich mein Handy aus und wähle Jareds Nummer.

„Was?", fragt er barsch, als er an sein Handy geht.

„Hol mich ab. Bitte", sage ich leise und nenne ihm den Namen der Straße, in der ich stehe. Ohne ein weiteres Wort zu sagen legt er auf und ich lasse mich auf dem Boden nieder.

Nach einer Ewigkeit ist er immer noch nicht aufgetaucht und langsam beginnhe ich leicht zu frieren. Ich stöhne auf.

Wenn er jetzt nicht kommt, werde ich nie wieder ein Wort mit ihm wechseln.

Und wie das Schicksal es so will, kommt sein Wagen um die Ecke geschossen. So schnell es mit meinem Knöchel geht, springe ich auf und humpele zum Wagen.

Ich lasse mich auf das Leder fallen und er sieht mich stumm an.

„Bevor du sauer bist oder fragst, nein ich gehe nicht weg. Ich bleibe", sage ich leise und warte auf seine Reaktion.

„Was hast du mit deinem Fuß gemacht?", fragt er kalt und ich zucke mit den Schultern.

„Ich..- ich wollte nicht daheim bleiben. Und weil sie mich nicht weggelassen hätte, und sie auch nicht mitbekommen soll, dass ich weg bin, bin ich aus dem Fenster gesprungen", gebe ich zu und spiele mit meinen Fingern. Eine Weile ist es still im Wagen, bis er seine Finger unter mein Kinn schiebt und mich so dazu zwingt, ihn anzuschauen.

„Mach.das.nie.wieder", meint er mit so einer kühlen Stimme, dass ich zusammenzucke und nicke. Der Junge nimmt mir jegliches Selbstbewusstsein.

„Was willst du jetzt machen?", fragt er und deutet auf meinen Rucksack.

„Ich..- wollte abhauen? Sie wird nicht lange warten, sie ist ungeduldig. Und dann wird sie zurück nach London fahren und ich kann bleiben, und dann dachte ich, ich könnte..- vielleicht bei dir..- ich meine, bei euch bleiben?", sage ich fragend und er nickt. Ein kleines Lächeln huscht über sein Gesicht und ich atme erleichtert aus. Ein wütender Jared ist schlimmer als Mathe und ein Durchsuchungsbeschluss der Polizei zusammen.

Er gibt wortlos Gas und nach einer kurzen Weile kommen wir bei ihm an.

„Es ist niemand daheim außer Liz", informiert er mich und ich folge ihm nickend ins Haus. Es ist alles dunkel, nur der Fernseher wirft flackernde Bilder and die Wand und erfüllt das Haus.

„Jared? Wo..- Charlie! Was ist los?", fragt Liz schockiert, als sie mich entdeckt. So schnell ich kann, rattere ich alles runter und sie kommt auf mich zu, um mich zu umarmen.

„Das ist ja schrecklich! Natürlich bleibst du hier, wehe du denkst auch nur dran umzuziehen!"

Ich nicke leicht lachend und sie drückt meine Hand. „Du kannst bei mir schlafen, auf meinem Sofa...-"

„Nö, sie schläft bei mir", sagt Jared stolz und grinst.

„Vergiss es, Jared! Charlie, was meinst du?"

Ich sehe die zwei ratlos an.

„Ich..- äh", mein Blick bleibt an Jared hängen.

„Ich fasse es nicht. Meine beste Freundin bevorzugt tatsächlich meinen unausstehlichen Stiefbruder. Na gut, ich gehe dann mal schlafen. Gute Nacht ihr Turteltäubchen, bitte schützt euch, wenn es so weit kommt", sagt sie zwinkernd und rennt schnell hoch.

Meine Kinnlade klappt runter, als ich verstehe, was sie da gesagt hat. Jared kommentiert es mit einem Grinsen und stellt sich neben die erste Stufe.

„Du meintest wohl unwiderstehlicher Stiefbruder", ruft er laut und packt meinen Rucksack.

„Hast du Hunger? Wie geht es deinem Fuß? Ist da eigentlich was gebrochen und so?", fragt er besorgt und ich schüttele lachend den Kopf.

„Nein, es tut kaum noch weh."

„Dann ist ja gut", meint er, nimmt meine Hand und zieht mich mit hoch.

Bester FeindWhere stories live. Discover now