Kapitel 32

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Louis sah zu mir herüber. Seine blauen Augen strahlten mich an. Der heutige Tag war irgendwie anders als die anderen. Er war irgendwie anders. Ich weiß nicht, wie man das beschreiben sollte.

„Freust du dich schon?"

Ich überlegte. Nach langer Zeit würde ich Noah wiedersehen und auch endlich mal wieder meine Mutter. Ich war schon irgendwie glücklich, aber es war mir zu spontan gewesen. Louis Tante hatte uns heute Morgen eine Einladung zum Essen geschickt, die er ihr einfach nicht abschlagen konnte. Ich hätte wahrscheinlich genug im Haushalt zu tun gehabt, aber meine Mutter war auch eingeladen.

„Geht", murmelte ich.

„Wegen Noah?"

„Ich verstehe nicht, wieso der Kontakt so dermaßen abgebrochen ist. Klar, er mag nicht, dass ich mit dir zusammen bin, aber das ist noch lange kein Grund dafür. Gute Freunde akzeptieren es doch, wenn man verliebt ist, oder nicht?"

„Eigentlich schon", gab Louis zurück und lenkte in eine Kurve.

In seinem Auto roch es noch nach den Pommes, die wir vor einer halben Stunde verschlungen hatten. Bis nach Hause war es zwar nicht weit, aber wir hatten Lust darauf gehabt.

„Es war damals einfach alles komisch", stellte ich fest. „Er wollte ja anscheinend auch etwas von Liv. Das hatte er mir auch nie gesagt."

„Wie kommst du da jetzt drauf?"

Ich musste an das Essen mit Finn denken, aber wahrscheinlich wäre mir die Situation auch ohne das Essen in den Kopf gekommen. „Einfach so. Ich dachte halt, dass er mir immer alles gesagt hatte."

„Ich glaube, niemand erzählt jedem alles", murmelte Louis.

Ich zog eine Augenbraue hoch. Konnte ich diese Aussage jetzt auf das zwischen Katy und ihm beziehen? „Hast du etwa Geheimnisse?"

Er nickte. „Das gebe ich offen zu. Ich denke, niemand weiß alles über jemanden. Es wird immer einen Teil geben, den man nicht kennt."

Langsam bekam ich Angst. Hatte Louis wirklich einen Teil, den ich nicht kannte? Und wenn ja, wie war dann dieser Teil? Louis Anspielungen und sein Verhalten wurden immer komischer. Ich bekam immer mehr das Gefühl, dass da etwas war, was ich erfahren musste, jedoch nicht konnte.

Das Auto fuhr an dem Ortschild unserer Kleinstadt vorbei und ich sah mich um. Seit dem letzten Jahr hatte sich nichts verändert und ich wusste nicht, ob das gut oder schlecht war. Normalerweise würde man jetzt sagen, dass man diesen Ort vermisst hatte, aber das hatte ich nicht. Nur meine Mutter, die noch immer hier lebte. Aus einem anderen Grund, außer Louis Familie, kam ich nicht her, denn ich ging immer noch gekonnt meinem Vater aus dem Weg, der seit mittlerweile vier Jahren hier wohnte.

Louis fuhr auf die Auffahrt des Hauses seiner Tante und parkte dort direkt hinter ihrem neuen Porsche, von dem sie ihm schon stolz berichtet hatte. Nina war vernarrt in ihr neues Auto, was ich auch verstehen konnte, jetzt wo ich es sah.

Gentlemanlike öffnete Louis mir die Tür und ich stieg aus und versuchte dabei auf meinen schwarzen Highheels nicht sofort umzuknicken. Dazu hatte ich noch genug Zeit.

Sofort öffnete Nina uns die Tür und sah uns mit ihrem bezaubernden Lächeln an. „Ihr seid ja schon da! Hallo, Annabell. Hallo, Louis", begrüßte sie uns und nahm uns beide jeweils in den Arm. „Kommt doch rein." Sie machte einen Schritt zur Seite und ich ging an ihr vorbei.

Jedes Mal, wenn ich diese Eingangshalle betrat, fühlte ich mich, als wäre ich total arm. An den beigen Wänden und dem gefliesten Boden hatte sich seit ihrem Einzug nichts geändert.

Louis nahm mir meine Jacke ab und hing sie über die Garderobe und ich folgte seiner Mutter ins Esszimmer, wo Noah und meine Mutter sich angeregt miteinander unterhielten.

„Es ist schon echt schade, dass sie so wenig hier ist", faselte meine Mutter, die gar nicht bemerkte, wie ich den Raum betrat. Sie schien über mich zu reden, aber ich bezweifelte, dass Noah das genauso sah wie sie. Er fand es bestimmt ganz okay.

Trotzdem stimmte er ihr zu. „Ich müsste sie auch mal öfter besuchen." Das fiel ihm früh ein. Vier Jahre hatte es also gedauert, bis sein Gehirn fertig gearbeitet hatte und er auf diesen Schluss gekommen war.

Ich verdrehte noch einmal meine Augen, bevor ich mich bemerkbar machte. „Hey, Mama." Noah ließ ich erst einmal außenvor.

„Süße", sagte sie und stand auf. Sie machte ein paar große Schritte auf mich zu, um mich dann in ihre Arme zu schließen. „Schön, dass du mal wieder da bist." Sie ließ mich wieder los, als sie merkte, wie erdrückt ich mich fühlte.

„Finde ich auch", lächelte ich sie an.

In der Zeit war auch schon Noah aufgestanden und stand nun vor mir. Er sah immer noch so aus, wie sonst. Von Veränderungen schien er nicht viel zu halten. „Hey", sagte er nur stumpf, als wenn mein Besuch Alltag wäre. Zudem machte er keine Anstalten, mich in den Arm zu nehmen oder sonstiges, was mich schon ein wenig kränkte, was ich aber nicht zeigte.

„Hey", gab ich also zurück und bahnte mir meinen Weg zu einem unbesetzten Stuhl und ließ mich erst einmal fallen.

Ich konnte hören, wie Louis mit seiner Mutter in der Küche tuschelte und es roch schon atemberaubend gut nach Essen, dass sie wahrscheinlich selbst gemacht hatte.

Meine Mutter setzte sich auf ihren Platz, neben mich, und begann wieder mit Noah zu reden. „Wie läuft es denn bei dir mit deiner Arbeit?"

Noah war Elektriker geworden, nachdem er sein Abitur gemacht hatte. Das verstand ich bis heute nicht, da ihm so viele Türen offen gestanden hätten, aber jedem das Seine.

„Erstaunlich gut", sagte Noah. „Ich verstehe mich immer noch mit allen super und mein Chef hat mir neulich eine Gehaltserhöhung gegeben, weil ich so gut mitarbeite." Er schien ziemlich stolz auf sich selber zu sein, was ich nachvollziehen konnte.

Für meine Arbeit schien sich bis jetzt keiner so wirklich zu interessieren, denn meine Mutter fragte Noah immer weiter aus. Klar, über meinen Job und mein Studium wusste sie eigentlich alles, aber trotzdem kann man ja mal fragen.

„Und bei dir so?", fragte meine Mutter jetzt endlich an mich gewandt.

Ich atmete erleichtert aus. Fast hätte ich gedacht, sie hätte vergessen, dass ich da war. „Ach, ganz gut. Manchmal habe ich ein bisschen Stress, aber das geht schon."

„Das hätte dir von Anfang an klar sein müssen", murrte meine Mutter jetzt. Sie war schon immer nicht wirklich damit zufrieden gewesen, dass ich mir ein duales Studium ausgesucht hatte. So könnte ich mich nicht richtig auf das Studium konzentrieren, sondern würde immer abgelenkt von der Arbeit sein. Ich hasste es, dass sie meine Entscheidung nicht wirklich akzeptierte. Ich war jetzt zwanzig und reif genug, Dinge selbst zu entscheiden, aber sie sah sich immer noch in der Rolle der Mutter, die ein kleines Kind hatte. Andauernd hackte sie auf mir herum.

„Ja, das war mir ja auch klar. Ich habe nicht gesagt, dass ich damit unglücklich bin", patzte ich sie an.

Ich war so froh, als Nina den Raum betrat und eine riesige Auflaufform auf den Tisch stellte. Es roch himmlisch.

Auch Louis betrat nun endlich das Esszimmer und setzte sich zu mir.

Meine Mutter musterte ihn dabei kurz, weil er keine Anstalten machte, ihr die Hand zu geben, was ich auch ein wenig komisch fand.

„Guten Tag", sagte er einfach in die Runde.

„Hallo Louis, schön dich zu sehen", antwortete meine Mutter trotzdem höflich.

„Also, dass hier ist irgend so ein türkischer Auflauf mit Schafskäse. Ich dachte, ich probiere mal etwas Neues aus. Ich hoffe, es schmeckt euch allen." Nina lächelte in die Runde. „Annabell, Schätzchen, soll ich dir etwas auffüllen?", fragte die schlanke Frau nun und streckte mir ihre Hand entgegen, um meinen Teller zu greifen.

Der Himmel in seinen Augenحيث تعيش القصص. اكتشف الآن