Kapitel 6

113 25 1
                                    

„Sie hatte innere Blutungen. Wir mussten sie Notoperieren." Ich hörte die Frauenstimme von vorhin. Wieder konnte ich mich weder bewegen, noch meine Augen öffnen.

„Es ist besser, wenn du schläfst und dich ausruhst", hörte ich Louis Stimme. Komischerweise nicht so, als wäre er im Raum, sondern eher so, als wäre er in meinem Kopf.

Jetzt drängte ich mich noch mehr dazu, meine Augen zu öffnen, was nicht funktionierte.

„Ich habe gesagt, lass sie zu!", schrie er nun und seine Stimme hallte auch noch Sekunden danach in meinem Kopf hin und her.

„Wann wird sie aufwachen?" Diese Stimme konnte ich meiner Mutter zuordnen

„Ich weiß es nicht genau. Die Operation ist jedoch gut verlaufen, aber ich kann eigentlich gar nichts versprechen. Das Auto hat sie ziemlich hart getroffen."

Wo war Louis bloß hin? Hatte er mich hier alleine gelassen? Ich wollte genauso wenig sterben, wie er wollte, dass ich es tat. Aus welchem Grund auch immer er das nicht wollte. Klar, er würde mir auch nicht den Tot wünschen, aber irgendetwas an alldem hier war einfach nur komisch.

„Hat der Junge gesagt, wieso sie auf die Straße gelaufen ist?", fragte meine Mutter besorgt.

„Er hatte den Eindruck, als wenn sie irgendwelche Angststörungen hätte. Er kannte sie und wollte sie nach Hause fahren, weil es ihr anscheinend nicht gut ging und sie ist wohl einfach auf die Straße gelaufen."

Nicht einfach. Er hatte mir Angst gemacht, auch wenn es nicht seine Absicht gewesen war. Es war wie die Pferde mit ihrem Fluchtinstinkt. Es hatte mich überkommen und ich war losgerannt. Auch, wenn das ein sehr großer Fehler gewesen war. Zumindest erschien mir das so.

Ich konnte hören, wie meine Mutter anfing zu schluchzen.

„Soll ich jemanden für sie anrufen?", fragte die Ärztin mit einer sehr besorgten Stimme. Ihr schien meine Mutter leidzutun.

„Nein. Ich möchte jetzt einfach nur alleine mit meiner Tochter sein."

Man konnte hören, wie die jemand mit Tippelschritten den Raumverließ und die Tür wieder hinter sich schloss. Dann griff jemand nach meiner Hand, was wohl meine Mutter war. Ihre Hand fühlte sich wohlig warm an und ihre Nähe war genau das, was ich jetzt brauchte.

„Ich werde dich nicht alleine lassen, meine süße", erzählte sie mir. „Ich bete einfach jede Sekunde, dass du doch irgendwo einen Schutzengel hast."

Genau das betete ich auch. Ich konnte nicht sagen, dass ich keine Angst hatte, aber irgendwie war mir zwischendurch immer wieder alles Mögliche egal. Vielleicht war das einfach so, wenn man halb tot war. Vielleicht interessierte einen dann nichts mehr so wirklich. Ich wusste aber, dass ich kämpfen musste, wenn ich leben wollte, aber wie das funktionierte, war mir ein Rätsel. Wenn ich leben würde und jemand herausfand, wieso ich so panisch vor das Auto gelaufen war, käme ich vermutlich noch in eine Irrenanstalt. Das würde ich wahrscheinlich sogar akzeptieren, wenn ich mir nicht so verdammt sicher wäre, dass ich nicht irre war. Die Frage war, ob mir das jemand glauben würde. Wahrscheinlich würde Louis mich auslachen, wenn er davon erfahren würde. Das war doch einfach nicht normal, was in meinem Leben auf einmal passierte, seitdem er da war. Vor einer Woche wusste ich nicht einmal, dass es ihn gibt und jetzt lag ich im Prinzip, wegen ihm im Krankenhaus und war vielleicht dabei zu sterben.

„Du wirst nicht sterben", hörte ich seine Stimme wieder in meinem Kopf. Woher kam sie nur? Hatte ich Halluzinationen von den ganzen Medikamenten? Das würde es sein. Aber wieso von ihm? Weil er der letzte war, den ich vor dem Unfall gesehen hatte? Fragen über Fragen und auf keine fand ich in der ganzen Zeit, die ich da so lag und meine Mutter nur schweigend meine Hand hielt, eine Antwort.

Der Himmel in seinen AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt