Kapitel 30

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Am nächsten Morgen war Katy dann auch schon verschwunden und Louis und ich sahen und verwundert an, als wir das Wohnzimmer leer vorfanden.

„Sie hatte es wahrscheinlich nicht auf dem Sofa ausgehalten", erklärte ich Louis, der meine Stiefschwester nicht so wirklich gut kannte. Darüber konnte er wohl froh sein.

„Ist mir recht", sagte er nur schulterzuckend, doch irgendetwas daran bedrückte ihn, dass sah ich ihm an. Das Schulterzucken war nämlich nicht so gleichgültig, wie sonst. Es trug auch keine Erleichterung, wie bei mir, mit sich. Irgendwas hier war eindeutig faul.

„Sag mal, fandest du es nicht auch komisch, wie sie uns ausgefragt hat?", fragte ich ihn, um herauszufinden, ob sein Verhalten etwas damit zu tun hatte.

Er zuckte wieder nur mit den Schultern.

Was war denn nur los mit ihm?

Ich musste an die bösen Blicke denken, die er Katy zugeworfen hatte. Da war wirklich etwas, was er mir verheimlichte und er schien wirklich zu denken, dass ich das nicht merkte. Wie naiv von ihm...

„Schön, dass du doch Zeit gefunden hast", lächelte Finn mich an, als ich mich zu ihm gesellte.

Wir saßen in einem hell erleuchteten, kleinen Restaurant, was in der Nähe meiner Wohnung war. Finn und ich hatten einen Tisch für vier Personen abbekommen und ich saß ihm jetzt gegenüber. Im Gegensatz zu früher hatte er sich kaum verändert. Seine dunklen Haare waren nur ein wenig lockiger geworden und sein Verhalten schien reifer. Unter dem Namen Finn hatte ich mir immer einen blonden Jungen vorgestellt, er sah komplett anders aus.

„Klar", sagte ich und zog dabei meine Jacke aus, die ich dann über meinen Stuhl hängte. „Für alte Bekannte hat man immer irgendwie Zeit." Finn und ich waren keine Freunde gewesen und das konnte er auch ruhig spüren.

„Wie geht's dir, also mit deinem Studium, und allem?", fragte er mich, um die Konversation aufrecht zu erhalten. Er schien keinesfalls gekränkt zu sein, dass ich ihn nur einen Bekannten genannt hatte. Es war immerhin die Wahrheit gewesen.

„Ach, es geht so. Manchmal ist es ein wenig stressig."

„Du bist immer noch mit diesem Louis von damals zusammen, oder?"

Ich nickte freudestrahlend. Louis war für mich das Beste, was mir je passiert war und ich hatte nicht vor, ihn jemals gehen zu lassen. Auch, wenn es nicht dazu passte, dass ich ihm nichts von diesem Treffen erzählt hatte. Aber er sagte mir auch nicht, was so komisch bei ihm und Katy war und er konnte Finn sowieso nicht ausstehen, was die Sache erschwert hätte, normal mit ihm darüber zu reden. Außerdem war das hier nichts Besonderes. Nur ein Treffen.

„Ist ja cool. Also, dass eine Beziehung so lange hält. Du warst damals ja noch nicht so alt", redete er vor sich hin.

Wenn man jemanden wirklich liebte, tat das Alter nichts zu Sache. Zumindest war das meine Meinung und meine Mutter hatte damit auch nie ein wirkliches Problem gehabt.

„Ja", gab ich nur zurück. Ich wusste nicht, was man zu so etwas sagen sollte.

Ich erschrak, als eine Kellnerin von der Seite kam. „Kann ich ihnen schon etwas zu trinken bringen?"

„Wir nehmen beide einen Rotwein", sagte Finn einfach so, ohne mich überhaupt gefragt zu haben.

Ich hatte aber nichts gegen Wein, so lange es nicht zu viel wurde.

Die Kellnerin ging wieder und Finn lächelte mich an. „Du bist ganz schön schreckhaft."

„Ja, ich weiß auch nicht so genau, woher das kommt", antwortete ich.

Finn schmunzelte. „Meist von traumatischen Erlebnissen. Hattest du mal eins?"

„Ach, außer das ich mal von einem Auto angefahren wurde eigentlich nicht. Aber daran kann ich mich nicht mehr so richtig erinnern."

„Ich mich aber. Die Geschichte ist in der Schule herum gegangen, wie ein Lauffeuer. Muss ganz schön schlimm gewesen sein. Aber du lebst ja noch." Wie er das letzte Wort betonte ließ mich ein wenig erschaudern, doch es war wahrscheinlich nicht von ihm beabsichtigt.

„Zum Glück", belächelte ich und sah auf meine Gänsehaut am Arm, als die Kellnerin auch schon den Wein auf unseren Tisch stellte. „Danke sehr", gab ich an sie gewandt von mir.

Dazu schenkte sie uns noch jeweils ein Glas Wasser ein, was wahrscheinlich besser für meinen Körper war.

„Prost", sagte Finn und stieß mit mir an. „Auf die alten Zeiten."

Ich wusste nicht genau, wie er das meinte. Immerhin hatten wir keine wirkliche Vergangenheit miteinander. Trotzdem trank ich natürlich einen Schluck, der dann auch direkt meinen ganzen Körper erwärmte.

„Was hast du damals eigentlich von mir gehalten?", wollte er wissen, als ich mein Glas wieder abgestellt und mit einem Schluck Wasser nachgespült hatte.

Ich überlegte, ob ich ehrlich antworten sollte. Aber wenn er meine wahre Antwort nicht hören wollen würde, hätte er wohl nicht gefragt. „Ich kannte dich eher wenig, also ist da nicht viel, was ich beurteilen kann, außer, dass du kein guter Freund für Liv warst."

Finn sah tatsächlich so aus, als würde er überlegen müssen, wer Liv war. „Sie war auch nicht die Richtige."

„Das hat sie gemerkt", antwortete ich und blickte zu Boden. Liv hatte mir nie genau gesagt, was bei denen vorgefallen war und ich wollte es auch gar nicht wissen. „Fragen die gar nicht, ob wir was Essen wollen?", fragte ich schließlich, um von dieser unangenehmen Situation abzulenken.

„Ich habe schon bestellt", sagte Finn. Er schien ein ziemlicher Kontrollfreak zu sein. Welcher Typ sucht denn sonst alles aus. Ich hatte überhaupt kein Mitspracherecht gehabt. Nicht beim Restaurant, beim Trinken oder beim Essen. Alles hatte er entschieden, ohne mich überhaupt zu fragen. „Bist du denn immer noch so gut mit ihr befreundet?" Die Frage war auf Liv bezogen.

„Gut ist glaube ich etwas anderes. Wir telefonieren ab und zu noch, aber sonst nichts wirklich."

„Und dieser Noah? Der stand doch irgendwie auf sie", lachte Finn. „Wollte mir offensichtlich die Freundin ausspannen."

Schön, dass nicht nur ich das Gefühl gehabt hatte.

„Keine Ahnung. Aus den Beiden ist auch nie etwas geworden und Noah sehe ich nur, wenn seine Familie uns zum Essen einlädt, was immer seltener wird", murmelte ich.

„Was hasst du so an mir, Annabell?" Die Frage kam so plötzlich und ich war total schockiert.

„Finn, da ist nichts, was ich an dir hasse. Wieso sollte ich das tun?"

„Wenn du es jetzt noch nicht tust, dann tust du es irgendwann", nuschelte er, doch ich verstand jedes Word. Trotzdem tat ich so, als hätte ich es nicht gehört, damit die Stimmung nicht noch mehr kippte, falls es überhaupt noch mehr ging.

„Und was studierst du?"

„BWL", gab er stumpf zurück.

Ich war froh das die Kellnerin und zwei Teller mit drei kleinen Steaks und Pommes hinstellte. Jetzt konnte ich erst einmal essen und nicht reden.

Der Himmel in seinen AugenWhere stories live. Discover now