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Oh Gott, das kann nicht wahr sein, schießt mir durch den Kopf

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Oh Gott, das kann nicht wahr sein, schießt mir durch den Kopf. Mein Puls hat für einen Moment ausgesetzt, doch jetzt schlägt mein Herz doppelt so schnell wie zuvor.
Ich weiß nicht, was es ist, das bewirkt, dass meine Pupillen plötzlich schwarz sind, und es verwirrt mich. Was zum Teufel passiert mit mir?

Als ich so darüber nachgrübele und entlang des Gleises zur Bahnhofshalle gehe, fällt mir plötzlich ein, dass meine Eltern sich ebenfalls wundern werden, warum ich auf einmal eine andere Augenfarbe habe. Was soll ich ihnen sagen? Werden sie mir glauben, wenn ich ihnen die Wahrheit sage - dass ich nicht weiß, woher diese schwarzen Augen kommen?
Ich runzele die Stirn, doch ich kenne die Antwort. Sie werden mir nicht glauben. Sie werden mich ansehen, als ob ich ein Verbrechen begangen hätte, und mich dann verstecken, weil sie Angst haben, dass es ihrem Ruf schadet.
Es schmerzt, nur daran zu denken, aber es wird so sein.

Ich räuspere mich, um den Kloß in meinem Hals zu verdrängen, und fische eine Sonnenbrille aus meiner Tasche. Ich muss einen Weg finden, um meine natürliche Augenfarbe wieder zurückzuerlangen, beschließe ich. Aber was, wenn es nicht funktioniert? Wenn meine Eltern davon erfahren - wenn ich sie erneut enttäusche?
Ich unterdrücke die Tränen, die plötzlich in meinen Augen brennen. Es sind Tränen der Verzweiflung.
Wenn all mein Ehrgeiz in der Schule umsonst gewesen ist, weil sie mich nicht mehr akzeptieren?

Bis ich bei meinen Eltern angekommen bin, versuche ich, diese Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen. Diese Was-wäre-wenn-Fragen, verbessere ich mich. Die nichts wert sind, weil sie keine blanken Tatsachen sind.
Ich lächele, weil es mich zum ersten Mal etwas erleichtert, an berühmte Zitate meiner Familie zu denken. Mein Onkel hat sich mit ihnen einen Lebensunterhalt aufbauen können, vielleicht sollte ich das auch versuchen, wenn es mit meiner wissenschaftlichen Karriere nicht klappt.
Wenn es nicht klappt. Ich habe bisher nie auch nur darüber nachgedacht.

„Ava!", ruft meine Mutter schon von Weitem. Sie wirft ihre glatten blonden Haare nach hinten, die ich auch so gerne geerbt hätte, und mustert mich mit einem Lächeln. Zumindest ist es das, was umstehende Leute auf ihren Lippen bemerken.
Ich sehe in ihrem Lächeln bloß die Frage, wie mein Test gelaufen ist.
Ob ich bestanden habe.
Ob ich es wert bin, mit ihr verwandt zu sein.
Großartig ist es gelaufen, würde ich ihr am liebsten ins Gesichts schreien. Ich habe ein Mädchen gerettet, dass ich nicht retten durfte, und einen Jungen abschreiben lassen, weil ich nicht den Mut dazu hatte, ihn zu verpetzen.
Es ist wirklich großartig gelaufen.
Emotionen kommen in mir hoch, Erschöpfung, Angst, Verwirrtheit. Ich würde meinen Eltern so gerne davon erzählen, doch ich schlucke sie herunter und spiele ihr Spiel mit, lächele, als ob es mir gut gehen würde, umarme sie, obwohl ich am liebsten in Tränen ausbrechen würde, und lache, auch wenn der Witz meines Dads kein bisschen lustig war.
Ich spiele das Spiel meiner Eltern mit, um sie nicht zu enttäuschen, und damit die anderen Menschen auf dem Gleis nicht bemerken, wie kaputt unsere Familie eigentlich ist.

Beim Abendbrot ist es wie gewohnt still. Meine Mutter und mein Vater haben damit extra auf mich gewartet, und zu einem anderen Zeitpunkt hätte ich mich auch über die Aufmerksamkeit gefreut, doch jetzt wäre ich am liebsten für mich allein.
Obwohl ich dann mit meinen eigenen Gedanken konfrontiert sein würde, wäre das immer noch besser als die Stille, die uns umfängt wie ein eisiger Lufthauch.

Meine Augen hatten zum Glück wieder ihre natürliche Farbe, als ich die Sonnenbrille abgenommen habe, doch ich weiß weder, woran das liegt, noch, für wie lange das so bleiben wird. Ich sitze diesbezüglich auf heißen Kohlen.

Hin und wieder werfen meine Eltern mir auffordernde Blicke zu, doch ich tue so, als würde ich sie nicht bemerken. Eigentlich ist es ja sogar verboten, über den zweiten Teil der ersten Phase zu sprechen.
Wo ist ihr Drang, sich an die Regeln zu halten und nicht aufzufallen?, wundere ich mich über mein Pech, doch ich kann ihr Verhalten auf irgendeine Weise auch nachvollziehen. Wenn ich Kinder hätte, wäre ich schließlich auch nervös und würde darauf brennen, zu erfahren, wie ihr Test gelaufen ist, überlege ich. Auch wenn ich eigentlich nicht vorhabe, Kinder zu bekommen.
Und wenn, würde ich sie mit Liebe erziehen und nicht einmal in die Nähe meiner Eltern lassen, denke ich verbittert. Zu groß wäre die Gefahr, dass ebendiese das Leben meiner Kinder auch noch verderben.

Schluss damit!, schreit plötzlich eine Stimme in meinem Inneren. Sie haben das Recht dazu, dich so zu behandeln, wenn man bedenkt, was du ihnen angetan hast.

In meinem Kopf ist es plötzlich still.
Tränen treten in meine Augen. Ich bin nicht schuld, beteuere ich. Wenn ich die Worte ausgesprochen hätte, hätten sie vermutlich heiser geklungen. Ich bin nicht schuld. Sie sind nur ein leises Flüstern.
„Ava?"
Ich schließe die Augen. Ich bin nicht schuld.
Ich bin nicht schuld.
„Ava!"
Ich bin nicht schuld.
„Ava!" Die Stimme meines Vaters ist so laut geworden, dass ich unwillkürlich zusammenzucke. Angestrengt reibe ich meinen Kopf. „Was ist?", murmele ich. Können die mich nicht einfach mit meinen Schuldgefühlen alleine lassen?
Ich schaue nach oben und begegne dem strengen Blick meiner Eltern. Sofort beiße ich mir auf die Unterlippe und senke den Kopf wieder. „Tut mir leid", entschuldige ich mich kleinlaut.
Ich entschuldige mich zu oft.
Ich entschuldige mich immer, meistens ist es genau genommen nicht einmal nötig.
Ich entschuldige mich, wenn ich einmal eine schlechtere Note geschrieben habe, wenn ich ein paar Minuten zu spät nachhause komme, wenn ich mich mit Dingen beschäftige, die meine Eltern als unnötig empfinden - wie Kunst. Ich entschuldige mich, wenn ich den Abwasch vergessen habe oder Klamotten auf dem Boden liegen lasse, wenn ich etwas vergessen habe oder wenn ich weine, weil mir alles zu viel wird.

Und doch kann ich - wie sehr ich mich auch bemühe - mit all meinen Worten nicht einmal ansatzweise meine Schuld begleichen.
Was ich ihnen angetan habe, kann ich nie wieder gutmachen.

Intelligent - Phase 3Where stories live. Discover now