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„Ich will wissen, wer ich bin."

Überrascht dreht sich Phoenix zu mir um, vermutlich hat er nicht erwartet, dass ich nochmal zurück in den Trainingssaal kommen würde. Ich habe es auch nicht.

„Oder vielleicht eher ... was", füge ich hinzu. Entschlossen trete ich näher.

In den Minuten, in denen ich Abstand gebraucht habe, hat er die restlichen Waffen weggeräumt, denn nun liegen sie fachmännisch geordnet im Schrank an der Wand. Er schließt sie mit seinem Fingerabdruck ab, bevor er sich zu mir umdreht und nickt. „Was hat deinen Stimmungswandel hervorgeführt? Vor ein paar Tagen hast du bei der bloßen Vorstellung, mich zu fragen, was du bist, dichtgemacht."

Der einzige Grund, wieso ich nicht die Augen verdrehe, ist, dass in seinen Worten keinerlei Spott liegt. Phoenix ist lediglich ein guter Beobachter. „Langsam glaube ich, dass du doch meine Gedanken lesen kannst", gebe ich zurück.

Er lächelt, dann deutet er mit einer Kinnbewegung nach draußen. „Unterhalten wir uns irgendwo, wo uns niemand hören kann."

„Ich habe eher das Gefühl, du willst mich still und heimlich umbringen." Ich sehe ihn ernst an, aber ein verschmitztes Lächeln huscht über mein Gesicht und verrät mich.

„Wenn ich dich umbringen wollen würde ..."

„Lass mich raten ... hättest du es schon längst getan?", unterbreche ich ihn frech.

Phoenix erwidert mein Grinsen, schüttelt aber den Kopf. „Wenn ich dich umbringen würde, würde ich danach ebenfalls meinen Kopf hinhalten müssen."

„Wieso?" Neugierig sehe ich ihn an, während wir aus dem Saal laufen, den er ebenfalls abschließt. Die Partys sind anscheinend momentan die einzige Begründung, sich hier nach Einbruch der Dunkelheit aufzuhalten.

„Kodex", erwidert er nur.

Ich folge ihm durch die spärlich beleuchteten Gänge. Die anderen werden sich bestimmt fragen, wo ich bleibe, denke ich mit klopfendem Herzen. Aber umdrehen will ich auch nicht. „Kodex", wiederhole ich.

„Ja, selbst wir übernatürlichen Spinner haben Regeln."

Ich kann nicht anders, als zu grinsen. „Der Begriff gefällt mir." Scheinbar in Gedanken versunken bleibe ich stehen, woraufhin er mich amüsiert ansieht. „Phoenix Noray Bishop ..." Theatralisch breite ich die Arme aus, als würde ich mich einem Publikum präsentieren. „aka ... der übernatürliche Spinner."

„Du bist leider auch nicht besser, Ava Newton", erwidert er lachend.

Wir grinsen uns an, bis ich bemerke, wo wir sind. Vor uns steht eine Wache ... vor dem Aufzug nach oben. „Wir dürfen um diese Zeit nicht mehr nach oben", murmele ich verwirrt, aber Phoenix tritt bereits auf sie zu. Mit einem Kopfnicken lässt sie uns schließlich nach wenigen gewechselten Worten passieren.

„Wow, wenn das heißt, dass ich einen Freifahrtsschein für die Oberfläche bekomme, sollte ich öfter Zeit mit dir verbringen", stelle ich fröhlich fest, als wir im Aufzug stehen.

Phoenix erwidert meinen amüsierten Blick. „Und ich dachte schon, du würdest mich ernsthaft mögen, Avelaine."

Als wir aus dem Aufzug treten, ist es stockdunkel. Am klaren Nachthimmel zeichnen sich die Sterne ab, und ich lege meinen Kopf in den Nacken, um sie besser sehen zu können. Es ist still auf der Lichtung, wunderschön friedlich.

Wir setzen uns auf das kalte Gras und lassen die friedliche Atmosphäre auf uns wirken. Nach ein paar Minuten beginnt Phoenix mit leiser Stimme zu sprechen. „Die meisten glauben, dass es unsere ... Art etwa seit ein paar Jahren, nachdem die Tests eingeführt wurden, gibt."

Ich lehne mich im Gras zurück und lausche mit kribbelnder Haut seinen Worten.

„Anfangs war es nur ein Experiment, vermutlich mit dem Ziel, den Test effizienter zu machen, vielleicht eine weitere Phase einzuführen. Die Achtzehnjährigen sollten sich einer weiteren Prüfung stellen, in eine weitere Kategorie eingeteilt werden: Gut und ... keine Ahnung. Böse. Unwürdig. Schlecht." Eine Erinnerung scheint in ihm hochzukommen, und seine Gesichtszüge nehmen einen verbitterten Ausdruck an. Meine Gedanken wirbeln zu dem Traum mit dem Zauberwürfeljungen und dem Bunker, und ich frage mich, ob ich ihm davon erzählen soll, aber ich lasse es.

„Wie bei den Mutationen ist es irgendwann ausgeartet. Alles lief besser, effizienter als gedacht. Erst nach ein paar Jahren konnte man überhaupt wieder die Kontrolle über unsere Art zurückerobern. Wir sind eine unglaublich mächtige Waffe, Ava." Wieder sucht er meinen Blick, und der Schmerz in seinen Augen verursacht ein flaues Gefühl in meinem Magen. Wir sind eine Waffe.

„Aber bevor es wieder geregelter zuging, wurden viele Menschen von uns getötet. Viele unschuldige Menschen. Damit sich die Bevölkerung nicht auch noch mit vermeintlichen Massenmördern auseinandersetzen musste, beschloss man, uns zu verheimlichen. Eine geheime Instanz, die zusätzlich zum Test die Bevölkerung prüft."

„Inwiefern? Wie macht ihr ... machen wir das?"

„Du hast es schon mehrmals erlebt." Ich runzele die Stirn, denke an meine verwirrenden Träume, schwarze Augen, ... Seelen. Gut und Böse.

Ein überraschter Laut entfährt mir, den Phoenix mit einem Nicken quittiert. „Wir sind Seelenblicker. Wir können in die Seele von Menschen blicken, sehen, ob sie gut oder schlecht ist."

Seelenblicker. Ein wohliger Schauer läuft mir über den Rücken. Plötzlich macht alles Sinn. Uray, bei dem ich immer ein merkwürdiges Gefühl hatte. Schlecht. Das Mädchen, das ich tot an der Oberfläche fand, vor meinem ersten Kampf. Schlecht.

Ich versuche, das Chaos aus Informationen zu ordnen, bis ich an einem Gedankenfetzen hängenbleibe. Mit einer bösen Vorahnung im Bauch richte ich mich auf und blicke Phoenix in die nachtschwarzen Augen. „Und was ... was macht ihr, wenn ihr einen Menschen für gut befunden habt?"

„Nichts. Er merkt nicht einmal etwas davon, dass er geprüft worden ist." Phoenix scheint zu wissen, auf was ich hinauswill. Er kneift die Augen zusammen, als würde er meine nächste Frage nicht beantworten wollen.

„Und wenn ihr einen Menschen für schlecht befunden habt?", frage ich vorsichtig weiter. Mir wird speiübel. Bis jetzt habe ich gedacht, dass die Simrags den Leichen das angetan hatten.

Phoenix hält meinem Blick stand, obwohl Schmerz durch seine Augen zuckt. „Dann töten wir sie."

Intelligent - Phase 3Where stories live. Discover now