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Am nächsten Morgen dröhnt mir ein wenig der Kopf

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Am nächsten Morgen dröhnt mir ein wenig der Kopf. Ich schiebe es auf den Alkohol, den ich nicht gewöhnt bin, und stehe trotzdem pünktlich um acht Uhr auf. Sam neben mir grummelt, und ich mache schnell den Wecker aus, den ich mir gestellt habe. Auf meinem Weg durch unsere Zimmer schlüpfe ich in bequeme Trainingsklamotten und binde meine zerzausten Haare zu einem Zopf. Laurent schläft noch, als ich am Zimmer der Jungs vorbei gehe, nachdem ich mir schnell die Zähne geputzt habe. Kurz überlege ich, ob ich ihn für unsere Trainingssession wecken soll, doch er war gestern eindeutig zu angetrunken, als dass er jetzt mit Vergnügen aufstehen würde, also lasse ich ihn schlafen und tapse stattdessen möglichst leise auf den Gang.

Im Speisesaal ist nicht viel los. Acht Uhr morgens ist hier eigentlich eine späte Zeit zum Aufstehen, aber durch die Party sind die meisten spät ins Bett gegangen - und es ist Sonntag.

Ich nehme mir eine große Tasse mit Kaffee und mische mir ein Müsli. Es ist nicht sonderlich lecker, das habe ich schon am ersten Tag bemerkt, aber es wird am längsten vorhalten.

Die vereinzelten Achtzehnjährigen, die an den länglichen Tischen hocken, kenne ich nicht, deshalb setze ich mich allein in eine Ecke. Seit der weiterführenden Schule suche ich mir diesen Platz in Mensen aus. So habe ich alles im Blick, ohne dabei selbst im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen.

In meiner Nähe sitzt ein schlaksiger Achtzehnjähriger mit roter Brille und liest ein Comicheft. Unwillkürlich spiele ich das Spiel, das ich immer mit Jonah gespielt habe: ich male mir aus, wer der Junge ist, woher er kommt und was seine Leidenschaften sind. „Eindeutig einziger Sohn einer Alleinerziehenden", würde Jonah sagen und ihn genau beobachten. Er ist ziemlich gut in dem Spiel. „Er hat eine Katze namens Tobi, was ein absolut bescheuerter Name für eine Katze ist, wenn du mich fragst - das hat ihm auch seine kleine Schwester gesagt, die eine ausgeprägte Leidenschaft für Ballett besitzt und eines Tages Primaballerina sein will. Er zieht sie deswegen immer auf."

Ich stelle mir vor, wie er den Blick von ihm abwendet und mich ansieht. „Und, was sagst du?"

Er ist Einzelkind, hast du gesagt.

Ich seufze leise und stütze meinen Kopf mit der rechten Hand ab. Ich sollte aufhören, weiter an Jonah zu denken. Er ist nicht mehr Teil meines Lebens - das hat er selbst entschieden. Ich stutze. Hat er das? Von einem Gedanken gepackt greife ich nach meinem Bildschirm. Hastig klicke ich auf das Nachrichtensymbol und suche nach Jos Kontakt. Doch als ich auf unseren Chat schauen will, erscheint ein Textsignal. Dieser Nutzer ist nicht mehr verfügbar.

Enttäuscht packe ich meinen Bildschirm wieder zurück in meine Hoodie-Tasche. Ich weiß genau, was das bedeutet. Er hat mich blockiert, sodass ich keinen Kontakt mehr zu ihm aufnehmen kann.

Nachdem ich erfolgreich meine Trauer verdrängt habe, schiebe ich den letzten Löffel Müsli in meinen Mund und stehe entschlossen auf. Wenn er mich nicht mehr in seinem Leben haben will, weil ich gescheitert bin, ist er es nicht wert, dass ich weiterhin Gedanken an ihn verschwende.

Nachdem ich mein Tablett weggeräumt habe, mache ich mich auf den Weg zum Trainingssaal. Ich werde nicht auf Laurent warten, er hat das Training überhaupt nicht nötig. Warum er trotzdem mit mir trainiert, verstehe ich nicht ganz. Ist das seine Masche, um mir näherzukommen? Unwillkürlich muss ich schmunzeln. Unsere Beziehung hat eine Leichtigkeit, die mich sehr wohl fühlen lässt. Er verurteilt mich nicht, weil er mich dafür nicht gut genug kennt, und ich mag es, ihn zu ärgern. Ich weiß nicht, wohin uns das führen wird, aber ich bin endlich mutig genug, um es zuzulassen und auszuprobieren.

Plötzlich erstarre ich in meiner Bewegung. Am anderen Ende des Ganges habe ich Gelächter gehört, und ich ordne es unwillkürlich Phoenix zu. Ein unruhiger Schauer durchläuft mich. Ich habe Phoenix noch nie lachen gehört, wieso weiß ich, wie es sich anhört?

Ich mache sofort kehrt und presse mich in einer der verwinkelten Gänge an die Wand. Hier müsste er mich nicht sehen, und ich bezweifle, dass er vorhat, in einen Gang abzubiegen, in dem sich außer zwei Abstellräumen nichts befindet.

Mit klopfendem Herzen lausche ich den näherkommenden Schritten. Ich weiß nicht, was ich tue und warum. Andererseits ist mir klar, dass Phoenix der Einzige ist, der mir endlich Antworten zu den vielen Fragen liefern könnte, die sich immer mehr in meinem Kopf anstauen und einen unangenehmen Druck in meiner Brust verursachen. Als würde ich bald platzen.

Das heitere Gelächter ist verstummt und einer ernsten Stille gewichen, dessen Schwere ich bis in meinen Gang spüren kann. Der Gesprächspartner von Phoenix senkt seine Stimme, und ich muss genau hinhören, um weiterhin etwas verstehen zu können.

„Hast du bereits welche gefunden?"

Ich runzele die Stirn.

Phoenix schweigt, und ich glaube, dass er nickt. „Ja, habe ich."

„Wen?"

„Avelaine Newton."

Mein Herz setzt für einen Schlag aus, mir wird übel. Was?

„War das nicht die, die ...?"

„Ja."

Ich halte den Atem an, eine leise Vorahnung breitet sich in mir aus. Sie wissen Bescheid über den Rebellenslogan.

„Wieso hast du sie nicht gefangengenommen?", fragt der andere Mann weiter.

Das wüsste ich auch gerne.

Phoenix seufzt leise. „Sie ist zu wertvoll."

Die beiden gehen an mir vorbei, und ich presse mich fester an die Wand, den Atem anhaltend.

Gerade, als ich glaube, dass sie mich nicht entdeckt haben, wirft Phoenix einen kurzen, warnenden Seitenblick in meinen Gang. Das Blut gefriert mir in den Adern, als unsere Blicke sich treffen.

Der andere Mann, vermutlich einer der Wachen oder Ausbilder, bemerkt mich nicht. Nach ein paar Sekunden sind sie in einem anderen Gang verschwunden.

Was war das denn? Ich atme tief durch, versuche, meinen rasenden Puls zu beruhigen. Er hat mich gesehen. Phoenix hat gesehen, dass ich sie belauscht habe, und trotzdem nichts gesagt. War ich vorher schon verwirrt, kann ich jetzt kaum mehr einen klaren Gedanken fassen. Was zur Hölle?

Ich zwinge mich, das Chaos in meinem Kopf provisorisch zu ordnen, ehe ich aus dem Gang trete, mich kurz umsehe und mit steifen Knien weiterlaufe. Meine Augen brennen, und ich spüre das Kribbeln auf meiner Haut, das ich immer spüre, wenn ich in Phoenix' Nähe bin oder an das Wesen denke, dass das Leben aus Sam gesaugt hat. Das alles ist kein Zufall.

Ich weiß, dass Phoenix irgendwie in Verbindung mit dem Wesen steht, aber ich kann die wirren Puzzelteile einfach nicht ordnen, sodass sie ein Muster ergeben. Ich bin anscheinend bisher die Einzige, die eine unheimliche Begegnung hatte.

Die ausweichende Erklärung der Krankenschwester, dass eine Mutation für Sams Verletzungen verantwortlich war.
Phoenix, der mir unmissverständlich klarmachte, dass ich die Begegnung mit dem unheimlichen Schattenwesen für mich behalten sollte.
Der Rebellenslogan.
Ich, die nicht festgenommen wurde, obwohl man mich mit einer einzigen Handbewegung zum Tode verurteilen könnte.

Ich, wertvoll.

Intelligent - Phase 3Where stories live. Discover now