30. Kapitel

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Missmutig legte Henry den Telefonhörer auf. Jetzt würde er also den ganzen Abend alleine verbringen dürfen.

Dabei hatte er sich so darauf gefreut, Kate heute wiederzusehen und ihr von seinen winzigen Fortschritten mit der Physiotherapie zu erzählen, die sie jedes Mal feierte, als hätte er ein Wettrennen gewonnen.

Ihre kindliche Freude vermittelte ihm das Gefühl, wirklich etwas erreicht zu haben und ­­­das konnte er bei den zahlreichen Rückschlägen, die er zu verkraften hatte, nur zu gut brauchen.

„Dr. O'Ryan, haben Sie mein Handy irgendwo gesehen?" Amber betrat das Wohnzimmer.

Sie pustete auf ihre frisch lackierten Fingernägel, die einen entsprechenden Duft mitbrachten.

„Hast du in deinem Zimmer nachgesehen?"

Amber verdrehte die Augen. „Das war der erste Ort. Wenn es hier im Wohnzimmer nicht ist, muss ich es im Krankenhaus liegen gelassen haben." Sie zog unwillig einen Schmollmund.

„Oder Cookie hat es gestohlen." Henry warf dem Welpen einen vernichtenden Blick zu.

Amber lachte auf. „Ganz sicher." Sie hockte sich auf den Boden und sofort tapste der kleine Hund heran, um sich von ihr streicheln zu lassen.

„Du warst das nicht, oder? Du bist ein ganz Lieber." Sie kraulte ihm das Fell.

„Pff", machte Henry nur.

Dieses scheinheilige Tier! Dummerweise begann er langsam, es doch liebzugewinnen.

Und Kate oder Amber mit Cookie zu sehen war sowieso unbezahlbar. Er würde sich schon daran gewöhnen, wieder ein Haustier zu haben.

„Ich wollte eigentlich mit meiner Schwester telefonieren", murmelte Amber, halb zu sich selbst, halb zu ihm.

„Du kannst unser Festnetztelefon benutzen", bot er sofort an.

Amber blickte auf. „Ich weiß ihre Nummer nicht auswendig."

„Das ist natürlich doof", lächelte Henry. „Dann wirst du wohl oder übel den Anruf verschieben müssen und erst mal weitersuchen."

„Wir könnten wieder um die Wette suchen", bot Amber halbherzig an.

„Nee danke, ich will nicht noch einmal verlieren." Abwehrend hob Henry die Hände, ein leises Lachen auf den Lippen.

„Hast du gehört, Cookie? Wir sind ein unschlagbares Team." Sie hob eine Pfote des Welpen und klatschte damit ab.

Henry musste lachen. „Tja, dann haben wir wohl beide heute Abend niemanden zum Reden."

Erst als er die Worte bereits gesagt hatte, fiel ihm auf, wie falsch sie klangen.

Amber schien sich jedoch nicht daran zu stören. „Kommt Ihre Frau nicht bald nach Hause?"

„Sie bleibt länger, es ist eine OP dazwischengekommen."

„Oh." Amber hob überrascht die Augenbrauen. Kein Wunder. Kate operierte nicht allzu oft.

„Es ist eine Nierentransplantation. Sie operiert nicht selbst", schob Henry erklärend hinterher.

„Eine Lebendspende?"

Henry schüttelte den Kopf. „Ein Jugendlicher ist in Oklahoma von einem Auto angefahren worden und hat nicht überlebt. Er hatte die seltene Blutgruppe von Kates Patientin."

„Oh. Sowas ist immer hart. Stellen Sie sich vor, Sie leben die ganze Zeit mit der Gewissheit, dass Sie nur noch am Leben sind, weil ein anderer gestorben ist."

Whatever It TakesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt