6. Kapitel

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Kate blickte erleichtert auf, als sie hörte, wie Henry die Haustür aufschloss. Es war bereits nach Mitternacht und da ihr Mann über drei Stunden im Krankenhaus gewesen war, länger, als seine Schicht eigentlich gedauert hatte, hatte sie sich bereits Sorgen um ihn gemacht.

Daniel, der auf sie aufgepasst und sie nach den Vorfällen am frühen Abend beruhigt hatte, war vor einer Stunde nach Hause zu seiner Schwester gegangen, nachdem er sich mehrfach vergewissert hatte, dass es Kate wirklich gut ging.

Gut war zwar nicht das Wort, das sie wählen würde, aber besser definitiv. Das Gespräch mit Daniel hatte ihr gut getan. Obwohl sie eigentlich wusste, dass das, was passiert war, nicht ihre Schuld war, fiel es ihr schwer, das wirklich anzunehmen.

Sie hätte im Restaurant bleiben können. Sie hätte schreien können, sich wehren.

Kate griff nach ihrer Schüssel, aus der sie gerade geschnittenes Obst mit Joghurt gegessen hatte und die sie auf dem Wohnzimmertisch abgestellt hatte und ging in den Flur, um Henry zu begrüßen.

„Hey, Schatz." Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Seine kurzen Bartstoppeln kitzelten ihre Lippen, was ihr ein Lächeln entlockte.

Er zog sie an sich und schloss sie in seine Arme, was ihr ein ungemein wohltuendes Gefühl von Sicherheit vermittelte.

Nachdem Daniel vorhin gegangen und Henry noch immer nicht wieder da gewesen war, hatte sie ihre jüngere Schwester Charlotte angerufen, die zurzeit mit ihrem ersten Kind schwanger war.

Kate liebte es, mit anderen jungen Frauen ihrer Familie, die durch ihre Heirat mit Henry um einiges größer geworden war, Zeit zu verbringen und für sie da zu sein. Es gab ihr das wohltuende Gefühl, gebraucht zu werden.

Aber sie freute sich schon darauf, wenn es eines Tages nicht mehr nur ihre Schwestern und Schwägerinnen sein würden, um die sie sich kümmern konnte, sondern ihre eigenen Kinder.

Sie vermutete, dass Henry zurzeit noch keine Kinder wollte, obwohl sie darüber noch nicht richtig gesprochen hatten, aber sie selbst wünschte sich schon seit einigen Wochen nichts sehnlicher als das Wissen, für ein kleines, weiteres Leben verantwortlich sein und es umsorgen und lieben zu dürfen.

„Wie geht es den beiden Unfallopfern?", fragte Kate, um sich auf andere Gedanken zu bringen.

Henry hängte seine Jacke an den Haken und nahm sie dann in den Arm. „Der Autofahrer ist noch im Behandlungsraum gestorben, der, der im LKW saß, hatte im OP eine unstillbare Hirnblutung."

„Oh Henry." Kate biss sich auf die Lippe, als sie sich vorsichtig aus seinen Armen löste, um ihm ins Gesicht zu sehen. Eine vereinzelte Träne lief über seine Wange, die er jedoch mit einer wütenden Handbewegung wegwischte.

„Was wollten Mark und sein Freund dort?", fragte sie schließlich leise.

Henry seufzte, griff nach ihrer Hand und führte sie ins Wohnzimmer, wo Kate sich auf dem Sofa an ihn kuschelte, ihre Beine angezogen.

„Sie wollten eine Aussage von ihm, weil sie gegen ihn ermitteln. Hätte ich – „ Henry stockte. „Hätte ich ihn früher intubiert, anstatt so lange auf Mark zu warten... vielleicht hätte er dann überlebt."

Die Bitterkeit in Henrys Stimme war so ungewohnt, dass ihr eine Gänsehaut über den Rücken lief. Sanft begann sie, seinen Handrücken zu streicheln.

„Was sagt Dr. Stanley?", fragte sie schließlich, den Blick auf die kleine Flamme der Kerze auf dem Wohnzimmertisch geheftet.

„Er war nicht da. Es war mein Patient."

„Und Lynn?" Henry und Lynn arbeiteten beide in der Notaufnahme und übernahmen schwierige Fälle häufig zu zweit.

Whatever It TakesWhere stories live. Discover now