22.

1.1K 97 81
                                    

Harry

Hellwach lag ich am nächsten Morgen im Zelt und wagte es nicht, dieses zu verlassen.

Die ganze Nacht hatte ich kein Auge zugemacht, da ich unbedingt bei Sinnen sein wollte, falls es zu einem potentiellen Ableben von Anne und Annel kommen würde. Ich traute den beiden Landstreichern von gestern Nacht nämlich immer noch nicht und vermutete eine hinterhältige Intrige.

Plötzlich traf ein lautes Gähnen meine Gehörsinne.

Es kam direkt aus dem Nachbarzelt, in welchem die beiden deutschen Mädchen und ihre Gäste nächtigen.

"Hhyyyyaaaaaaangggggg... guten Morgen! Habt ihr zwei denn gut geschlafen?", fragte Anne höchstwahrscheinlich die beiden Eindringlinge.

"Eigentlich nicht... ich vermisse meine Mutter ganz schrecklich und habe Angst, nicht mehr nach Hause zu finden..", jammerte eines der Nomaden.

"Hab keine Angst, wir zeigen euch den Weg nach Hause!", sprach Anne wieder beruhigend auf die beiden ein.

"Huch! Was ist denn das?", schrie plötzlich ein anderes, männliches Landstreicherkind.

"ANNEL, ICH GLAUBE, ICH SEHE NICHT RECHT!", kreischte Anne laut und weckte somit noch alle übrigen V-Ritter aus ihren süßen Träumen.

"Es tut mir Leid, aber diese Windel stört mich einfach...", heulte Annel los.

Irgendjemand verließ das Zelt und ich wusste, dass es Anne war, als sie weitersprach:

"Wenn das jetzt noch ein einziges Mal vorkommt, dann schläfst du draußen! Hast du das verstanden?!", brüllte sie.

Ich schöpfte, von Anne's Vehemenz beflügelt, neuen Mut und lugte aus dem Zelt hervor. Nur so weit, dass mich Anne nicht entdecken konnte, ich jedoch das Spektakel ohne Hindernisse beobachten konnte.

Annel kroch aus dem Zelt und gleich hinter ihr kamen auch die beiden Serienmörder aus ihrem Unterschlupf.

Ein kalter Schauer lief über meinen Rücken.

Ich konnte meinen Blick nicht lange auf ihnen verharren lassen, da es in mir Emotionen auslöste, die ich nicht ertrug.

Ich fokussierte mich also wieder auf Anne und sah gerade noch, wie sie mit voller Wucht ausholte, um Annel eine Schelle zu verpassen, die sich gewaschen hatte.

Die Reaktion kam prompt wie erwartet: Annel schlug mit der gleichen Power zurück.

"Das hast du jetzt nicht getan!", schrie Anne weinend.

"Doch, du Arsch!", brüllte Annel zurück und fing sie gleich wieder eine Klatsche ein.

Die kleinere der Dornersisters hielt sich die Wange und schaute ihrer großen Schwester erst schmerzerfüllt an, als sich jedoch ihr Blick änderte, sie ihre Zähne fletschte, die Nase rümpfte und Anne's Nacktheit zu ihrem Vorteil nutzte.

Sie ballte ihre Fäuste und schlug auf ihren gesamten Körper ein.

Immer wieder beschimpften sich die Beiden mit unsäglichen Worten und schlugen dabei aufeinander ein.

"Rindvieh!"

"Mama mag mich lieber als dich!"

"Du bist dick!"

"Du hinkst in deiner körperlichen Entwicklung allen anderen in deiner Klasse hinterher!"

"Du hast keine Lippen! Kein Junge der Welt wird dich küssen wollen!"

"ACH JA? DAFÜR BIST DU EINE JUNGFRAU UND WIRST AUCH ALS SOLCHE STERBEN WEIL DICH KEINER KNÖDELN WILL!", schrie Annel mit letzter Kraft.

Plötzlich hielt Anne inne.

Sie legte fassungslos den Kopf schief und blickte Annel mit einem Gesichtsausdruck an, der so viel Verletztheit ausdrückte, dass auch mir die Tränen kamen.

Sie schüttelte langsam den Kopf und ging auf ihr Zelt zu. Dort holte sie ihr Kleid und streifte es sich über.

Sie trottete an den drei Kindern vorbei, die sie still beobachteten.

"Dann werde ich mein Kleid wohl wieder anziehen können. Ich hatte gehofft, dass mich jemand knödelnswert findet, wenn ich entweder ein neues, sauberes Kleid anhabe, oder nackt bin. Aber anscheinend bin ich es nicht. Niemand will mich", schluchzte sie mit gesenktem Kopf und stapfte in Richtung Wald.

Ich wusste, ich musste ihr hinterhergehen.

Deswegen entschied ich mich dazu, es Anne gleich zu tun und meinen Körper ebenfalls in Textil zu hüllen.

Hektisch schloss ich meine Gürtelschnalle und stolperte aus meinem nächtlichen Schlafgemach.

Schnell blickte ich um mich, um mich zu vergewissern, dass keine Gefahr lauerte und rannte in dieselbe Richtung, in die Anne zuvor ihren Weg einschlug.

Ich rannte, bis meine Lunge schmerzte.

Irgendwann kam ich an einer winzig kleinen Lichtung an und sah sie.

Anne saß zusammengekauert mitten da und weinte leise in ihre Knie.

Mein Herz tat weh, als ich sie so traurig dasitzen sah, denn ihr Kleid würde jetzt noch dreckiger werden.

Für ein paar Minuten beobachtete ich sie, bis ich mich schließlich kenntlich machte, als ich ihren Namen leise flüsterte:

"Anne...", ich versuchte meinem Haucher noch die nötige Dramatik zu verleihen.

Sie drehte sich erschrocken um. "Harry, was machst du hier?", fragte sie mit ein wenig Wut in der Stimme.

"Ich bin dir gefolgt", erklärte ich meine Präsenz.

"Das ist mir klar. Aber ich will alleine sein. Also bitte, geh wieder", pampte sie mir entgegen.

"Nein, ich werde nicht gehen, wenn du nicht mitkommst", erwiderte ich frech.

Mit einem entnervten Stöhner wand sie sich wieder mir zu. "Gut, dann kannst du lange warten, weil ich noch ewig hierbleibe."

"Nun gut. Wenn du meine aufmunternde Gesellschaft nicht zu schätzen weißt, werde ich gehen. Aber Anne, hör auf, so schlecht über dich selbst zu denken.

Du bist knödelnswert. Und wie."

Ich flüsterte meine letzten Worte erneut, um ihnen den Nötigen Ausdruck zu verleihen.

Dann stieß ich mich von dem Baum ab, an den ich mich die ganze Zeit gelehnt hatte. Anne schaute mich schockiert an und wollte etwas antworten, jedoch drehte ich mich in diesem Moment um, um mich auf den Rückweg zu machen.

MY OWN VIBRATOR (überarbeitet) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt