Kapitel 32, Part 1

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Sie sah furchtbar aus.

Ihre Haare hingen in wirren verklebten Strähnen am Kopf und ihre Klamotten wirkten, als hätte sie die bereits seit Tagen an. Was vermutlich auch der Fall war. Ihr Körper wirkte ausgezehrt und ich fragte mich, ob sie außer Wodka auch noch etwas anderes zu sich nahm. Ich bezweifelte es, da ich es war, die sie meistens zum Essen gezwungen hatte.

Juliette Shaw hatte eindeutig schon einmal besser ausgesehen.

Sie war schmutzig, ertrank in ihren Kleidern und ... trug sie überhaupt Schuhe? Von meinem Standpunkt aus, konnte ich meine Mom nicht so genau sehen, doch was ich sah, machte mich wütend. Sie torkelte zielstrebig die Straße entlang und ich wusste genau, wohin sie wollte. Ins Thommy's.

Ich sah sie zum ersten Mal, seit sie mich vor die Tür gesetzt hatte und am liebsten wäre ich hingerannt, um ... Was? Sie anzuschreien? Ihr vorzuwerfen, dass sie sich langsam umbrachte? Oder ihr einen Spiegel vor das Gesicht zu halten und sie zu fragen, ob sie sich noch selbst erkannte? Ich bezweifelte, dass sie das interessierte. Oder wollte ich sie anflehen, endlich meine Mom zu sein? Eine Person zu sein, die sich um mich sorgte, sich um mich kümmerte oder wenigstens eine Person, die sich darum scherte, ob ich am Leben war? Ich wusste es nicht und ich würde es auch niemals herausfinden, denn ich weigerte mich, in ihre Nähe zu kommen.

Wie ein verdammter Stalker schlich ich ihr seit fast einer Stunde hinterher und beobachtete sie aus den Schatten heraus. Völlig sinnlos eigentlich, denn ich könnte neben ihr hergehen und sie würde mich nicht bemerken. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, geradeaus zu gehen. Trotzdem wagte ich es nicht, mich ihr zu nähern.

Dass ich überhaupt hier war, grenzte an ein Wunder. Nachdem ich meine Bedingung genannt und den anderen gesagt hatte, dass ich meine Mom und Violet sehen wollte, war eine hitzige Diskussion entstanden. Sie wollten mich nicht gehen lassen. Zu blöd, dass ich ebenfalls nicht ging, ohne vorher meine Familie gesehen zu haben. Stella, die Stimme der Vernunft, verstand natürlich mein Bedürfnis, mich zu verabschieden. Sie schlug vor, dass die Jungs mich begleiteten und ein Auge auf mich hatten. Das wehrte ich jedoch entschieden ab. Ich brauchte niemanden, der mir unentwegt im Nacken saß und mich zur Eile drängte. Außerdem war eine Horde bewaffneter Jungs, die ein Mädchen verfolgten, viel auffälliger, als wenn ich alleine ging.

Nach einer halben Stunde sinnloser Streitereien, entschieden sie, dass mich wenigstens einer der Jungs begleiten sollte. Alle sahen zu Will, der die ganze Zeit kein Wort gesagt hatte und erwarteten offensichtlich, dass er mich begleitete. Fast hätte ich darüber gelacht. Ich durchbrach die peinliche Stille, indem ich Kyle bat, mit mir in die Stadt zu fahren.

„Vielleicht muss ich ja wieder über einen Zaun klettern und brauche einen Heiler", sagte ich grinsend und hoffte, dass ich damit die fragenden Blicke beseitigte.

„Du nutzt mich und meine Fähigkeiten wirklich nur aus, kann das sein?", erwiderte Kyle lachend und setzte sich auf meine Stuhllehne. „Ich dachte, wir sind inzwischen weitergekommen." Er setzte ein übertrieben betrübtes Gesicht auf und ich musste lachen. Er verstand es wirklich, eine unangenehme Situation aufzulockern.

Unvermittelt sprang Will auf und verließ schnaubend das Wohnzimmer. Nate und Eric blickten ihm verwirrt nach und ich bemühte mich, um einen neutralen Gesichtsausdruck. Die Sache war entschieden.

Nun waren wir hier und schlichen meiner Mom hinterher, die ihren üblichen Weg von der Wohnung zur Bar torkelte. Kyle blieb die ganze Zeit in meiner Nähe. Er wollte mir Raum geben, mich aber gleichzeitig im Auge behalten.

Er räusperte sich und ich musste grinsen. Ich hatte mich schon gefragt, wann er endlich etwas sagen würde. Er war für seine Verhältnisse unnatürlich still gewesen, was mich ehrlich gesagt etwas nervös gemacht hatte. Grinsend wandte ich mich ihm zu und hob fragend die Augenbrauen.

Heart of FireWhere stories live. Discover now