Kapitel 6

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Nach der Schule lief es auch nicht viel besser. Als Vi tatsächlich bei unserem Training auftauchte, hörte Will nicht mehr damit auf, mich anzubrüllen. Er warf mir vor, total verantwortungslos zu sein und mich nur um mich selbst zu sorgen.

„Denkst du denn niemals an die Konsequenzen?", warf er mir zum gefühlten hundertsten Mal vor. „Was passiert, wenn du die Kontrolle verlierst und sie verletzt? Denkst du, du kannst damit leben?"

Konnte ich nicht.

Das hatte ich Vi auch unzählige Male gesagt. Als meine Kräfte immer häufiger und unkontrollierter auftauchten, hatte ich versucht, mich von ihr fernzuhalten. Ich wollte ihr nicht wehtun und zog mich aus diesem Grund zurück. Lieber beendete ich unsere Freundschaft, als dass ich sie ernsthaft verletzte. Leider hatte ich nicht mit ihrer Dickköpfigkeit gerechnet. Je weiter ich mich von ihr zurückzog, desto enger klammerte sie sich an mir fest. Bildlich gesprochen. Sie ließ mir keinen Freiraum, begleitete mich nach Hause, verteidigte mich vor den anderen. Sie ging richtig auf in ihrer Rolle als Bodyguard. Wenn sie zu dieser Zeit nicht mein Schatten gewesen wäre, hätte sie nie gesehen, wie ich meine Kräfte nutzte und sie hätte mich irgendwann in Ruhe gelassen.

„Niemals!", behauptete sie immer wieder, wenn wir auf die Sache zu sprechen kamen. „Ich wusste, dass es einen Grund für dein Verhalten gibt. Ich musste nur hartnäckig bleiben und wusste, du würdest einknicken." Als ich nach einiger Zeit immer weniger unkontrollierte Anfälle hatte und wusste, wie ich die Sache halbwegs unter Kontrolle halten konnte, machte ich mir auch weniger Sorgen. Vi war stark. Und extrem stur. Ich brauchte sie einfach an meiner Seite. Klar war das egoistisch von mir, aber war es zu viel verlangt, einen einzigen Menschen an meiner Seite zu haben, der mich nicht mied, als hätte ich eine unheilbar ansteckende Krankheit?

Das sagte ich auch Will, der mich daraufhin wieder mit diesem vernichtenden Blick maß. Ob er den vor dem Spiegel einstudierte?

„Ich stehe übrigens direkt neben euch, Leute", warf meine beste Freundin in die eintretende Stille ein. Will und ich musterten uns weiterhin abschätzig. Seine violetten Augen schienen sich in mich zu brennen.

„Hallo?" Vi war noch nie gut darin gewesen, ignoriert zu werden. „Ich bin durchaus in der Lage, auf mich aufzupassen. Und Fin ist nicht halb so gefährlich wie sie glaubt."

Abrupt wandte sich Will meiner besten Freundin zu. „Nicht gefährlich?"

Oh Mann, jetzt ging es los.

„Sie könnte mit einer einzigen Armbewegung die ganze Stadt in Schutt und Asche legen. Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit und alle Menschen in ihrer Umgebung wären nichts weiter als ein Haufen Asche. Das nennst du ungefährlich?"

„Sie weiß schon, was sie tut", sagte Vi dagegen. „Sie würde niemanden verletzen!"

„Nicht absichtlich." Will sprach mit seiner Mentor-Stimme. „Aber wenn sie die Kontrolle verliert, kann das böse enden. Ich habe Leute gesehen, die in einem Wutanfall ihre gesamte Familie abgefackelt haben." Violet und ich schnappten erschrocken nach Luft. „Schon mal von den ganzen Waldbränden in Kalifornien gehört? Nicht immer ist die Hitze daran schuld." Jetzt war er richtig in Fahr.

Als Will fragte, wie oft ich denn schon die Kontrolle verloren hatte und wie knapp es gewesen war, dass irgendjemand merkte, was ich tat, konnte Violet nur behaupten, dass bisher immer alles gut gegangen war.

Wie oft war ich kurz davor gewesen, jemanden zu verletzen? Wie nah dran, aufzufliegen? Aber Will hatte kein Recht, mir deswegen Schuldgefühle einzureden. Ich tat, was ich konnte. Ich war nicht so nutzlos wie er dachte.

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