Kapitel 11

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Bereits als Kind war ich nicht gerade für meine Geduld bekannt. Ich aß schon immer lieber den Nachtisch vor dem Hauptgericht, weil ich nicht so lange auf die Belohnung warten konnte oder blätterte in Büchern bis zum Ende, weil ich wissen wollte, ob auch alles gut ausgehen würde. Selbst in Filmen wollte ich immer das Happy End zuerst sehen, damit ich wusste, worauf ich mich freuen konnte. Deshalb liebte ich es auch, zu fotografieren. Ein Bild verbarg nichts vor einem, es machte die Dinge klarer.

Gerade jetzt wünschte ich mir auch, ich könnte klarer sehen oder bis zum Ende vorspulen und sehen, wie die Sache ausgeht. Will stand immer noch an derselben Stelle und starrte mich an. Nicht mehr so wütend wie vorhin, aber er legte genug Feindseligkeit in seinen Blick, damit mir bewusst war, dass ich ihn besser nicht ansprach. Leider neigte ich dazu, in unpassenden Momenten den Mund aufzumachen und das zählte – neben meiner chronischen Ungeduld – zu meinen weniger guten Eigenschaften.

„Wollen wir jetzt um die Wette schmollen?" Da er anscheinend noch nicht wütend genug war, legte ich noch einen Hauch Sarkasmus in meine Aussage, um eine Reaktion zu provozieren. Der tobende Will war mir ehrlich gesagt lieber als diese reglos starrende Version.

Das kleine Zucken seiner Lippen verriet ihn und signalisierte mir, dass er mich zumindest hörte. Langsam löste sich seine starre Haltung auf und er rollte seine Schultern. Er dehnte seinen Nacken und ließ mich dabei nicht aus den Augen. Da er sich offensichtlich wieder etwas entspannt hatte und meine Geduld am Ende war, ging ich auf ihn zu. Einen halben Meter vor ihm blieb ich stehen und sah ihn auffordernd an. Dabei stieß ich ihm meinen Zeigefinger in die Brust.

„Was zur Hölle sollte das gerade?" Ich stemmte meine Arme in die Hüften, um wenigstens eine Spur Ernsthaftigkeit zu vermitteln. Er zog lediglich eine Augenbraue in die Höhe und zuckte lässig die Schultern. „Ich meine es ernst, Will! Du kannst nicht einfach so auf Leute schießen, die du nicht leiden kannst."

„Wieso nicht?", war alles was er zu sagen hatte.

„Weil ... Naja, du kannst nicht einfach ... Man macht es einfach nicht!"

„Und das von der Meisterin der Selbstbeherrschung?" Wollte er mich provozieren? Falls ja, dann machte er seine Sache wirklich gut. Ich war schon wieder auf hundertachtzig.

„Du bist doch derjenige mit der Superbeherrschung, oder nicht?" Ich untermalte das Wort mit Anführungsstrichen.

Und da geschah es.

Der unnahbare Will, der die Situation immer kontrollierte und vor Selbstvertrauen strotzte, wurde tatsächlich rot! Verlegenheit stand ihm, das musste ich zugeben. Ließ ihn irgendwie menschlicher wirken.

„Der Kerl ist ein Idiot", murmelte er leise.

„Ich wette, dass er das Gleiche über dich sagt. Und lenk nicht vom Thema ab. Was ist dein Problem?"

Er antwortete nicht. Natürlich nicht. Mir reichte es. Ich war mit meinen Nerven am Ende und hatte Hunger. Seufzend stieß ich die angestaute Luft aus und trat einen Schritt zurück. Ich sah ihn noch einmal auffordernd an und als er immer noch nichts sagte, murmelte ich leise: „Dann eben nicht."

Ich ging um ihn herum und wollte mich auf den Weg zu Stella machen, damit ich endlich nach Hause gehen konnte. Für mich war der Ausflug hiermit beendet.

„Warte." Das Wort kam zögerlich, doch eindringlich und ließ mich stehen bleiben. Langsam drehte ich mich zu ihm um und warf ihm einen fragenden Blick zu.

„Du warst ziemlich lange weg und ich habe mich mit Stella unterhalten. Dabei kamen ein paar alte Geschichten hervor." Er runzelte die Stirn. „Wir waren nie die besten Freunde, Stella und ich. Sie hat mir vorgeworfen, dass ich ..." Er beendete den Satz nicht und fuhr sich frustriert durch die Haare. Ich wusste, was sie ihm vorgeworfen hatte, schließlich hatte ich den Streit mit angehört. Dennoch wollte ich es gerne von ihm hören.

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