Kapitel 4

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„Bitte setzen Sie sich, Miss Shaw", sagte Dr. Spencer, die Vertrauenslehrerin unserer Schule, mit einem Lächeln, das strahlend weiße Zähne offenbarte. Sie deutete mir an, in ihrem winzigen Büro Platz zu nehmen, schob ihre Brille auf die Nasenspitze und musterte mich eindringlich. Ihr Blick kam mir einstudiert vor und ich fragte mich, ob man den an der Uni lernte.

Wie wirke ich professionell – Eine Einführung.

Anscheinend hatte es die gute Dame aber nie über den Einführungskurs hinausgeschafft, denn sie wirkte auf mich etwas zu gestellt, um als professionell zu gelten. Mit ihren hochtoupierten dunklen Haaren und der Brille, die sie bis auf die Nasenspitze geschoben hatte, sah sie aus wie eine verdrehte Version von Fran Drescher, in ihrer Rolle als die Nanny.

Ich setzte mich und sah mich nervös im Raum um. Es gab nicht viel zu sehen, bis auf ein paar Diplome an der Wand und ihren protzigen Schreibtisch. Keine Fotos, keine Bilder und keine Chance, zu fliehen.

„Sie wollten mich sprechen?", fragte ich unruhig.

Als ich nach meiner Unterhaltung mit Will wieder im Unterricht war, versuchte ich so zu tun, als würde ich dem Vortrag meiner Englischlehrerin über die englische Thronfolge lauschen. Die Assistentin der Vertrauenslehrerin kam herein und überbrachte mir die Nachricht, dass Dr. Spencer mit mir sprechen wollte. Ich sollte mich nach dem Unterricht bei ihr melden. Das kurze Erscheinen der Assistentin löste die unterschiedlichsten Reaktionen in der Klasse aus. Neben meinem leisen „Ist gut" folgten geflüsterte „Wurde auch Zeit" und nicht ganz so leise „Jetzt kommt sie in die Gummizelle".

Violet drückte beruhigend meine Hand, zog sie jedoch schnell wieder weg, da ich vor Frustration Hitze ausstrahlte. Ihr einen entschuldigenden Blick zuwerfend, versuchte ich, mich zu beruhigen.

Jetzt saß ich hier, im Büro einer Psychotante – Entschuldigung, einer Vertrauenslehrerin – und wartete auf ihr Urteil.

„Mir sind wieder einige Vorfälle, Ihre Person betreffend, zu Ohren gekommen, Miss Shaw", begann sie ruhig zu sprechen. „Sie scheinen neuerdings zu Gewaltausbrüchen zu neigen. Können Sie mir sagen, was los ist? Ist bei Ihnen zu Hause alles in Ordnung?"

Ernsthaft?

Das war das dritte Mal in diesem Semester, dass Dr. Spencer mich auf meine Familienverhältnisse ansprach. Sie war erst seit ein paar Monaten an der Schule und hatte anscheinend genug gehört, um mich regelmäßig in ihr Büro zu zitieren. Vermutlich half es auch nicht, dass meine Mom sie am Telefon angeschrien hatte, als Dr. Spencer sie zu einer Sprechstunde bitten wollte.

„Es ist alles in Ordnung", versicherte ich ihr. Das sagte ich ihr jedes Mal.

„Wie geht es Ihrer Mutter?", bohrte sie weiter.

„Alles gut." Meine Hände ballten sich zu Fäusten und ich unterdrückte den Drang, ihr ins Gesicht zu springen.

„Ich habe noch einmal versucht, Ihre Mutter zu einem Gespräch zu bitten, aber sie schien nicht bereit dazu zu sein."

Natürlich nicht. Es geht ja um mich.

Mit sarkastischen Kommentaren kam ich jedoch nicht weiter und ich musste mich beeilen, wenn ich Will am Sportplatz treffen wollte. Also biss ich die Zähne zusammen und zwang mir ein falsches Lächeln ins Gesicht.

„Sie hat gerade viel Stress", ließ ich sie wissen.

Sie schrieb etwas auf ihren Kalender und musterte mich über ihre Brille hinweg mit gerunzelter Stirn. Ließ sie mich jetzt endlich gehen?

Heart of FireWhere stories live. Discover now