Virginia - Heimkehr und eine schlaflose Nacht

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Für einen kurzen Moment stand ich in der Eingangshalle und ließ unser Haus auf mich wirken. Es ist jedes Mal wieder ein Gefühl von Zufriedenheit, wenn ich es betrat nach einer Reise.
Mit Michael ging ich schon vor um mich umziehen zu lassen. Ich wollte wieder einfache Kleidung tragen und endlich aus diesen dicken Stoffen heraus.
Mrs Wallace wies ich auch gleich an, dass sie Edwards Sachen direkt in sein Zimmer bringen und schon für die Nacht alles richten solle für ihn. Hier bezieht er, wie Alex und ich es besprochen hatten, sein eigenes Reich ab jetzt.
Entsetzt sah mich aber meine Gattin an, brachte aber keinen Satz über die Lippen.
„Master Kenway, der Kamin ist bereits angefeuert. Ich werde schon einmal das Wasser für die Seife erwärmen und eure Garderobe herauslegen." Mein Kammerdiener schlängelte sich um die Mädchen herum, die bereits angefangen hatten, die Schmutzwäsche aus den Truhen zu holen und die anderen Kleidungsstücke zu verräumen. „Wo ist denn ... ah, nein ... Stefanie, lass die Finger von dieser Tasche, die brauche ich gerade..."
Ich begann den Gehrock aufzuknöpfen und besah mich kurz im Spiegel. Ja, eine Rasur würde mir sicherlich nicht schaden. Leider war es an Bord nicht immer möglich für eine gründliche Haarentfernung, entweder lag es am Seegang oder die Zeit fehlte mal wieder.

Michael begann mich einzuseifen, als auch Alex endlich erschien mit Magda.
Immer noch beäugte sie mich etwas böse. Nachher wenn wir etwas Ruhe hatten, sollte ich ihr noch einmal meine Entscheidung erklären. Bis dahin genoss ich die Zuwendung und Wäsche, genau wie meine Frau auch.
Es tat gut frisches Wasser wieder auf der Haut zu fühlen, auch wenn es etwas kalt war.
Ich bat dann die Hausmädchen hinaus, weil Magda und Michael uns einkleiden sollten. Fertig angezogen, frisch rasiert und ein wenig aufgewärmt, fühlte ich mich wieder wohler in meiner Haut.
Alex stand in ein warmes Wollkleid gekleidet vor dem Spiegel, während ihre Kammerzofe die Haare machte. Ich lehnte mich an den Türrahmen und sah ihnen einfach dabei zu.
Meine Frau bemerkte meinen Blick, entgegnete ihn mit einer gerunzelten Stirn, sagte aber, wie ich auch, nichts.
Ich genoss ihre wachsende Verunsicherung, ob ihres schlechten Gewissens.
Es funktioniert immer noch, mi sol. Sei dir sicher, du gehörst mir und ich habe gerade wieder gemerkt, dass es mir einen wohligen Schauer beschert, wenn ich dich so aus der Fassung bringen kann. Mit einem einzigen Blick.
Ab und an konnte ich fies sein, ich erwähnte es bestimmt schon einmal.

Im Wintergarten wartete bereits Edward auf uns, weil wir noch zu Abend essen wollten. Ich freute mich darauf, auch wenn der Smutje der Jackdaw immer hervorragend gekocht hatte.
„Hunger!" rief mein Sohn laut und griff nach seinem Teller.
„Nein, du wartest, bis wir alle am Tisch sind, Edward." So langsam sollte er Manieren bei Tisch lernen, wenn er mit uns gemeinsam aß. Natürlich passte Alex wieder meine Art nicht, wie ich an ihrem genervten Gesichtsausdruck feststellte. Trotzdem wartete sogar sie, bis ich saß und mit Essen begann, stellte ich erfreut fest.
Vielleicht sollte ich beizeiten auch ein Tischgebet einführen, im Grunde fehlten mir einige Kleinigkeiten die man als Familie üblicherweise tat.
Nach dem hervorragende Essen von Miss Tabea, welche Mrs Wallace würdig in der Küche abgelöst hatte, konnten wir uns noch ein wenig akklimatisieren.
Edward hatte einen Teil seines Spielzeugs hier unten auf einer Decke vor dem Kamin, damit wir ihn im Auge behalten konnten. Auch er brauchte jetzt noch einen Moment um wieder hier anzukommen.

Es dauerte nicht lange, da wurde er müde und ich muss gestehen, mir fielen auch langsam die Augen zu. Diese Ruhe, der feste Boden unter den Füßen und die Wärme des Feuers taten gut und machten uns alle schläfrig.
Wir lagen noch nicht ganz, da hörte man unseren Sohn lauthals weinen und was machte meine Frau? Sie sprang regelrecht aus dem Bett und eilte hinüber.
Kurz darauf war sie wieder in unserem Schlafzimmer.
„Alex, jetzt lass Edward doch einfach zur Ruhe kommen. Er wird schon aufhören zu weinen. Du musst nicht gleich immer aufspringen!" Er musste lernen, dass er jetzt auch hier sein eigenes Zimmer hatte. In Frankreich hatte es doch auch funktioniert.
Ich muss nicht erklären, dass es meine Gattin nicht interessierte, was ich sagte. Sie ging bei jedem kleinsten Mucks sofort wieder hinüber, auch wenn ich immer betonte, dass sie ihn so zu sehr verwöhnen würde. Ich brachte einige Argumente an, aber alle stießen sie auf die tauben Ohren einer Mutter aus dem 21. Jahrhundert, wo es vermutlich ganz anders ablief.
Irgendwann kam sie gar nicht wieder!
Also hatte sie sich ganz meiner Mahnung widersetzt und sich bei ihm einquartiert! In mir begann es zu kochen. Es war ein Unding, dass sie mich in solchen Erziehungsfragen überging!
Mein Schlaf war entsprechend unruhig, weil ich darüber nachdachte, wie ich dieser sturen Preußin meine Sicht erklären sollte. Aber um eine Lektion würde sie eh nicht mehr herumkommen. Dieser Gedanke ließ mich etwas – nunja – in andere Gefilde meiner Gedanken abtauchen und ich glitt in den Schlaf.

Das Tagebuch des Haytham E. Kenway - Part 4Where stories live. Discover now