211. Eine alte Legende

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Dorothea ging gemeinsam mit Seren und Shiroi durch den Wald. Die Piraten sahen sich fasziniert um, denn irgendwie strahlten die Pflanzen auf dieser Insel etwas aus, was anders war, als bei gewöhnlicher Vegetation, die man so kannte. Sie konnten sie genauso wahrnehmen, wie die Energie von Menschen. Ob darin auch die unstetige Magnet Strömung begründet lag? Zumindestens wäre es eine Erklärung, die der Kapitänin logisch erschien. "Da vorn ist es.", deutete die Jüngere geradeaus.

Die Drei kamen vor einer Gruft an, die von Efeu bewachsen war und teilweise bröckelte der Marmor bereits. Die Säulen waren mit Schlangen verziert und über dem Tor prangte ein funkelnder roter Edelstein. Die massive Doppeltür stand einen Spalt offen. Langsam schob Shiroi sie ganz auf und ging mit den Frauen hinein. Im Inneren entzündete Dorothea eine Fackel mit einem Streichholz, bevor sie die Treppe hinab stiegen und sie auch die anderen Lichtquellen an den Wänden entfachte. Als die Stufen endeten, folgten sie einem Gang, der doch eher schmal anmutete und das Gestein zu ihren Seiten war feucht, sogar schon nass. Feine, flüssige Rinnsale rannen gen Boden und die Schritte des Grüppchens verursachten platschende Geräusche, wenn ihre Füße eine Pfütze erwischen.

Sie erreichten einen türlosen Raum, in dem sich ein Block aus schwarzem Marmor befand. Mit nachdenklichem Blick trat Seren darauf zu und fuhr mit ihrer Rechten über das glatte und noch immer makellose Material. "Ist das ein Sarg?", fragte sie irritiert nach. "Ja. Und ein Altar.", antwortete die Jüngere. Die Piratin besah sich die kunstvollen Bildhauereien an den Seiten. Viele Menschen waren zu erkennen, aber auch Tiere. Man konnte nicht genau sagen, ob sie auf etwas zu oder vor etwas wegliefen. Dann waren da noch Sterne, der Mond und einige Bäume. Ungewöhnlich waren die glitzernden roten Edelsteine, die den Kreis am Himmel schmückten. Ihre Hand glitt in Richtung der Dinge, die oben auf dem Block standen. "Das solltest du nicht anfassen.", mahnte Dorothea. Mit einem fragenden Gesichtsausdruck drehte sich die Blondine zu ihr herum. "Es sind Opfergaben und sie gehören ihr.", deutete sie auf den Sarg. "Wer war sie?", kam es von Shiroi. "Sie war nicht. Sie ist und sie wird immer sein.", meinte die Jüngere ehrfürchtig.

"Es gibt eine alte Legende. Diese Frau, deren Name lange in Vergessenheit geraten ist, war mächtig. Sie hatte unglaubliche, unbegreifliche Kräfte. Zu ihren Lebzeiten wurde ihr alles genommen, was sie hatte. Sie verlor Familie, Freunde und die Liebe. Man hatte sie verraten. Die Menschen, denen sie vertraute, hatten sie hintergangen und verkauft. Das Einzige was ihr blieb, war ihre Macht. Doch die alleine kann ein Herz nicht erfüllen. Durch sie war sie lediglich in der Lage, Rache zu nehmen. Allerdings bringt die keinen Frieden mit sich. Nach vielen Jahren der Trauer und des Bedauerns starb sie einsam und alleine. Das Leben ist lang, wenn man etwas bereut. Ein einzelner Moment kann eine Ewigkeit dauern. Man kann sich also nur vorstellen, wie lange sie auf den Tag ihres Endes gewartet haben muss. Deswegen war ihr letzter Wille auch nicht verwunderlich. Niemand sollte ihre letzte Ruhe stören. Es war das Einzige, was ihr gehörte nach all ihren Verlusten und so sollte es auch bleiben, bis die Welt in sich zerfällt. Sollte es sich jemand wagen, dagegen zu verstoßen, würde sie diese Menschen heimsuchen und sie mit einem Fluch belegen. Diese Verbrecher sollten dann erfahren, was es bedeutet, schier unendlich zu leben und auf den Tod zu warten." Bei dieser Geschichte ging der Kapitänin unweigerlich ein Schauer über den Rücken und alle ihre Härchen stellten sich auf.

"Klingt doch gar nicht mal so schlimm.", zuckte Shiroi die Schultern. "Ich weiß ja nicht.", murmelte seine Frau. "Ewig leben und am Besten auch nicht altern? Ich hätte nicht für immer ein Kind bleiben wollen. Und überhaupt..." Mit aufgerissenen Augen fuhr sie herum und griff sich dann angespannt in den Nacken. Es hatte sich angefühlt, als hätte der kalte Atem von jemandem sie an dieser Stelle gestreift. "Was ist los?", wollte ihr Mann alarmiert wissen. "Jemand hat gegen meinen Hals gepustet.", murmelte sie leise. "Süße, das wird ein Windzug gewesen sein.", versuchte er sie zu beruhigen. "So ein Unsinn. Es gibt hier nur einen Zugang. Das kann nicht der Wind gewesen sein.", gab sie scharf zurück. Tatsächlich wurde ihr regelrecht schlecht, weil sie wirklich Angst bekam. Nur aufgrund einer Gruselgeschichte? Das war doch nicht möglich. "Vielleicht gehen wir besser wieder raus und ich zeige euch noch was anderes.", schlug die Rothaarige vor. "Aber keine düsteren Legenden mehr.", warf Seren ihr einen zweifelnden Blick zu. "Versprochen.", nickte Dorothea, die es offensichtlich amüsierte, dass diese paar Worte, die ansich taff wirkende Frau, so verunsichert hatten.

Flamme der Freiheit Teil 2 🗸Where stories live. Discover now