Teil 87

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Sofy

Ich lief einfach drauflos. Ohne eine bestimmte Richtung anzuvisieren. Ich wollte einfach nur weg. Weg von hier. Weg von meiner Schwester. Weg von allem. Die Tränen liefen und verschleierten meine Sicht. Vermutlich war das der Grund, wieso ich eine kleine Unebenheit im Boden nicht merkte, in ein Loch trat und dabei so umknickte, dass ich hinfiel. Mein Fuß tat höllisch weh und weil ich so doof gefallen war, hatte ich mir natürlich auch die Knie aufgeschlagen. Nun saß ich da und vergrub schluchzend mein Gesicht in meinen Händen. Der Spruch meiner Schwester hatte mir dann doch den Rest gegeben, hatte mich unendlich tief verletzt. Tief in meinem Inneren war mir klar, dass sie so dachte. Aber das nun auch so zu hören, tat verdammt weh. Und ich verstand einfach nicht, wieso. Was hatte ich ihr denn getan? Wir waren doch Schwestern … Und trotzdem wünschte sie sich, ich wäre tot.
„Sofy! Gott sei Dank. Hier bist du“, Wincent kam auf mich zu und ohne ein weiteres Wort zu sagen, setzte er sich zu mir und zog mich einfach in eine feste Umarmung. Da brach endgültig alles aus mir heraus und ich wusste nicht, ob es einzig und allein der innere Schmerz war, der dies auslöste, oder ob mein schmerzender Knöchel ebenfalls seinen Beitrag leistete. Aber es tat gut, dass Wincent da war und mir Halt gab. Das ich mich einfach an ihm festhalten konnte. „Es tut mir leid, dass ich dich zum Bleiben überredet habe“, murmelte er, „Ich hätte deine Sorgen gleich viel ernster nehmen müssen.“ „Es ist nicht deine Schuld. Du wolltest das Richtige machen“, antwortete ich und wischte mir durch das Gesicht, „Und Mike im Prinzip auch. Ich weiß einfach nicht, was ich Ina getan habe, dass sie mich so hasst. Wir sind doch Schwestern. Und zu wissen, dass sie mich lieber tot gesehen hätte …“ „Vielleicht sieht sie dich als Konkurrenz … Das erklärt den letzten Spruch jedoch nicht. Bitte. Nimm dir das nicht so sehr zu Herzen … Ich weiß, ich sage das so einfach, aber sie ist es wirklich nicht wert“, während er dies sagte, strich er mir mit der Hand über den Rücken und hielt mich ganz fest, „Möchtest du, dass wir nach Hause fahren?“ Ich nickte nur, merkte aber beim Versuch aufzustehen, dass ich mit meinem linken Fuß nicht auftreten konnte, weil es so wehtat. Verzweifelt klammerte ich mich an Wincent. „Was ist mit deinem Fuß? Und deine Knie. Man du blutest, fuck.“ „Ich bin nur hingefallen. Ist nicht so schlimm“, murmelte ich, „Hab das Loch nicht gesehen und bin umgeknickt.“ „Nach ‚ist nicht so schlimm‘ sieht mir das aber nicht aus, du kannst gar nicht wirklich auftreten. Wir sollten lieber ins Krankenhaus fahren, dass sich das ein Arzt ansieht.“ Ich schüttelte den Kopf: „Das geht morgen wieder. Ich möchte einfach nur nach Hause, bitte.“ Er zögerte, nickte dann aber und hob mich dann einfach hoch. Beim Haus meines Bruders angekommen, setzte er mich vorsichtig ab und hielt die Hand auf: „Autoschlüssel?“ „Wofür?“ „Na ja. Du fährst jetzt ganz bestimmt kein Auto mehr.“ Da hatte er wohl recht. Mit dem Fuß ging das sicher nicht. Ich hatte gerade den Schlüssel aus meiner Tasche gekramt, als mein Bruder aus dem Garten gerannt kam. „Mäuschen. Es tut mir so leid. Es war eine doofe Idee.“ „Glückwunsch zu diesem Geistesblitz“, antwortete ich kühl, obwohl ich meinem Bruder eigentlich nicht sauer sein konnte. „Ich werde mit Ina reden. Sie hat definitiv eine Grenze überschritten. Ich schätze, ihr wollt jetzt fahren? Melde dich bitte.“ Ich nickte nur und ließ mich auf den Beifahrersitz sinken, ohne mich von meinem Bruder zu verabschieden. Ich bekam noch mit, wie er uns Wincent kurz sprachen, dann stieg auch Wincent ein, stellte den Sitz auf sich ein und fuhr vom Hof. „Wir können zu mir fahren, der Weg ist kürzer und du solltest deinen Fuß lieber hochlegen“, schlug Wincent vor, „Außer … du möchtest lieber allein sein?“ Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte definitiv nicht allein sein, sondern bei Wincent bleiben. „Ich … möchte lieber nicht allein sein“, gab ich leise zu.

Vielleicht irgendwann (1)Where stories live. Discover now