Teil 27

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Sofy


Mir war nicht bewusst, wie lange wir so dort saßen. Ich hatte mein Zeitgefühl komplett verloren. Erst Melina brachte dies ein wenig zurück, als sie anmerkte, dass es inzwischen recht spät geworden war und wir morgen ja früh raus mussten. Klar. Die Arbeit rief. „Ich ... denke ich werde mir die Woche freinehmen. Ich schaff das nicht", entgegnete ich verzweifelt. Ich schaffte es kaum, mein Bett zu verlassen, wie sollte ich es dann zur Arbeit schaffen? „Lass dich krankschreiben", entgegnete Melina, „Ich finde es aber nicht gut, wenn du dann jeden Tag hier allein bist. Das bereitet mir Bauschmerzen Sofy, da mache ich mir doch zu viele Sorgen." „Sie hat schon recht", mischte sich Wincent ein, „Hast du Familie in der Nähe, die du besuchen könntest?" Wincent und ich kannten uns kaum, er und Melina noch weniger und schon pflichtete er ihr bei. Ich verstand sowieso noch immer nicht, wieso er sich das hier antat. Er konnte doch auch sein Leben genießen, ohne sich mit meinen Problemen rumzuschlagen. „Ich könnte wohl meine Eltern besuchen. Die liegen mir damit eh schon länger in den Ohren", murmelte ich, wobei mir der Gedanke nicht ganz so gefiel. Ich liebte meine Eltern, wirklich. Nur leider vergötterten beide Timo, weshalb ich Angst vor ihrer Reaktion hatte. Aber damit wollte ich die Zwei nicht auch noch belasten. Also griff ich nach meinem Handy, schrieb meinen Eltern und wartete einfach ab. Melina verabschiedete sich indes ins Bett, sodass ich mit Wincent allein zurückblieb. Und jetzt ... war mir die ganze Situation so unfassbar peinlich. Wir kannten uns kaum und trotzdem war er hier. Er musste mich vorhin richtig festhalten, damit ich nicht zusammenbrach. Noch peinlicher ging es ja kaum. „Es tut mir so leid", entgegnete ich plötzlich. „Was tut dir leid?", wollte Wincent wissen. „Na ja. Das hier alles. Ich hab's ganz schön versaut und deinen Tag ordentlich vermiest." „Ganz ehrlich? Das mit dem Kaffee können wir nachholen. Das läuft nicht weg. Das alles ändert wirklich nichts daran, dass ich dich immer noch gern kennenlernen möchte", erwiderte er lächelnd. „Aber warum? Warum tust du das hier alles?" „Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es das Richtige ist. Ich kann es dir nicht erklären, es ist eine reine Bauchentscheidung von mir." Ich nickte nur, konnte das alles noch immer nicht verstehen. Selbst, wenn er keine Freundin haben sollte – was ich mir ehrlich gesagt aber nicht vorstellen konnte – dann konnte er doch jede haben und kennenlernen. Wieso wollte man so einen kaputten Menschen wie mich kennenlernen? Das wollte einfach nicht in meinen Kopf gehen.

Ich warf einen Blick auf mein Handy, welches ein kurzes Piepen von sich gab. Eine Antwort meiner Mutter, natürlich musste sie gleich die ganze Familie zum Essen einladen. Also kamen mein Bruder und meine Schwester auch am nächsten Abend. Na ja ... so hatte ich wenigstens meinen Bruder dabei. Mein Bruder und ich hatten schon immer seine sehr enge Beziehung zueinander gehab. Also hatte ich wenigstens jemanden dabei, der mir Halt gab.
Schließlich wollte sich auch Wincent auf den Weg machen, obwohl er mindestens zehn Mal fragte, ob er mich wirklich allein lassen konnte. „Melina ist noch da", entgegnete ich jedes Mal, „Tut mit noch mal leid wegen heute." „Nicht. Es muss dir nicht leidtun. Wir holen das nach. Und irgendwann bekomme ich den Kaffee", entgegnete er schmunzelnd und zögerte kurz, ehe er mich in den Arm nahm. Erst war ich etwas überrumpelt, aber schließlich ließ ich es einfach zu. Ein komisches Gefühl breitete sich in mir aus, ein Gefühl, welches ich nicht kannte ...

Vielleicht irgendwann (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt