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Nachdenklich blickte ich auf meine angefangene Statistik. Schon seit vier Stunden saß ich bei Lea im Büro und half den anderen dabei eine Demonstration zu planen, die nächstes Wochenende stattfinden soll. Allerdings befand ich mich im Zwiespalt mit mir selbst.
Lea hatte mir die Aufgabe gegeben, eine Statistik mit allen Vorfällen letzter Nacht zu erstellen, bei denen die Polizei involviert war. Es gab insgesamt drei Demonstrationen im Großraum Los Angeles und noch dazu sehr viele kleine Vorfälle wie Schlägereien. Es war echt verrückt, wie viel letzte Nacht passiert war. Viele Verletzte, zwei Tote und fast 60 Verhaftungen, wovon alleine 90% in Downtown passiert sind. Ich konnte verstehen, warum Cole die Zwillinge nicht gehen lassen hat. Ich hatte schon meine ganze Statistik fertig, als Lea zu mir gekommen war und gesagt hat, dass ich alles löschen soll, was gegen Weiße ging und ich nur rein schreiben soll, wie viele Schwarze verletzt oder verhaftet wurden, ganz egal ob gerechtfertigt oder nicht. Lea wollte das dann auf der Website posten und damit die Leute animieren zu der Demonstration nächsten Samstag zu kommen, um gegen Rassismus innerhalb der Polizei zu demonstrieren. Allerdings fand ich das falsch. Es war richtig gegen Rassismus, auch innerhalb der Polizei, zu demonstrieren, aber deswegen jetzt eine falsche Statistik zu posten, die sowas angelblich belegen soll, finde ich falsch. Es gab viel mehr weiße Verletzte und Verhaftete und auch beide Männer, die gestern bei einer Auseinandersetzung erschossen wurden, waren weiß. Außerdem hatte ich zu jeder Verhaftung einen Bericht und das, was ich daraus lesen konnte, ist das eigentlich alle Verhaftungen gerechtfertigt waren, sowohl gegen Weiße und auch gegen schwarze Menschen. Lea möchte es aber so rüber bringen, dass die schwarzen Menschen ungerecht verhaftet wurden, um die Menschen noch mehr aufzubringen, allerdings stimmte das nicht. Die Menschen sind sowieso schon sehr misstrauisch der Polizei gegenüber, und das in manchen Fällen auch gerechtfertigt, aber trotzdem ist die Polizei sehr wichtig und wir sollten aufhören sie schlimmer darzustellen als sie sind, immerhin wollen sie uns helfen. Wir sollten die Menschen nicht noch mehr gegen die Polizei aufbringen als sie es eh schon sind, das ist nicht gerecht und stiftet nur noch mehr Unruhen. Ich möchte auch etwas gegen Rassismus machen, aber nicht so. Ich wollte keinen Teil dazu beitragen, dass das Misstrauen der Menschen gegenüber der Polizei noch größer wird als es eh schon ist. Entschlossen stand ich auf, um zu Lea zu gehen und ihr meine Meinung dazu zu sagen. Sie hörte mir zu, aber sagte dann: „Das müssen wir trotzdem machen. Ich weiß, dass dort gestern die meisten Verhaftungen gerechtfertigt waren und auch die Verletzten bei den Demos nicht verletzt wurden, weil sie schwarz sind, sondern einfach weil die Polizei gegen alle Demonstranten vorgegangen ist, aber trotzdem ist das der Weg mit dem wir es schaffen, die Menschen auf unsere Seite zu ziehen und das sie sich mit uns dafür einsetzten gegen den Rassismus vorzugehen"
„Aber selbst wenn zwei oder drei Verhaftungen gestern aus rassistischen Gründen passiert sind, können wir dafür nicht alle Polizisten verantwortlich machen und die Menschen noch mehr gegen sie aufhetzten", antwortete ich etwas verständnislos. „Doch, genau das ist der Weg wie wir das machen", Lea sah mich kopfschüttelnd an. Dann soll sie das so machen, aber ich werde das nicht unterstützen. „Sorry, aber bei sowas bin ich raus", entschuldigend sah ich sie an bevor ich zurück zu meinem Schreibtisch lief, meine Sachen packte und mich auf den Weg nach Hause machte. Es war einfach falsch, die Wahrheit zu verdrehen nur um gegen die Polizei zu schießen. Klar, gab es rassistische Polizisten, aber trotzdem ging das einfach nicht. Es war schon verrückt, dass ausgerechnet ich so dachte. Ich habe selber mal alle Polizisten dafür verantwortlich gemacht, dass es Rassisten unter ihnen gab und alle über einen Kamm geschert, aber inzwischen habe ich einfach auch erkannt, das dies nicht so ist und wir der Polizei dankbar sein sollten und ihnen nicht das Leben noch schwerer machen sollten, indem wir die Tatsachen verdrehen. Als ich einige Minuten später zuhause ankam, ließ ich meine Tasche auf den Boden fallen, zog meine Schuhe aus und lief in die Küche, um mir ein Kühlpad für meine Lippe zu holen. Es sah schon besser aus, aber trotzdem tat es noch ein wenig weh. Meine Wange konnte ich über schminken, sodass man den geröteten Wangenknochen nicht sehen konnte, nur meine Lippe war ein wenig auffällig.  Ich zog meinen dünnen Schal aus und hob mir das Kühlpad ins Gesicht als Jake in die Küche kam. „Wird es nicht besser?", fragte er als er mich sah. „Doch, tut aber trotzdem noch weh", antwortete ich ehrlich woraufhin Jake mich kurzerhand  hochhob und auf der Kücheninsel wieder absetzte. „Lass mich mal bitte sehen", ich lies meine Hand mit dem Kühlpad auf meine Beine fallen, woraufhin sich Jake meine Lippe ansah und mir ein Tuch gab, damit ich die Schminke aus meinem Gesicht wischen konnte. Als sich mein Bruder schließlich auch noch kurz meine Wange und mein Hals angesehen hatte, sagte er: „Sieht eigentlich sehr gut aus, sollte bald besser werden"
„Ist David eigentlich wieder bei Oma?", fragte ich nachdenklich. „Ja, seit gestern Nachmittag. Cole war vorhin bei ihm und Oma und hat nochmal mit David geredet. Das Kontaktverbot ist rechtsgültig, falls er dir also näher als zehn Meter kommt, dir schreibt oder sonst irgendwie Kontakt mir dir aufnimmt, darf er beim ersten Vergehen nochmal eine Nacht im Gefängnis verbringen, beim zweiten Mal direkt eine Woche und beim dritten Mal gibt es ein Gerichtsverfahren. Es ist also wichtig, dass du uns wirklich erzählst, wenn David sich nicht daran hält. Cole hat ihm klar gemacht, dass er sich von dir fern halten soll, wenn er nicht noch mehr Ärger möchte als er eh schon hat, David scheint es wohl auch überraschend gut verstanden zu haben. Also ich denke nicht, dass du noch Angst vor ihm haben musst, er sollte dich in Ruhe lassen", erklärte mir Jake. „Ich habe keine Angst vor ihm. Also als das passiert ist schon irgendwie, aber jetzt nicht. Ich kann das nicht erklären, aber das ist alles anders als damals mit Mason. David hat mich jetzt halt einmal geschlagen,aber ich habe keine Angst, dass er es wieder macht, ich weiß nicht warum, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sich das wiederholt", sprach ich meine Gedanke aus. „Das ist gut, du brauchst auch keine Angst mehr vor ihm haben", antwortete Jake zufrieden...

Big Brothers 5Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt