Welt der Ruinen

By RainerSalt

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Ein paar Freunde auf ihren Weg durch die Ruinen der Zukunft. Leonie stapft auf einem Schulausflug dur... More

Der Reiher
Regenwandern und ein Anruf
Sauerampfer und trockenes Laub
Ein grausiger Fund, und ein heranziehender Abend
Lagerfeuer, und ein Fauchen in der Nacht
Rehe und Ruinen
Hunger und Gejaule
Jäger und Sammler
Ein Hase und Pläne
Rosmarin, und ein Spiegelbild
Ein Kampf und Träume der Finsternis
Ein Rhythmus der Schmerzen, und Bilder
Lauge, und eine seit langem überfällige Reinigung
Schnitt
Bogenschiessen, und eine sich abzeichnende Routine
Winter, und eine Jagd im Schnee
Blut im Schnee und ein Morgen mit Aussicht
Noch ein Kampf, und etwas am Horizont
Eine Diskussion und ein Versprechen
Tauwetter, und At the End of All Things
Erkenntnisse und ein Kanu
Der Beginn einer Expedition, und eine Burg auf dem Wasser
Hangover und eine Entscheidung
Ein Lächeln und ein Fuchs
Pferde, und ein Blick ins Wasser
Regen, und ein Blick durch das Gebüsch
Menschen, und Beton im Fels
Späherin und Diebin in der Nacht
Ballspieler, und eine Jogginggruppe
Ein Gespräch und ein Schluchzen
Entführung, und was nun?
Geiselnehmerin und Geisel
Fragen, und ein Arschloch
Die Wiki, und Amazimu
Eine erzählte und einige verschwiegene Geschichten
Umzug, und ein Geburtstagsfest
Eine Überraschung und Feldarbeit
Kartoffeln und Worte
Abendgedanken und Morgenregen
Ein Seitental und wohin es führt
Kopfüber, und eine Gittertüre
Eine Zelle und ein Lichtschimmer
Ein Geräusch, und Nacht im Bunker
Schüsse und schwarzes Blut
Wasser kochen, und ein Besucher
Ein Kessel, eine Flasche und ein Messer
Eine Villa und der grosse See
Wasser unter ihnen, und von oben
Leere Zimmer und eine Lampe
Eine Geschichte und ein Geplapper
Brot und Honig
Ein Hase und gerüstetes Gemüse
Eine Armbrust und zuviele Fragen
Ein Blick zurück, und ein Schluck Schnaps
Rauch und eine Nachricht
Richter und Scharfrichter
Die Glut und Kälte des Zorns
Vater und Tochter
Die Fütterung von Sven, und ein Epilog
* Wichtige Bemerkungen und ein Dankeschön *
Anna

Eine Bibliothek und eine schöne Nacht

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By RainerSalt

Sie nehmen den sanft abfallenden Weg, der Richtung Stadt führt.

„Ich glaube, es sind Wölfe, nicht Hunde", sagt Klaus trocken.

Leonie würde lieber über etwas Erfreulicheres reden als über die Tiere, welche sie beim Zerreissen ihrer Beute beobachtet haben und vor denen sie geflohen sind. Eigentlich möchte sie überhaupt nicht über diese Welt reden. Aber sie ist dennoch neugierig. „Wie kommst du darauf?"

„Evolution", antwortet er. „Wölfe können in einer solchen Welt besser überleben."

Sie zuckt die Schultern. Wölfe – wen kümmert's? Ich möchte einfach nur nachhause.


Sie machen einen grossen Bogen um die Stelle, an welcher sie die Wölfe/Hunde gesehen haben, und marschieren Richtung Stadtzentrum. Immer wieder glaubt Leonie hinter sich ein Rascheln zu hören und blickt zurück, in der Erwartung ein Rudel der Tiere zu sehen, das sie verfolgt. Doch die überwachsenen Strassen bleiben leer.

Auch im Stadtzentrum bleiben von den meisten Gebäuden nur Ruinen, kaum mehr als ein oder zwei Stockwerke hoch. Schweigend marschieren sie weiter, dunkle Fensterhöhlen wie Augen auf sie gerichtet.

Die Pflanzen haben alles überwuchert, was die Menschen hier zurückliessen. Eine Geisterstadt im Urwald, erfüllt vom Geschrei der Vögel und vom Rauschen der Blätter.

Silvan geht immer noch vorneweg. Er bleibt stehen und weist nach links. "Schaut mal da!"

Im Schatten einiger Bäume, die sich ihren Weg durch den Asphalt zum Himmel gebahnt haben, stehen die Überreste eines Hauses. Ein älteres Gebäude, offenbar aus Steinquadern errichtet, welches der Zeit besser widerstanden hat als die Beton- und Stahlbauten um es herum.

Vor dem Gebäude liegt eine von Efeu überwucherte Treppe, welche zu einem Portal führt. Die Türen sind offenbar schon längst verrottet, so dass sie freie Sicht auf die Eingangshalle dahinter gewähren.

Über dem Portal sind Buchstaben in den Sandstein gemeisselt. BIBLIOTHÈQUE/BIBLIOTHEK liest Leonie. Das französische Wort erinnert sie an endlose Schulstunden der übelsten Sorte. Sie fragt sich, ob sie jemals wieder eine Französischlektion haben wird. Sie bezweifelt es. Und sie ist erstaunt, dass sie das traurig macht.

"Kommt, das schauen wir uns genauer an". Klaus, der eine Schwäche für Bibliotheken hat, marschiert auf das Gebäude zu.

"Warte", ruft ihm Silvan nach. "Sei vorsichtig. Wir wissen nicht, was sich da drinnen verstecken könnte."

Klaus reagiert nicht und geht weiter. Silvan folgt ihm leise fluchend.

"Also ich bleibe nicht hier", sagt Leonie.

Sie spricht damit offenbar die Gedanken von Rosie und Jenna aus, welche sich gleichzeitig mit ihr in Bewegung setzen.

Beim Portal angekommen, bleiben alle stehen und studieren den Raum vor ihnen. Er ist hoch, und erstaunlich hell. Das Dach des Gebäudes ist weitgehend eingestürzt ist. Auch ein Teil des Bodens fehlt, offenbar in den Keller darunter abgestützt. Auf den verbleibenden horizontalen Flächen haben Pflanzen Fuss gefasst.

Klaus macht sich an der Wand neben dem Portal zu schaffen und beginnt dort Kletterpflanzen herunterzureissen. Seine Anstrengungen legenein Schild aus irgendeinem Metall frei. Es ist ziemlich stark korrodiert, aber Leonie erkennt Vertiefungen, die einen Schriftzug bilden.

BIBLIOTHÈQUE PUBLIQUE DE GENÈVE / ÖFFENTLICHE BIBLIOTHEK GENF

RENOVÉE / RENOVIERT - MMCCXXIV -

"Renoviert im Jahr ... 2224." Klaus' Stimme stockt bei der Jahreszahl.

Rosie holt hörbar Atem. "Scheisse. Wir haben mehr als zweihundert Jahre übersprungen."

"Viel mehr", ergänzt Leonie. "Wenn das hier 2224 renoviert worden ist, hat es damals wie neu ausgesehen. Schaut es euch jetzt an. Schaut die Scheissstadt jetzt an. Das muss Hunderte von Jahren her sein."

Für einen Augenblick schauen sie sich wortlos an.

„Nein. Das ist unmöglich." Rosie schüttelt ihren Kopf in einer heftigen Bewegung. „Dann wären sie ja alle ... tot."

Leonie braucht nicht zu fragen, wen Rosie mit ‚sie' meint. Sie meint alle, alle Menschen, welche sie kannten, mit Ausnahme der fünf Anwesenden. Ja, sie sind tot, schon seit Jahrhunderten. Sie starrt auf das Schild an der Wand und auf die Jahreszahl. Wir wussten es alle schon, spätestens als wir heute die Ruinen sahen. Aber hier steht es, eingraviert in Metall. Alle tot.

Leonie tritt näher zu Rosie und hält ihren Arm.

Klaus macht einen Schritt ins Gebäude und blickt sich neugierig um. „Ich frage mich, ob es hier noch Bücher gibt."

Leonie begrüsst den Themenwechsel, aber als Klaus die Halle hinter dem Eingang betritt, ruft Silvan „Warte!"

Doch die Warnung kommt zu spät. Die Fliesen unter Klaus Füssen geben nach. Mit einem Krachen verschwindet er in einer Wolke von Staub.

Jenna kreischt auf und umklammert Silvans Arm.

Mist. Leonie nähert sich dem Eingang und versucht etwas in der wirbelnden Staubwolke zu erkennen. Dort, wo Klaus vor wenigen Augenblicken noch war, klafft ein grosses Loch im Boden.

„Klaus", ruft Silvan. Er macht sich von Jenna los und lehnt sich nach vorne, die Augen in das Loch gerichtet.

Aus der Tiefe ertönt ein Husten. „Ich ... der Boden ist unter mir eingestürzt."

„Bist du verletzt?" fragt Rosie und nähert sich dem Loch im Boden. Silvan greift sich ihren Ärmel und hält sie zurück.

„Mir geht es gut", antwortet Klaus, aber seine Stimme tönt nicht überzeugt.

„Warte, ich komme." Silvan zieht Rosie zurück und stellt sie neben Leonie, welche sich wieder bei ihr einhängt. Silvan legt sich flach auf den Boden und robbt auf das Loch zu, bis er hineinschauen kann. „Kannst du da drüben hochklettern?" Er weist auf etwas, das Leonie, von dort wo sie steht, nicht sehen kann.

„Warte", antwortet Klaus. „Ich muss mir noch was anschauen."

Für eine Weile passiert nichts. Leonie fühlt wie Rosie zittert.

Dann erscheint Klaus' Kopf am Rand des Lochs, einige Schritte rechts von Silvan. Ohne aufzustehen, kriecht Silvan zu ihm hin und streckt seine Hand aus. Klaus ergreift sie und zieht sich hoch.

„Nicht aufstehen", sagt Silvan. „Leg dich flach auf den Boden."

Klaus tut wie geheissen und robbt zusammen mit Silvan zum Ausgang. Dort stehen beiden auf.

Klaus Kleider sind mit Staub und Schmutz bedeckt. Er grinst. Seine Brille sitzt schief auf seiner Nase.

„Mach das bloss nicht wieder!" Rosies Stimme ist schrill. „Du hast mich so erschreckt." Sie versetzt ihm einen Stoss und er macht einen Schritt zurück.

„Tschuldigung", antwortet er, „aber ich habe was für dich".

Er greift in seine Jacke und zieht einen braunen Klumpen heraus. Rosie greift danach. Es ist ein Buch. Der Einband ist unleserlich. Rosie öffnet es, doch im Inneren befindet sich nur eine braune, zerfallene Masse, die früher wohl Papier war. Die Schrift ist seit langem verschwunden. Sie wirft das Ding zu Boden und wendet sich ab.

Leonies blickt auf die Überreste dieses unförmigen, nutzlosen Stücks menschlicher Kultur. Traurigkeit erfasst sie, wie eine fette, schwarze Kröte in ihrem Hals.


Sie beschliessen, die Bibliothek nicht weiter zu untersuchen, und marschieren Richtung Fluss. Unterwegs betreten sie einige der Ruinen, vorsichtig. Sie finden nur Dreck und Trümmer – und einige Knochen. Keine Schädel, aber einige der Knochen sind recht gross. Sie streiten sich darüber, ob es sich um menschliche Knochen handelt, bis sie einen Brustkorb finden, der die Diskussion beendet und alle zum Schweigen bringt.

Sie erreichen den Flusslauf. Die Uferverbauung ist an den meisten Orten zerfallen. Das Wasser hat sich in all der Zeit, in der er sich überlassen war, wieder ein richtiges Flussbett geschaffen. Es hat sich von den Fesseln befreit, welche die Menschen ihm auferlegt haben, wie eine unruhige, fette Schlange.

Sie steigen zum Wasser hinab. Leonie stellt sich neben Rosie ans Wasser. Am Ufer auf der anderen Seite sieht sie die südliche Stadthälfte. Zerfallene Häuser zwischen Bäumen und Büschen. Ein Kranich erhebt sich in die Luft. Zunächst sind seine Bewegungen schwerfällig, doch schnell gewinnt er an Höhe und Eleganz.

"Ein Kranich." Leonie zeigt auf den Vogel.

"Schön. Aber unsere Seite ist besser." Rosies Stimme ist leise, fast ein Flüstern.

Erstaunt schaut Leonie Rosie an. "Wieso?"

"Weil ihr hier seid." Rosie schaut Leonie an. Sie schluckt, dann lächelt sie.

Leonie hängt sich wortlos bei Rosie ein. Zusammen betrachten sie den Fluss.


Es dämmert bereits, als sie schliesslich Quartier in ein einem Gebäude nahe am Fluss aufschlagen. Klaus hat einen alten Stahlkessel gefunden, der die Jahrhunderte einigermassen unbeschädigt überdauert hat. Sie stellen ihn über ein Feuer und kochen darin Flusswasser.

Leonie wartet darauf, dass das Wasser zu kochen beginnt. Es dauert so etwa ein gefühltes Jahrhundert. 

Na toll. Wir sind in der Zukunft. Alles ist kaputt und wir warten auf Wassersuppe.

Ihr Magen knurrt, schon wieder. "Morgen müssen wir ernsthaft nach Essen suchen."

Die anderen nicken. 

Essen finden in einer Stadt, die seit Jahrhunderten verlassen ist. Wieso habe ich das Gefühl, das das nicht einfach sein wird?

In den Ferne hört Leonie das Geheul der Wölfe/Hunde. Der Abend ist perfekt.

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