Ab morgen, so nimmt man sich vor, wird alles anders. Doch der morgige Tag ist allzu oft nur eine Wiederholung des heutigen.
James T. McCay
Harriet
Ich lasse seine Worte einen Moment sacken. Dilaudid ist die Droge, von der er einst abhängig war. David hat mir davon erzählt.
"Hast du ...?"
Er schüttelt schnell den Kopf. "Nein, ich habe es nicht getan, aber ich habe darüber nachgedacht, verstehst du?"
"Die Hauptsache ist, dass du es nicht getan hast. Es ist in Ordnung", sage ich, um ihn aufzumuntern.
Es kehren ein paar Erinnerungen zurück, doch ich versuche mich auf das Gespräch zu konzentrieren.
"Nein", sagt er. "Das ist es nicht."
Er fummelt mit den Händen an seiner Jacke herum und rutscht unruhig hin und her. "Ich gehe jetzt."
Er erhebt sich und bevor ich ihn aufhalten kann, ist er bereits verschwunden.
In den nächsten Tagen höre ich nichts von Spencer, also trainiere ich mit Morgan für den Test. Manchmal ist JJ auch dabei, was ich sehr nett von ihr finde. Tatsächlich helfen sie und der Sport mir dabei, meine Gedanken zu ordnen und an Erinnerungen zu gelangen. Es wird immer besser und ich baue eine Freundschaft zu ihnen auf. Das Training tut mir gut. Langsam bekomme ich einen geformten Körper und sehe nicht länger so knochig aus, auch wenn ich noch immer untergewichtig bin. JJ hilft mir dabei etwas zuzunehmen, damit ich eine schöne Figur bekomme. Überhaupt treffe ich mich mit ihr in der letzten Zeit sehr oft und ich rechne es ihr hoch an, dass sie für mich da ist. Um ehrlich zu sein, ich habe Angst um Spencer. Ich möchte nicht, dass es ihm wegen mir so schlecht geht. JJ erzählt mir, dass sie vor einigen Jahren Emilys Tod vortäuschen mussten und sie die Einzige aus dem Team war, die es wusste, abgesehen von Hotch. Als Spencer es erfahren hat, hat er ähnlich reagiert. Er war wütend auf sie und hat mit dem Gedanken gespielt, wieder Drogen zu nehmen. Damals hat er es nicht getan und ich hoffe, dass er sich auch dieses Mal zusammenreißen kann. Nicht für mich. Für ihn selbst.
"Du musst ihm Zeit geben", sagt JJ dann. "Es war schwer für ihn, mit deinem Zustand umzugehen. Er hatte wohl mit dem Gedanken abgeschlossen, dass du dich nicht für ihn entscheiden würdest. Jetzt kann er damit nicht umgehen, dass ihr euch näher kommt."
Ein paar Tage später habe ich noch immer nichts von ihm gehört und mache mir Sorgen, doch ich muss diesen Test bestehen, damit ich weiterhin als Profilerin arbeiten darf. Das Training hat mir geholfen. Mein Körper handelt von allein und das Wissen scheint allmählich zurückzukehren. Tatsächlich bestehe ich den Test ohne Probleme, doch ich hätte es ohne die Hilfe von Derek und JJ nicht geschafft. Ich lade sie am nächsten Tag in ein Restaurant ein, um mich bei ihnen zu bedanken. Als der Kellner uns den Nachtisch bringt, halte ich es nicht länger aus und versuche meine Frage so beiläufig wie möglich klingen zu lassen.
"Habt ihr was von ihm gehört?"
Sie wissen sofort, dass ich Spencer meine. Er fängt auch wieder an zu arbeiten. Wie soll ich es bewältigen, wenn wir uns andauernd über den Weg laufen? Wie soll er es bewältigen?
"Er fängt sich langsam wieder", beantwortet Derek schließlich meine Frage und kaut auf einer Erdbeere herum.
Als ich zu Hause bin und zwei Gläser Wein in mir habe, rufe ich ihn an. Ich bin nicht betrunken, aber mutiger.
"Hallo?"
Warum tut es mir so gut seine Stimme zu hören? Warum vermisse ich ihn so schrecklich?
"Spencer, hier ist Harriet."
"Oh", macht er. "Ist alles in Ordnung?"
"Ja, das wollte ich dich fragen. Hast du über uns nachgedacht?"
Einen Moment ist es still.
"Ich glaube, es ist besser, wenn wir für eine Weile nur Freunde bleiben."
Geschockt starre ich das Display meines Handys an. Er meint es ernst.
Ich schlucke hart. "Wenn es das ist, was du willst."
Plötzlich habe ich einen dicken Kloß im Hals und Tränen schießen mir in die Augen. Warum sagt er sowas?
"Ja", sagt er. "Ich brauche Zeit und muss nachdenken." Er wartet ein paar Sekunden, dann sagt er "Ich liebe dich", und legt auf.