Kapitel 23 - Diana Reid

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Dort, wo wir lieben, ist unser Zuhause. Unsere Füße können es verlassen, aber nicht unsere Herzen.
- Oliver Wendell Holmes

Harriet

Wir stehen im Bennington Sanatorium, die Einrichtung, in der Spencers Mutter lebt. Ich kann sie hören, bevor ich sie sehe.
"Sie kriegen auch gar nichts auf die Reihe! Hauen Sie ab, lassen Sie mich in Ruhe."
Vermutlich bekommt einer der Pfleger gerade ihre Wut zu spüren.
"Weiß deine Mutter, dass wir kommen?", flüstere ich Spencer zu.
Er nickt steif und wischt sich die Hände an der Hose ab. Offenbar ist er auch ein wenig nervös. Es ist ihm wichtig, dass ich mich gut mit seiner Mutter verstehe.
"Oh, hallo Spencer", sagt Ms Reid, als wir um eine Ecke biegen und in ihr Sichtfeld gelangen.
Sie kommt auf ihn zu und schließt ihn in ihre Arme. Als sie sich voneinander lösen, fällt ihr Blick auf mich und ihre Augen verengen sich zu Schlitzen.
"Wer ist'n das?"
Offenbar hat Spencer zwar seinen Besuch angekündigt, ihr aber nicht verraten, dass er in Begleitung erscheint.
"Das ist Harriet. Wir arbeiten im selben Team."
"Freut mich, Sie kennenzulernen, Ms Reid."
"Nenn mich Diana", murmelt sie, während sie Spencer und mich mit nachdenklichen Blicken taxiert. "Habt ihr was miteinander?"
Das kommt so unvermittelt, dass ich fast lachen muss. Spencer überlässt es mir, auf die Frage zu antworten, und schleicht sich zum Kaffeeautomaten.
"Kann man so sagen. Woher wusstest du ...?"
"Spencer hat noch nie eine Arbeitskollegin mitgenommen, wenn er mich besucht hat. Es sei denn, es ging um einen Fall, bei dem sie mich um Rat gefragt haben", sagt sie und lächelt mich an. "Ist es dir ernst mit ihm?"
Ich nicke und ihr Lächeln wird breiter. "Weißt du, Spencer ist ein wundervoller Mensch. Er hatte es nicht immer leicht und er tut sich schwer damit, neue Menschen kennenzulernen und ihnen zu vertrauen. Jetzt weiß ich, wieso er in den letzten Wochen immer so gut gelaunt war, wenn wir telefoniert haben. Du machst ihn glücklich."
Bevor ich etwas darauf erwidern kann, kommt Spencer zurück und drückt mir einen Kaffee in die Hand. Ein Lächeln umspielt seine Lippen. Ich bin mir sicher, dass er uns belauscht hat.
"Hör auf, so viel Kaffee in dich zu schütten", sagt Diana und hebt missbilligend den Zeigefinger. "Du bist ohnehin schon zu dünn!"
Ich werfe Spencer einen fragenden Blick zu und er schüttelt kaum merklich den Kopf.
"Erkläre ich dir später."
Ein junger Pfleger schaut zu uns herüber.
Diana feixt und zieht eine Grimasse. "Ich bin nur halb so verrückt, wie sie denken", flüstert sie mir zu.
Ich mag sie jetzt schon.

Zwei Tage später ...

Ich bin in einem FBI-Trainingscenter. Es sieht, mit ein paar Ausnahmen, einem Fitnessstudio sehr ähnlich. Eine schlanke Frau mit blonden Haaren steht neben einem der Laufbänder. Sie wird das Gutachten von mir erstellen.
"Hey, ich bin Rachel", sagt sie. "Sind Sie Supervisory Special Agent Stone?"
"Ja, das bin ich."
"Ich werde heute ein paar Tests mit Ihnen durchführen, um zu schauen, ob sie körperlich und psychisch dazu in der Lage sind, zu arbeiten."
Ich runzele die Stirn. Wieso muss das alles sein? Mussten Spencer und JJ auch solche Test machen? Ich weiß, dass sie auch mal entführt und gefoltert worden sind. Sie scheinen damit jedoch viel besser klarzukommen als ich. Ich würde es vor den anderen vermutlich nicht zugeben, doch ich habe noch immer diese Albträume, und am Tag des Gerichtstermins bin ich fast zusammengebrochen. Mit einem Mal komme ich mir schwach und kaputt vor.
"Warum muss ich körperlich in der Lage sein? Das bin ich, ich meine ..."
Sie deutet auf das Bein, an dem ich angeschossen wurde.
"Das ist längst verheilt! Man muss doch nicht jedes Mal, wenn man angeschossen wurde, Tests durchführen. Das ist doch schon ewig ..."
Rachel hebt eine Hand und bedeutet mir zu schweigen, doch sie lächelt dabei. "Ich suche die Personen nicht aus, ich führe bloß die Tests durch. Daher würde ich Sie bitten, meine Anweisungen zu befolgen, damit wir es hinter uns bringen können."
Bevor wir anfangen, klebt sie mir kleine Geräte an Kopf und Brust, die ich noch nie gesehen habe.
"Die Messen ein paar Werte", erklärt sie ausweichend.
Aha.

Die körperlichen Tests sind nicht weiter interessant. Ich muss auf das Laufband, muss Schieß- und ein paar Sportübungen machen.
Die Tests, die feststellen sollen, ob ich psychisch stabil bin, habe ich mir ebenfalls viel schwieriger vorgestellt. Mir werden bloß ein paar Fragen gestellt und das war's. Danach kann ich gehen. Ich bin anscheinend arbeitsfähig.

Ich bin wieder zu Hause und wähle die Nummer meiner Tante, bei der ich ein paar Wochen auf der Farm verbracht habe. Sie hat mir eine Nachricht geschickt und mich darum gebeten, mich bei ihr zu melden, sobald ich Zeit habe.
"Hey, Mareen", begrüße ich sie.
"Hallo, Harrie."
Ihr Stimme klingt belegt. Weint sie etwa?
"Was ist los?"
"Bei uns hat es einen Mord gegeben. Ich wollte fragen, ob du und dein Team euch das ansehen könnt"
"Mareen, dann brauche ich schon mehr Informationen. Sag mir, was los ist!"
"Tut mir leid, ich kann gerade nicht reden", sagt sie und legt einfach auf.
Aufgekratzt laufe ich in meinem Wohnzimmer auf und ab. Was macht sie so traurig? Warum hat sie einfach aufgelegt? Ich zermartere mir das Hirn, doch ich komme zu keinem Entschluss. Als ich es nicht länger aushalten kann, schnappe ich mir erneut das Telefon und wähle Garcias Nummer.
"Hallo?"
"Ich brauche deine Hilfe."
Mareen bittet mich nie um Hilfe und ich habe sie noch nie weinen hören, also muss es etwas Ernstes sein.
"Harriet, mein unverschämt gut aussehender Schatz. Weißt du eigentlich, wie spät es ist?"
Ich schaue auf die Uhr, die über meiner Couch an der Wand hängt. Seit meinem Anruf bei Mareen sind drei Stunden vergangen. Habe ich wirklich drei Stunden damit verbracht, mir den Kopf über sie zu zerbrechen?
"Oh, das tut mir leid. Ich ..."
"Spuck es schon aus", sagt sie müde.
"Gab es in der Nähe von meiner Tante kürzlich einen Mord?"
Ich kann hören, dass sie aufsteht und ihren Laptop aufklappt.
"Ja, gestern Abend. Wieso?"
Ich übergehe ihre Frage.
"Kannst du mir die Adresse schicken? Und könnte das unter uns bleiben?"
"Klar." Sie scheint zu müde zu sein, um zu hinterfragen, was ich vorhabe.
"Danke", sage ich und lege auf.
Allein werde ich den Fall nicht lösen können, das weiß ich. Aber, ich möchte das Team nicht darüber informieren, möchte Reid nicht damit belasten. Der Mord muss Mareen hart getroffen haben, also kannte sie das Opfer, was heißt, dass ich es vermutlich auch kenne.

Criminal Minds - Spencer und HarrietWo Geschichten leben. Entdecke jetzt