Teil 2 - Kapitel 7 - Entstellt

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Erfahrung ist nicht das, was einem zustößt. Erfahrung ist das, was man aus dem macht, was einem zustößt.
- Aldous Huxley

Harriet

Ich lege den Kopf auf Spencers Schulter und schließe die Augen. Wir sitzen auf der Couch in meinem Wohnzimmer. Ein Glas Wein steht vor mir auf dem Glastisch. Vor ein paar Minuten ist Mareen endlich ins Gästezimmer gegangen. Casey ist noch bei uns. Sie hockt auf dem Teppich neben dem Tisch und massiert sich die Schläfen.
"Es war deine Idee", erinnere ich sie und öffne die Augen.
Spencer schmunzelt und legt einen Arm um mich.
"Ich weiß", murrt sie schuldbewusst.
Casey wollte, dass wir den Abend mit Mareen verbringen. Ich bin noch immer nicht gut auf sie zu sprechen und das wollte Casey ändern. Sie hat eher das Gegenteil bewirkt, doch ich weiß, dass sie es gut gemeint hat.
"So schlimm war es nicht", meldet Spencer sich zu Wort.
Ich hebe den Kopf, damit ich sein Gesicht besser sehen kann. Er beißt sich auf die Lippe, um nicht zu lachen, was echt süß aussieht.
"Erst hat ihr die Suppe nicht geschmeckt, dann war es ihr zu kalt. Dann wollte sie über die Hochzeit sprechen, und als ich ihr erzählt habe, dass wir bei David heiraten, hat ihr das auch nicht gepasst", fasse ich zusammen.
Casey kichert. "Aber, sie mag Spencer."
Ich kuschele mich enger an meinen Verlobten.

"Sie behindern unsere Arbeit", gibt Hotch ihr mit einem vielsagenden Blick zu verstehen.
Hotch und ich sind mit Hannah Wales im Verhörungsraum. Garcia hat herausgefunden, dass sie Bridget angerufen hat, bevor wir in ihrem Labor aufgetaucht sind. Sie hat versucht, ihr Handy zu orten, doch es ist ausgeschaltet.
"Sie haben Bridget angerufen, das wissen wir bereits. Wissen Sie, wo Bridget hinwollte?"
"Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich es nicht weiß!"

Spencer

"Sie lügt", sage ich.
Morgan nickt. "Das glaube ich auch."
Ich beobachte sie jetzt schon eine Weile. Es ist unübersehbar, dass Hannah uns etwas verschweigt. Harriet weiß es auch. Ich frage mich, ob sie bereits einen Plan hat.

Harriet

"Und wieso glaube ich Ihnen nicht?"
Hannah stößt einen empörten Laut aus und schlägt aufgebracht die Beine übereinander. "Ich will einen Anwalt!"
Ich nicke, stelle mich direkt vor sie und stütze mich mit den Händen an den Lehnen von ihrem Stuhl ab. Ich bin ihr jetzt ganz nah, sodass sie mir ins Gesicht sehen muss.
"Rufen Sie Ihren Anwalt an. Er wird Ihnen ein wenig Zeit verschaffen. Sollte ich allerdings herausfinden, dass Sie mich angelogen und meine Zeit verschwendet haben, werde ich Sie wegen Behinderung laufender Ermittlungen anklagen."

Ihr Gesichtsausdruck ändert sich und ich weiß, dass ich gewonnen habe. Wir müssen das Mädchen einfach finden! Ihre Eltern sind bereits durch Bridgets Hand gestorben. Ihr Name ist Leila und sie ist schon seit einiger Zeit in Bridgets Obhut. Mit einem tiefen Seufzen verrät uns Hannah den Aufenthaltsort.
"Gute Arbeit", sagt Hoch zu mir, als wir den Raum verlassen.

Morgan fährt, JJ sitzt auf dem Beifahrersitz und Spencer und ich hocken auf der Rückbank.
"Wir sind gleich da!", verkündet Morgan.
Hotch, Alex und Rossi sind in dem anderen Auto und fahren hinter uns.
Unterbewusst nehme ich war, dass Spencer meine Hand genommen hat. Plötzlich fühlt sich der Ring ganz schwer an meinem Finger an. Manchmal frage ich mich, ob es ein Fehler gewesen ist, den Antrag anzunehmen. Ich möchte ihn heiraten, doch ich bin mir nicht sicher, ob er sich es auch gut überlegt hat und weiß, was das für unsere Beziehung bedeutet. Ich schüttele leicht den Kopf. Für solche Gedanken ist jetzt keine Zeit. Ich muss meinen Job erledigen, muss konzentriert sein, mich vorbereiten. Das fällt mir allerdings schwer, da Spencer eine Hand auf meinen Oberschenkel legt. Er starrt nachdenklich aus dem Fenster und hat die Stirn in Falten gelegt, was ihn ein wenig älter wirken lässt.

Als wir ankommen, machen wir uns auf das Schlimmste gefasst. Wir stehen vor einem verlassenen Haus, eine von Moos bewachsene Bruchbude.
"FBI!", brüllt Morgan.
Er tritt die Tür ein, hebt die Waffe und gibt uns ein Zeichen.
Hotch ist ihm dicht auf den Fersen. Danach komme ich, doch als ich mich einfädeln will, hält Spencer mich zurück und schiebt sich vor.
"Hey!", flüstere ich wütend.
Er hat mich nicht gehört und geht weiter. Ich schnaufe. Was soll das? Will er mich beschützen? Ich dachte, wir hätten das Thema abgehakt.

Bridgets Haar ist zerzaust und strähnig. Das Mädchen, Leila, lebt. Zumindest atmet sie noch. Ihr Gesicht ist entstellt und ein röchelndes Geräusch kommt aus ihrer Kehle. Sie ist mit einer Hand ans Bett gefesselt, was allerdings nicht nötig wäre. Sie ist so zugerichtet und schwach, dass sie sich ohnehin nicht wehren könnte. Die Matratze hat sich mit Blut vollgesogen. Ihre Füße sind verätzt, sodass an machen Stellen der Knochen zu sehen ist. Eiter tritt aus der Wunde.
"Lassen Sie die Pistole fallen oder ich schieße", droht JJ.
Wir sind im Keller des Hauses. Ein kleines Gitterfenster spendet Licht und Putz bröckelt von den Wänden. Bridget gibt einen wimmernden Laut von sich.
"Geh zu dem Mädchen", flüstert Hotch mir zu.
Ich verlasse vorsichtig meine Position und gehe zu ihr. Obwohl Bridget mich aus dem Augenwinkel wahrnimmt, unternimmt sie nichts.
"Hallo, Leila. Kannst du mich hören?", flüstere ich und stelle entsetzt fest, dass ich nicht weiß, wo genau sich ihr Ohr befindet. Ihr Kopf ist eine einzige Wunde.
Sie wimmert leise, was ich positiv deute.
"Ich bin Harriet. Ich bin vom FBI."
Sie blinzelt.
"Wir holen dich hier raus. Du hast es geschafft."
"Sofort!", höre ich Morgan brüllen.
"Wir brauchen einen Krankenwagen", raune ich in das kleine Mikrofon an meiner Weste.
Ich drehe den Kopf, um nach den anderen zu sehen, als Bridget den Lauf der Waffe an ihre Schläfe führt.
"Nein, nicht ...!"
Und sie drückt ab. Die Kugel durchbohrt ihren Schädel mühelos. Blutspritzer treffen mich im Gesicht. Ich wende den Blick ab, löse die Fesseln von Leilas Handgelenken und lege ihren Kopf behutsam auf meinen Schoß. Ich streiche ihr übers Haar und sie beruhigt sich etwas.
"Du bist in Sicherheit", sage ich. "Du bist in Sicherheit." Ich kämpfe gegen Tränen. Irgendwie erinnert sie mich an Casey.
Ich höre die Sirenen des Krankenwagens wenige Minuten später. Leila schließt die Augen.
"Hey, wach bleiben!"
Sie blinzelt schwerfällig. Ich verlagere ihren Kopf, um eine bequemere und möglichst schmerzfreie Position für sie zu finden. Meine Hände sind voller Blut. Ein metallischer Geruch liegt in der Luft. Notärzte stürmen den Keller.

Criminal Minds - Spencer und HarrietWo Geschichten leben. Entdecke jetzt