Teil 2 - Kapitel 17 - Live

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Hat ein guter Mensch Schmerzen, sollten alle, die man gut nennen kann, mit ihm leiden.
- Euripides

Spencer

Das Geräusch von näher kommenden Schritten weckt mich. Für einen Moment vergesse ich, wo ich bin. Die Schritte stammen von dem Chirurgen, der Harriet operiert hat.
Er wirkt müde. "Waren Sie die ganze Nacht hier?"
Ich nicke, muss eingeschlafen sein.
"Ihre Freunde sind vor ein paar Stunden gegangen."
"Harriet?", krächze ich.
Mein Hals ist trocken. Sprechen ist anstrengend.
"Die Operation ist gut gelaufen. Sie liegt auf der Intensivstation."
"Darf ich zu ihr?"
Der Mann blickt mich entschuldigend an. "So werden Sie nicht dürfen."
Ich schaue an mir herunter. Ich bin dreckig und mit Blut beschmiert.

Ich fahre nach Hause, stelle mich vor den Spiegel im Badezimmer. Ich sehe schlimmer aus, als ich gedacht habe. Mein Spiegelbild sieht aus wie ein Fremder. Dicke Augenringe, blutverklebtes Haar. Blut. Überall ist Blut. Ich stelle mich unter die Dusche und sehe zu, wie sich das Wasser rot färbt und im Abfluss verschwindet. Ich fühle mich total leer. Ich kann noch nicht realisieren, was passiert ist. Ich weiß zwar, dass Harriet auf der Intensivstation liegt und um ihr Leben kämpft, doch es scheint so unwirklich.

Schließlich fahre ich zurück zum Krankenhaus. Bevor ich Harriet auf der Intensivstation besuche, hole ich mir in der Cafeteria einen Kaffee. Zu meiner Überraschung, ist Rossi ebenfalls da.
"David?"
Er wirbelt herum. Als sich unsere Blicke treffen, winkt er mich zu sich heran. Er sitzt an einem kleinen, runden Tisch und isst ein Brötchen. Ich setzte mich zu ihm und nehme einen großen Schluck von meinem Kaffee.
"Wie fühlst du dich?", fragt er.
"Ich habe Angst", gestehe ich.
Wir sind erst seit wenigen Wochen verheiratet. Ich möchte kein Witwer werden.
"Harriet ist stark. Sie wird es schaffen", versucht Rossi mich aufzumintern.
Leider wissen wir beide, dass dies bloß leere Worte sind. Sie könnte jeden Moment sterben.
"Komm, gehen wir zu ihr."

"Die Besucherzeit ist vorbei", meint eine Krankenschwester und zieht herausfordernd die Brauen hoch.
Rossi zeigt ihr seine Marke. "Bitte."
Die Schwester verdreht die Augen und lässt uns vorbei.
Zuerst fällt mir auf, dass Harriet eine Glatze hat. Sie mussten ihr den Kopf rasieren, damit sie operieren konnten. Bei dem Anblick setzt mein Herz einen Schlag aus. Ein Pfleger wechselt gerade ihren Verband. Eine riesige Naht zieht sich über ihren Hinterkopf. Außerdem stecken ein paar Schläuche in ihrem Körper, die sie mit Antibiotika versorgen. Sie liegt noch immer im Koma. Eigentlich hätte sie längst aufgewacht sein müssen. Ich erinnere mich an die Worte des Arztes: Wir können nicht garantieren, dass sie wieder aus dem Koma erwacht.
Ich nehme ihre Hand in meine.

Ein paar Tage später hat sich nichts an ihrem Zustand geändert. Harriet liegt im Koma und gibt kein Zeichen von sich. Emily musste zurück nach England fliegen. Außerdem wurden wir von der Stadt angefordert. Es gibt einen neuen Fall, den wir lösen sollen.
Wie soll ich mich auf die Arbeit konzentrieren, wenn meine Frau im Koma liegt und jeden Moment sterben könnte? Ich bleibe ein paar Stunden an ihrem Bett sitzen. Es wundert mich, dass man uns nicht auffordert zu gehen.

Aaron

Ich lege das Telefon beiseite.
Eine Leiche wurde gefunden. Selbstmord. Ein Schuss in den Kopf. Ryan Harper ist nicht der Täter! Er war nur eine Ablenkung und hat nie vorgehabt, die Geiseln zu töten. Er sollte uns auf eine falsche Fährte führen. Der wahre Mörder läuft noch immer frei herum. Aber, wieso hat er Harriet in den Kopf geschossen, wenn er nur das Ablenkungsmanöver war?

Spencer

Das Piepen des EKGs ist zu einem Geräusch geworden, das ich ausblenden kann. Ich horche erst auf, als die Abstände zwischen den Herzschlägen länger dauern. Nach ein paar Minuten geht ein Alarm los. Sofort stürmen Ärzte in das Zimmer und sie wird an ein Beatmungsgerät gehängt. Ich stehe nur da und schaue ihnen dabei zu.

Hotch ruft mich an und erzählt mir, was los ist. Seltsamerweise bin ich froh darüber, dass wir den wahren Täter nun fangen müssen. Dann habe ich etwas zu tun und kann den Mann verhaften, der indirekt für Harriets Zustand verantwortlich ist. Dann kann ich arbeiten, ohne mich schlecht zu fühlen, weil ich nicht bei ihr bin. Bevor ich zu Hotch ins FBI-Gebäude fahre, rufe ich Casey an. Als ich ihr erzähle was passiert ist, bricht sie in Tränen aus. Sie kommt morgen, um Harriet zu besuchen.

"Was wir über den Täter wissen ist irrelevant, da wir den falschen Mann verfolgt haben", wirft Rossi ein.
Wir haben uns getroffen, um den weiteren Vorgang zu besprechen. Ich versuche mich auf die Arbeit zu konzentrieren, doch meine Gedanken schweifen immer wieder ab.
"Können wir noch immer davon ausgehen, dass der Täter im medizinischen Bereich tätig ist?"
Morgan nickt langsam. "Ja, er könnte ebenfalls in dem Krankenhaus arbeiten."
Hotchs Handy klingelt.
"Entschuldigt ihr mich?"
Er steht auf, wendet sich von uns ab und hört dem Anrufer aufmerksam zu. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass ich von Alex und Derek beobachtet werde. Ich starre demonstrativ in die andere Richtung und sie wenden den Blick verlegen ab. Wenige Minuten später lässt Hotch die Hand langsam sinken und dreht sich zu uns um.
"Der Täter geht an die Öffentlichkeit", sagt er. "Er tötet seine Opfer live."

Criminal Minds - Spencer und HarrietWo Geschichten leben. Entdecke jetzt