Kapitel 40 - Schlaf

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Wir bestimmen unsere Vergangenheit selbst. Wir können danach sterben, ihr zu entfliehen oder dem, was an ihr schlecht war, aber wir entkommen ihr nur, wenn wir etwas besseres hinzufügen.
- Wendell Berry

Harriet

Die restlichen Feiertage verbringe ich allein, da Spencer zu seine Mutter besucht und Casey Silvester mit ihren Freunden verbringen möchte. Ich sehe mir alte Filme an, bis der Countdown im Fernseher läuft. Dann schaue mir das Feuerwerk an, das die Nachbarn auf der Straße zünden. Ich versuche Casey oder jemanden aus dem Team zu erreichen, doch die Leitungen sind zu überlastet. Später versuche ich es erneut und werde zu Hotch durchgestellt.
"Frohes Neues Jahr, Hotch!"
"Wenn wir nicht im Dienst sind, brauchst du nicht Hotch zu sagen."
"Frohes Neues, Aaron!"
"Frohes Neues, Stone", erwidert er.
"Wenn wir nicht im Dienst sind, brauchst du nicht Stone zu sagen."
"Frohes Neues, Harriet."
Und das war es dann auch fast mit unserem Gespräch.
"Feierst du mit deinem Sohn?", frage ich noch.
"Ich bin im Büro."
"Soll ich vorbeifahren und dir helfen?"
"Willst du das wirklich?"
Will ich zusammen mit meinem Boss um Mitternacht Papierkram erledigen?
Tatsächlich würde mir das nichts ausmachen.
"Soll ich kommen und dir helfen?", frage ich erneut.
"Bleib zu Hause, Harriet. Ich weiß dein Angebot zu schätzen. Wir sehen uns morgen."

Es hat lange gedauert, bis ich endlich eingeschlafen bin, da der Lärm aus der Nachbarschaft mich wachgehalten hat.
Mein herzloser Wecker schellt viel zu früh. Ich hole Spencer wie gewohnt von zu Hause ab, um ihn mit zur Arbeit zu nehmen. Während der Fahrt unterhalten wir uns und er erzählt mir, wie es bei seiner Mutter gewesen ist.
Ich parke am BAU-Gebäude.
Gemeinsam steigen wir aus und gehen hinein. Abgesehen von Hotch und einem Mann, den ich nicht kenne, sind nur wir da. Spencer setzt sich an seinen Schreibtisch und ich hocke mich zu ihm auf die Tischkante.
"Wer ist das?", frage ich und deute auf den Mann in Hotchs Büro.
"Das ist Mateo Cruz. Vor einiger Zeit hat er mit JJ gearbeitet. Manchmal kommt er vorbei, wenn es etwas zu besprechen gibt, oder wenn er einen speziellen Fall für uns hat."
"Sind nicht alle Fälle, die wir bearbeiten, irgendwie speziell?"
"Stimmt."
Cruz kommt aus dem Büro, nickt uns im Vorbeigehen zu und verlässt das Gebäude.
Garcia und Morgan stoßen zu uns.
"Wir haben Mateo draußen auf dem Parkplatz gesehen. Was wollte der denn?", fragt Morgan.

Der Rest des Teams trifft ein und wir werden von Hotch in den Besprechungsraum zitiert.
"Garcia, was ist los?", fragt JJ.
Sie zuckt bloß mit den Schultern und blickt Hotch ebenso verdutzt an wie wir.
"Ich habe gerade einen Fall bekommen", sagt er schließlich und schaut uns alle der Reihe nach an. "Es tut mir leid, aber wir werden schon heute aufbrechen müssen."
"Was ist denn passiert?", höre ich Alex fragen.
"Wir haben einen Täter, der in drei Tagen drei Menschen ermordet hat. Jedem Opfer hat er Körperteile abgeschnitten und Haare ausgerissen."
"Vielleicht sind die Körperteile und Haare eine Art Trophäe für ihn", sagt Rossi.
"Wie wurden die Opfer getötet?", frage ich.
"Teilweise Overkill", antwortet Hotch.
"Also ist der Täter höchstwahrscheinlich ein Mann. Es benötigt viel Kraft und Ausdauer, jemanden auf diese Art zu töten", wirft Reid ein.
"Wieso sollte sich der Täter ein Opfer suchen, es töten und dann ein paar Härchen oder Körperteile mitnehmen? Geht es dem Täter nur um das Töten selbst? Ich denke, da steckt mehr dahinter."
"Finden wir es heraus. Start in vierzig Minuten."

Im Flieger schlafe ich relativ schnell ein. Wahrscheinlich, weil ich letzte Nacht so schlecht geschlafen habe und noch immer von Albträumen heimgesucht werde.
Ich renne einen dunklen Korridor entlang. Die Luft ist sehr schwül und ich stolpere immer wieder. Jemand ist hinter mir her. Meine Lungen brennen und gieren nach Luft. Nicht stehen bleiben. Plötzlich sehe ich eine Tür am Ende des Gangs, unter der Licht hindurch scheint. Ich renne darauf zu, reiße die Tür auf und schließe sie von innen ab. Langsam drehe ich mich um. Vor mir liegt ein Berg aus Leichen. Es ist sehr hell, weswegen ich jedes kleinste Detail ausmachen kann. Die eingefallenen Augen, die blauen Lippen, der entsetzte, leidende Blick ...
Ich schreie.
"Harriet! Wach auf!"
Jemand rüttelt mich heftig an der Schulter. Ich schnappe nach Luft und setzte mich auf. Es dauert einen Moment, bis mir klar wird, dass ich im Flieger, in Sicherheit bin.
Nur ein Traum, sage ich mir. Nur ein Traum.
"Du hast geschrien!", klärt Morgan mich auf und sieht mich eindringlich an.
Alle Augen sind auf mich gerichtet.
"Ich, äh, habe nur schlecht geträumt", murmele ich und reibe mir über das Gesicht.
"Hast du immer noch Albträume?", fragt Spencer.
"Mir geht es gut", versichere ich, ohne auf seine Frage einzugehen. "Es tut mir leid."
Ich atme ein paar Mal tief durch. Komm wieder runter. Meine Hände zittern.

Criminal Minds - Spencer und HarrietWo Geschichten leben. Entdecke jetzt