Kapitel 25
*** Einen Überblick verschaffen ***
20. Dezember 1762
Was mich geweckt hat, kann ich nicht sagen, nur soviel, dass ich ein eigenartiges Gefühl plötzlich hatte.
Es fühlte sich an, als wäre jemand hier gewesen in unserem Zimmer, nicht als wir schliefen, sondern vorher bereits. Leise stand ich auf, Alex schlief noch. Es war noch nicht richtig hell und ich ging hinüber zu meiner Truhe.
Als ich sie geöffnet hatte, traute ich meinen Augen nicht! Alles war durchwühlt und meine eigene Ordnung war dahin! Ich fluchte laut und schlug den Deckel wieder zu.
Plötzlich hörte ich ein erschrockenes „Was ist los?" von meiner Verlobten, natürlich habe ich sie mit diesem Poltern geweckt!
Sie wartete aber auf keine Antwort, sondern sprang aus dem Bett, als sie realisierte, dass etwas mit unseren Truhen nicht stimmt! Auch ihre war völlig durcheinander, wir konnten aber von Glück sagen, dass alle wichtigen Unterlagen und Gegenstände in der gesicherten Stahltruhe im Templerzimmer unten versteckt waren.
„Haytham, fehlt etwas? Wer ist hier eingebrochen? Und... warum?" kam es jetzt besorgt von Alex.
Was darüber hinaus noch eigenartig ist, dass ich nicht die geringsten Spuren ausmachen konnte. Wie gestern schon mit Caroline, war nichts auszumachen!
Ich teilte ihr nun meine Vermutung mit, dass es sich um einen der Lakaien vom Duke handeln muss, der es wohl doch unbemerkt hier herein geschafft haben muss. Auch das Fehlen der Spuren erzählte ich ihr.
„Haytham, ich könnte mir denken, warum hier jemand die Sachen durchwühlt hat und warum man auf der Jackdaw ebenfalls gesucht hat."
Dann wäre es von Vorteil, wenn sie mich aufklärt, ich hatte nämlich nicht den blassesten Schimmer!
In mir tobte immer noch die Wut über diesen Einbruch und das hörte man auch in meinen Worten, sie kamen harscher als ich wollte!
„Ich habe Seekarten, persönliche Notizen und das Logbuch der HMS Iron Duke an mich genommen. Ich gehe davon aus, die Damen und Herren hätten sie gerne wieder in ihrem Besitz." erläuterte sie mir ihre Gedanken und Alex hatte Recht, danach musste der Einbrecher Ausschau gehalten haben und vermutlich nach den persönlichen Schriften von Master Montegue!
Etwas beruhigter schloss ich meine Verlobte nun in meine Arme und dankte ihr, dass sie so umsichtig war, ihre Stahltruhe zu verstecken.
Lange hielt sie es aber nicht aus und meinte nur, ihre Füße würden gleich erfrieren und sie wolle sich Hausschuhe zulegen! Eine gute Idee und dann klopfte auch schon Magda und kündigte das Frühstück an.
Lieber würde ich noch ein paar Minuten mit meiner zukünftigen Frau im Bett verbringen, doch ich bekam das Versprechen, dass wir später sicherlich noch Zeit dazu haben werden. Besitzergreifend legte ich meine Hände auf ihren Po und meinte nur, dass ich sie beim Wort nehmen werde! Meine Worte erzielten genau die Wirkung, wie ich sie haben wollte, ihr Gesicht lief feuerrot an und ich grinste breit.
Beim Frühstück verlor meine kleine Schwester keine Zeit und fragte, ob wir die Brig beschützen konnten!
„Ja, es waren jetzt auch nicht so wahnsinnig viele von ihnen. Neun insgesamt und mit einem hatten wir noch einen netten Plausch!"
Alex' Art eine solche Quälerei so positiv zu umschreiben war faszinierend und ich erklärte, WIE wir den Herren dann zum Sprechen gebracht hatten. Sie erntete von allen Anwesenden erstaunte Blicke!
„Was denn? Sollte ich ihn lieb fragen und auf einen Tee einladen, damit wir das ausdiskutieren können? Aus dem Alter bin ich nun wirklich raus und... wenn ich ehrlich bin, hier kann ich meine erlernten und trainierten Fähigkeiten endlich vernünftig einsetzen."
Ja, ihre eigenwillige Ausdrucksweise war Teilweise für uns hier schwer zu verstehen, sie klang etwas unbekümmert würde ich sagen. Aber sie hatte Recht, Alex konnte nun so kämpfen, wie es mein Vater vorgesehen hatte.
Auf Faiths Frage, ob er auch geredet hätte, erklärte ich in Richtung von Shay, dass der Duke in eben diesem riesigen Anwesen Hof hält. Mit einem Mal sah ich, wie das schlechte Gewissen in ihm hochkam.
„Hopes Anwesen, schätze ich mal. Dort wurde vor ein oder zwei Wochen tatsächlich von einem möglichen Einzug eines neuen Besitzers gesprochen. Verdammt, ich hätte dem mehr nachgehen sollen. Es tut mir leid, Master Kenway!" kam es nun leise entschuldigend von ihm. Doch ich winkte ab, er konnte es ja nicht wissen.
Zumal er auch noch nicht so lange wieder hier ist, dazu noch das ganze Drama hier mit der Familie.
Ich würde mich mit Alex dort erst einmal umsehen, am besten gleich heute morgen. So wären wir etwas geschützter durch die ganzen Anwohner dort, die ihren täglichen Arbeiten und Erledigungen nachgingen.
Meine Verlobte meinte dann freudig, dass ihr das wunderbar passt. Sie müsse sowieso noch Besorgungen machen! Meine Neugierde siegte und ihre Antwort hätte ich mir schon fast denken können.
„Ich brauche noch Geschenke für die Kinder, Haytham. Ich hatte eigentlich vorgehabt, July die Puppe zu Weihnachten zu schenken. Aber ich muss gestehen, in dem ganzen Vorbereitungstrubel bei mir, sind alle andere Feierlichkeiten vergessen gewesen!"
Also machten wir uns in warme Umhänge gehüllt auf den Weg Richtung East Village. In einigen Geschäften machten wir Halt und sie erledigte ihre Einkäufe. Alex hatte sich genau überlegt, wer was mag und ich sah, dass sie hoffte, das July und Cadan sich über die Geschenke freuen würden.
Als wir in der Nähe des Anwesens waren, spürte ich diese Veränderung. Sie zeigte sich in Form von einer anderen Bevölkerungsschicht, hier wohnten die besser betuchten Bürger! Wie damals schon, fand ich die große Villa mit dem riesigen Grundstück sehr beeindruckend und wir schlenderten die Straße davor entlang. Es war schnell klar, dass hier jemand Angst vor Übergriffen hatte, die Wachen waren allgegenwärtig und in großer Zahl um das Grundstück verteilt.
Wir lauschten den vorüber gehenden Passanten und erfuhren, dass dieser Neuzuzug sehr imposant erschien, genau wie das Anwesen, man aber den Eigentümer nicht selber gesehen habe. Man freue sich aber auf die ersten Gesellschaften und auch seine Tochter musste ja in die Reihen mit aufgenommen werden. Alex und ich sahen uns beide nur fragend an. Der Duke war verheiratet, aber hatte keine Kinder! Also wer ist dann mit ihm zusammen hier eingezogen? Ich hoffte, dass sich das auch noch aufklären würde.
Ich versuchte meiner Verlobten nun in groben Zügen das Grundstück mit dem Gebäude zu beschreiben. Ich hatte noch eine dunkle Vorstellung davon, als ich damals mit Shay und Lucius wegen July hier war.
Es würde sich aber wahrlich schwer hier eindringen lassen, bei den ganzen Wächtern, geschweige denn, man könne über die hohen Mauern ungesehen gelangen. Frustriert atmete ich jetzt aus und auch Alex war nicht begeistert, doch noch konnten wir hier nichts ausrichten.
Da es schon fast Mittag war, machten wir uns auf den Rückweg. Aber nach ein paar Schritten fiel mir ein, dass ich über ein Hochzeitskleid für Alex nachgedacht hatte. Sie hatte einige Kleider dabei, das wusste ich. Doch keines wäre angemessen.
Also schleifte ich sie in Richtung eines Geschäftes, bei welchem ich wusste, dass der Schneider nur hochwertige Stoffe nutzte und sauber arbeitete. Dort angekommen, war auch ihre erste Frage, warum ein neues Kleid anschaffen, sie hätte ja welche! Ich führte sie ins Innere und überlegte mir, dass sie sich einfach selbst ein Bild von der Qualität der Arbeit machen sollte.
Mr. Gready begrüßte uns freudig und hieß uns in seinem bescheidenen Geschäft willkommen. Ich erläuterte, weswegen wir hier waren und seine Augen leuchteten, als er uns einige Modelle zeigte.
Es dauerte nicht lange, da hatte der Herr ein wirklich schönes Exemplar gefunden und zeigte es meiner Verlobten. Ein schwarzer weit ausgestellter Überrock, über diesem lag ein Oberteil aus beigefarbener Seide, welches ähnlich eines Gehrocks gearbeitet war.
Ich hieß sie, es auch gleich anzuprobieren, damit eventuelle Änderungen vorgenommen werden konnten. Anschließend besprach ich noch den Preis mit Mr. Gready und dass das Kleid dann in den nächsten Tagen geliefert werden solle!
Als wir wieder draußen standen, schlang Alex ihre Arme um mich und hauchte mir ein leises „Danke!" auf die Lippen! Mehr brauchte es nicht und ich war zufrieden!
Wir gingen nun aber wirklich zurück, es war bereits weit nach dem Mittagessen. Doch Alex schien es mit einem Male nicht mehr so eilig zu haben und ich konnte fühlen, dass sie es gerade genoss, mit mir alleine sein zu können.
„Wir müssen so langsam mitteilen, dass wir planen Silvester zu heiraten, mi amor. Ich möchte nicht noch länger damit warten. Sonst fühlt sich deine kleine Schwester überrannt und sie ist ja auch noch nicht wieder ganz gesund. Auch wenn ich im Moment noch Bedenken habe, wegen Caroline. Ihr Tod nimmt Faith ganz schön mit, sie tut mir so leid!" hörte ich sie plötzlich leise sagen.
Darüber hatte ich mir auch schon Gedanken gemacht und machte den Vorschlag, dass wir es heute Abend, wenn die Kinder im Bett sind, kundtun werden!
Als wir in die Eingangshalle traten, kam ein breit grinsender Ire die Treppe hinunter. Auf meine Bemerkung, er sähe aus, als hätte er gute Nachrichten bekommen, meinte er trocken „Nicht unbedingt, aber... interessante Nachrichten." und ging in sein Arbeitszimmer.
Meine Verlobte meinte dann, sie würde uns noch etwas vom Mittagessen besorgen und schob mich ins Esszimmer. Während des Essens kamen wir auf die Unterlagen des Kapitäns der versenkten Fregatte zu sprechen und waren uns einig, dass wir nachher einen Blick darauf werfen sollten.
Gestärkt gingen wir nun an die Arbeit und je mehr ich las, desto mehr stieg auch die Wut auf den Duke und diesen Montegue.
Sie schmuggelten nicht nur, sie handelten auch offiziell mit Pelzen, Tabak, Rum, feinen Stoffen und Tee zum Beispiel. In den persönlichen Aufzeichnungen las ich, dass man stolz sei, bereits so viele Schiffe der Templer auf den Grund des Meeres geschickt zu haben und es die lukrativen Geschäfte noch weiter festigte.
An Alex gewandt meinte ich in Gedanken dann, wir sollten kein Schiff mehr ohne Begleitschutz segeln lassen. Dann warf sie ein, sie könne ja ihre Jackdaw zur Verfügung stellen, doch das ginge zu weit.
Als hätte er neben uns gestanden, hörte ich die Worte meines Vaters, die Alex darüber belehrten, dass das nicht zur Debatte stand. Die Brig gehörte hierher und sollte bei uns in der Nähe bleiben, wir würden sie immer wieder selber benötigen. Auch ich äußerte diesen Gedanken! Somit war für mich klar, dass ich nach potentiellen Begleitschiffen Ausschau halten würde und bat auch meine Verlobte um das gleiche. Durch die Geschäfte hätte sie Kontakt zu verschiedenen Kapitänen und verfügte über entsprechende Verbindungen!
Ich hegte die Hoffnung, dass das eine ausreichende Maßnahme sei. Zusätzlich setzte ich jetzt ein Schreiben auf, welches alle derzeit beschäftigten Schiffe warnen sollte, auf der Hut zu sein!
Die gesicherte Truhe verstauten wir wieder im Geheimversteck und gerade als wir aus dem Zimmer kamen, wurden wir von großem Trubel in der Eingangshalle empfangen! Plötzlich geisterte ein drittes Kind hier herum und ich erkannte tatsächlich diese Ähnlichkeit zu Liam O'Brian und auch Alex bemerkte es.
Hatte meine kleine Schwester Shay nun doch überzeugt, dass er hier bleiben kann, jetzt wo seine Mutter auch nicht mehr lebte? Der Junge konnte ja nun wirklich nichts dafür!
Alex' nächste Worte verstand ich nicht und wunderte mich nur, wie sie auf so eine Idee kommen konnte.
„Ich glaube, so langsam herrscht Platzmangel und wir sind euch lange genug auf die Nerven gegangen. Haytham, wir sollten schauen, dass wir eine andere Bleibe finden..." Sie vergaß, dass es genügend Angestellte gab, die Faith halfen und Platz wäre ja nun wirklich genug hier. Auch meine kleine Schwester meinte, wir sollten selbstverständlich bleiben, sie hätten mich ja schließlich eingeladen, Alex wäre eben der schöne Bonus dazu gewesen!
Damit war meine Verlobte überstimmt und wir würden hierbleiben!