Der Tod der irischen Familie

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Kapitel 7
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Der Tod der irischen Familie



„Du siehst mich so seltsam an, Alex." misstrauisch beäugte er mich plötzlich. „Es ist nichts Schlimmes, ich habe nur gerade festgestellt, dass ich ja jetzt mit dir einen gewissen Alltag erlebe. Das ist für mich noch etwas ungewohnt, ich war sonst immer alleine und... habe für mich und meinen Sohn gesorgt!"

„Das ist übrigens etwas, was ich nicht verstehen kann. Eine Frau hier in dieser Zeit, hätte gar keine andere Wahl als ihren Körper zu verkaufen um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Es sei denn, sie kommt in einem Haushalt unter. Wie ... hast du es dann geschafft?" fragte er etwas zögerlich und ich sah, er hatte Angst vor der Antwort.

„Haytham, ich hatte eine Arbeit, ich hatte eine Wohnung und ich hatte Familie und Freunde die mich unterstützten. Frauen in meiner Zeit haben auch wesentlich mehr Rechte und Möglichkeiten ihr Leben selbstbestimmt zu führen. Es werden aber diesbezüglich noch einige Jahrzehnte und Jahrhunderte vergehen, bis es soweit ist. Wir Frauen haben lange für unsere Rechte kämpfen müssen. Und trotzdem werden wir mitunter immer noch schlechter als Männer bezahlt, obwohl wir den gleichen Beruf ausüben! Ich war in der glücklichen Position, dass wir nach Leistung und Aufträgen bezahlt wurden..." ich stockte plötzlich... Haytham sah mich mit großen Augen an.

„Alex... es hört sich seltsam an für mich. Gibt es denn keine Traditionen mehr bei euch? Es muss doch jemand für die Kinder daheim sein, jemand muss doch..." aber er unterbrach sich selber, ich nahm seine Hand und sah ihm in die Augen. „Haytham, ich respektiere deine Einstellung, aber ich lasse mich nicht auf EINE Rolle reduzieren. Ich werde dir zur Seite stehen, ich werde meine eigene Meinung behalten und ich werde, wenn Odin es wünscht, unser Kind großziehen. Aber... ich will nicht nur DARAUF reduziert werden. Vergiss nicht, meine Aufgabe ist klar definiert und ich werde sie erfüllen, koste es was es wolle!"

Plötzlich hörte ich ein erleichtertes Aufseufzen... „DAS ist durchaus ein Kompromiss auf den ich mich einlassen kann! Ich brauche dich und ich weiß, du bist eine gute Mutter. Yannick ist ein guter Junge und..." er sprach nicht weiter, sondern nahm mich einfach in den Arm, denn er sah, dass mir die Tränen bei dem Gedanken an meinen Sohn über die Wangen liefen.

„Es tut mir so leid für dich ... aber denke daran, er wird es schaffen, er hatte dich, die Frau, die ihn zu einem guten Menschen erzogen hat. Und... ich hatte einige Gespräche mit ihm und ich weiß, er wird dich und dein Tun in Ehren halten!" Haytham gab mir einen vorsichtigen Kuss auf die Stirn. Und ich konnte es förmlich hören, dass er ebenso ein Kind haben wollte, an welches er seine Ansichten und Traditionen weiter reichen konnte. „Haytham... ich weiß nicht, ob ich überhaupt noch ... Kinder bekommen kann." und in mir verdunkelte sich alles, ich war 46 Jahre alt...

„Das ist mir bewusst und ich weiß ja tief in mir, dass ich einen Sohn habe... dennoch wünsche ich mir ein Kind, welches ich aufwachsen sehen kann." meinte er mit einer Traurigkeit in der Stimme, die ich noch nicht von ihm kannte. „Vielleicht sollte ich ein paar Worte mit Faith reden und sie um Rat fragen. Vielleicht... hat sie ja ein paar hilfreiche Tipps... wie ich... also... dass ich... du weißt schon!" verlegen und mit hochrotem Kopf stand ich auf einmal vor ihm.

Ein Lächeln umspielte seine Lippen und er sah mich mit dunklen grauen Augen an. „Wir werden ein paar Wochen in New York verbringen und ich denke, ihr werdet sicher die Zeit für derlei Gespräche haben. Weil ich möchte, dass du glücklich bist." diese Worte kamen fast lautlos aus seinem Mund und ich starrte ihn fassungslos an.

„Du meinst das ernst, oder?" ich hielt sein Gesicht in meinen Händen und versuchte herauszufinden, ob er es wirklich so meinte, wie er sagte. Doch seine Gedanken offenbarten, dass er es tatsächlich so wünschte! „Ich liebe dich, mi amor!" gab ich mit stockender Stimme von mir und gab ihm einen vorsichtigen Kuss. Für einen Moment hielt er mich einfach und ich konnte spüren, dass er sich wieder entspannte, genau wie ich auch.

„Ist das alles Schicksal?" fragte Haytham etwas unsicher. „Ja, das wird es sein, anders ließen sich meine Reisen und... unsere Liebe nicht mehr erklären, mi amor." Ich hätte es vor einigen Jahren nicht mal in Erwägung gezogen, diesen Templer auch nur anzurühren. Und jetzt?

„Ich werde dir jetzt dein neues Zuhause zeigen, komm." wie in Zeitlupe löste er unsere Umarmung und nahm meine Hand und führte mich nach oben. Als wir bei den Ställen waren, wurden unsere Pferde gesattelt und ich stand vor Fenrir, meinem wunderschönen schwarzen Friesen. Meinem ersten eigenen Pferd. Und in diesem Moment realisierte ich wieder, dass sich für mich einiges geändert hatte und auch noch ändern wird. Langsam strich ich über das Fell dieses Tieres und er stupste mich wieder an, seine Nüstern entspannten sich wieder und er schnaubte nur.

„Du er et smukt dyr. Hvorfor kendte jeg dig ikke før i min tid!" (Dänisch... Du bist ein wunderschönes Tier. Warum habe ich dich nicht schon vorher in meiner Zeit gekannt!) Der Stallmeister und Haytham sahen mich mal wieder mit großen Augen an. „Ich... habe ich wieder in Dänisch mit ihm gesprochen?" fragte ich und die Herren nickten heftig. Ich musste einfach grinsen, warum passierte mir das bei diesem Pferd?

Als mein Tier fertig war und auch Haythams Stute bereit war, saßen wir auf und mein Verlobter lenkte uns über die große Auffahrt Richtung der ersten Felder. Um diese Jahreszeit waren sie verwaist, der Winter hatte sich bereits ausgebreitet. Jetzt ging es kreuz und quer über dieses riesige Gelände und ich würde heute sicher nicht alles zusehen bekommen, dachte ich noch so bei mir.

Hin und wieder erzählte mir Haytham, auf welchen Feldern was angebaut wurde. Er achtete darauf, dass es ausgewogen war und nicht jedes Jahr auf dem selben Feld das gleich gepflanzt wurde. Er hatte sich lange mit der Thematik beschäftigt und sich Ratschläge von erfahrenen Pflanzern geholt. Das fand ich eine gute Eigenschaft, er war nicht so arrogant zu glauben, alles selber wissen zu können, sondern ließ auch andere Meinungen und Ansichten zu.

Irgendwann kamen wir an einem kleineren Feld vorbei und er lenkte seine Stute in Richtung der kleinen Hütte. Doch ich sah, dass er misstrauisch darauf sah. „Haytham, was ist los?" fragte ich ihn. Es schien etwas nicht zu stimmen.

„Es kommt kein Rauch aus dem Schornstein, Alex. Es brennt kein Licht. Das ist zu dieser Jahreszeit und Witterung sehr ungewöhnlich!" Langsam stieg er ab, als wir vor der Behausung standen. Auch ich saß ab und stand etwas unsicher neben ihm. „Vielleicht sind sie gerade bei ihren Nachbarn, oder..." doch er ließ mich nicht ausreden.

„Alex, hier lebt eine Familie mit 3 kleinen Kindern. Sie kommen aus Irland und haben sich vor einem halben Jahr erst hier niedergelassen. Hier stimmt etwas nicht." Ich sah mich um, aber ich konnte weder etwas hören noch etwas mit meinem Blick wahrnehmen.

Plötzlich zitterte mein Verlobter und starrte die Unterkunft an. „Haytham... was ist los?"

Doch zu mehr kam ich nicht... er stürmte auf die Tür zu und trat sie kurzerhand ein und hielt sich sofort den Mantel vor die Nase. Ich ging hinterher und mir stieß dieser widerliche süßliche Verwesungsgeruch in die Nase und das, obwohl Winter ist und die Temperaturen tagelang unter Null waren. Wir fanden die Familie zusammen gekauert in einer Ecke des großen Raumes. Doch... etwas war seltsam. (Anmerkung: Ich habe bei einem Bestatter gearbeitet, ich weiß, wie Verwesung riecht!)

„Alex, sie sind nicht eines natürlichen Todes oder aufgrund einer Krankheit verstorben!" gab mein Verlobter keuchend von sich und musste sich beherrschen, dass er sich nicht übergeben musste. „Woher weißt du das?" fragte ich jetzt ebenso mit dem Brechreiz kämpfend.

„Ich... kann es sehen! Es hat ein kurzer Kampf stattgefunden... sie... wurden dabei einfach eiskalt erschossen!" kam es stockend von Haytham. Ich setzte meinen Blick ebenfalls ein, doch ich sah nichts. Keine Spuren oder Auren...

Dann drehte sich mein Templer ruckartig um und schritt aus der Behausung... sein Blick hing am Boden, auf welchem ich nichts erkennen konnte. Haytham jedoch war in der Lage Dinge zu sehen, welche für uns alle nicht mehr nachvollziehbar waren. Also ging ich davon aus, dass er einer Spur folgte und so war es auch. Einige Meter weiter blieb er stehen und hob etwas vom Boden auf und zeigte es mir. „Das gehörte einem der Mörder!" meinte er nur und ging weiter. Es war ... ein Zahn, aber ein goldener! Wie bitte kam der hierher, soweit von... Aber ich hatte keine Zeit nachzudenken, ich musste meinem Verlobten hinter her eilen.

Schnellen Schrittes ging er weiter in Richtung des Waldes und sah die ganze Zeit auf den Boden. Dann blieb er wieder stehen und bückte sich, hob wieder etwas auf. Dieses mal war es ein Fetzen von ... ja... von einem Kleidungsstück... „Haytham... jetzt warte doch bitte mal..." doch er ließ sich nicht beirren und ging einfach weiter.

Ein paar Meter weiter, als wir schon zwischen all den Bäumen standen, hielt er inne. „Alex, siehst du das?" Ich sah seinem Fingerzeig hinterher, doch ich sah nur kahle Bäume. „Was soll ich sehen?"

Erstaunt blickte er auf mich hinunter und realisierte, dass ich nicht dasselbe sah wie er. „Ich... ich kann wirklich anders sehen, das merke ich gerade. Also... hier sind einige Plünderer durchgekommen und haben dort auf der Lichtung ihr Lager gehabt. Doch wie es aussieht, sind sie schon vor ein oder zwei Wochen weitergezogen." meinte er jetzt sichtlich enttäuscht.

„Bei Odin, das ist ja schrecklich... aber warum bringt man denn bitte diese armen Menschen um. Sie haben doch auch kein Vermögen unter der Matratze!" fragte ich einfach und mein Verlobter schüttelte mit dem Kopf. „Nein, das sicher nicht. Aber sie hatten Lebensmittel und das genügt in dieser Zeit schon, mi sol. Es wird wegen viel weniger schon ein Mord begangen... Doch ich kann es nicht verhindern!" frustriert schlug er mit der Faust gegen einen Baumstamm.

„Verzeih meine Frage, aber hatte diese irische Familie Waffen zur Verfügung, um sich selber zu verteidigen? Nunja, es sah eher so aus, als hätten sie sich einfach versucht zu verkriechen!" die Leichen umklammerten sich alle, aber ich hatte keine Waffen oder ähnliches gesehen.

„Nein... sie... Alex, das ist es. Ich sollte meinen Arbeitern helfen, sich selbst zu verteidigen! Warum habe ich nicht selber daran gedacht?" und sein Blick klärte sich, er hatte die ganze Zeit den Sinn genutzt. „Weil du davon ausgegangen bist, dass sie sich selber schützen können! Daran ist nichts Verwerfliches!" meinte ich nur.

Ich sah, dass er jetzt in Panik war um seine anderen Arbeiter. Also eilten wir wieder zu unseren Pferden und ritten zur nächsten Unterkunft, dort aber war alles in Ordnung und mein Verlobter ordnete an, dass die Nachricht umgehend weitergetragen werden soll. Am nächsten Tag erwartete er alle beim Herrenhaus, um die Sachlage zu besprechen. Auch war es wichtig, dass die Familie ein ordentliches Begräbnis bekam.

Als Haytham die Anweisung geben wollte, griff ich einfach seinen Arm und schüttelte den Kopf. „Lass uns das machen, bitte!" doch ich hatte nicht mit der Solidarität der Feldarbeiter gerechnet. Man trommelte einige andere Männer noch zusammen und schon wurde ein großes Grab hinter dem Haus ausgehoben. Der Boden war leicht gefroren, doch sie schafften es und ich staunte über diese Zähigkeit!

Dann brachte man die Toten dorthin und schüttete die Erde über sie! Die Nachbarn standen mit gesenkten Köpfen um das Grab und murmelten ihre Gebete.

Es war mein Verlobter, der das Wort ergriff.

Steh nicht am Grab mit verweintem Gesicht
ich bin nicht da ich schlafe nicht.
Ich bin der Wind der weht über die See
ich bin das Glitzern im weißen Schnee.
Ich bin die Sonne auf reifender Saat
ich bin im Herbst in der goldenen Mad.
Wenn ihr erwacht im Morgenschein
werd ich immer um euch sein.
Bin im Kreisen der Vögel im Himmelszelt
ich bin der Stern der die Nacht erhellt.
Steh nicht am Grab in verzweifelter Not
ich bin nicht da,ich bin nicht Tod.

Es war eine irische Grabrede. Ich kannte sie aus einigen Büchern und mir liefen die Tränen über die Wangen! Dieser Mann hatte ein Wissen inne, welches sich so manch anderer auch einmal aneignen sollte. Ich hielt seine Hand und fühlte, dass er diesen Verlust ehrlich betrauerte.

Einige der Frauen beäugten mich jetzt misstrauisch, man kannte mich noch nicht. Wir gingen mit den anderen Trauernden in Richtung des Weges. Dann drehte sich Haytham um und stellte mich vor. „Meine Verlobte, Mrs. Frederickson, ist gestern endlich aus Europa hier eingetroffen. Sie wird, neben mir, für eure Belange mit da sein und mich unterstützen. Somit wird sich nichts ändern." sprach er freundlich, aber in diesem autoritären Ton.

Sie alle nickten und hießen mich willkommen. Ich hörte auch deutsche Akzente heraus und schmunzelte in mich hinein und freute mich, dass ich ab und zu ohne simultan übersetzen zu müssen, reden konnte. Dann verabschiedeten wir uns und mein Verlobter erinnerte noch einmal an die Versammlung morgen früh.

Even when your kind appears to triumph - Part 4Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt