XXI

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Darryl führte mich tiefer in den Wald. Irgendwann verlor ich die Orientierung und wusste gar nicht mehr, wo wir überhaupt waren.

Die Vögel über uns sangen ihre Lieder, Blätter fielen von den Bäumen und einige Sonnenstrahlen schienen auf den Waldboden. Das Unterholz knisterte unter unseren Schritten und ich verlor mich in der Schönheit der Natur. Wir liefen so dicht beieinander, dass wir uns fast berührten und unsere Hände strichen öfters die des anderen. Es wirkte so vertraut und alles in mir schien sich zu entspannen und den Moment zu genießen.

„Schön hier, nicht?", kam es plötzlich von dem Schwarzhaarigen.

Ich machte einen zustimmenden Laut und sah zu ihm auf, wobei ich meinen Kopf etwas in den Nacken legen musste. Er schenkte mir ein Lächeln in welchen so viel Liebe und Vertrauen steckte, dass ich mich wieder an meinen Traum von vergangener Nacht erinnerte. Doch noch wollte ich nicht fragen, wollte die Stimmung nicht ruinieren. So liefen wir noch eine Weile weiter, bis wir an einen großen See kamen, an dessen Ufer wir uns setzten.

„Ich dachte schon, ich würde nie mehr mit dir hierherkommen", murmelte er leise und für einen Moment schloss er die Augen.

Ich legte meinen Blick auf den See und lehnte mich leicht an ihn. Da war irgendetwas zwischen uns, was ich mir nicht ganz erklären konnte. Hatte ich mich vielleicht etwa in ihn verliebt? Der Umgang mit den jeweils anderen war so vertraut und voller Hingabe, was ich nicht verstand, aber andererseits auch nicht missen wollte.

Weswegen ich auch endlich nachfragen wollte. „Darryl?", begann ich vorsichtig, „Ich hatte letzte Nacht wieder einen Traum, aber..."

„Aber es war kein Traum, stimmts?", beendete er meinen Satz, während er mich ansah. Ich erkannte mich selbst in seinen Augen und sah auch etwas Unsicherheit in ihnen.

Zaghaft nickte ich.

„Lass mich raten, es waren Erinnerungen?", wollte er wissen, wobei es eher wie eine Feststellung klang.

Wieder ein Nicken meinerseits. „Es war so lebendig... ich hab es einfach im Gefühl, dass es Erinnerungen waren. Die Szenen kamen mir so bekannt vor", brachte ich zusammen und sah wieder auf den See.

„Deine ganzen Träume waren Erinnerungen, Laila. Du hast die ganze Zeit über nicht geträumt, sondern dein Gehirn hat dir vergessene Erinnerungen gezeigt", erklärte er mir sanft.

Jetzt war ich vollkommen verwirrt. Woher wusste er das? Meinte er damit auch die ganzen nächtlichen Verfolgungen? „Aber, wie kann das sein? Ich mein, dann würde ja mein ganzes Gedächtnis anders sein als gedacht. Ich versteh das nicht", jammerte ich schon fast und sah verzweifelt zu ihm.

Ich war mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem ich beinahe alles anzweifelte, was damals passiert war.

Er drehte sich auch wieder um und sah mich so vorsichtig an, als könnte ich jeden Moment zerbrechen. „Dein Vater hat einen Teil deiner Erinnerungen gelöscht und sie durch Neue ersetzt. Die Vergangenheit, die du kennst, existiert nicht", ließ er die Bombe schließlich platzen.

Mein Vater hatte was?!

Perplex und sprachlos sah ich mein Gegenüber an. Ich glaubte Darryl, zweifelte es aber dennoch an. Ich wollte es nicht wahrhaben, hoffte Darryl würde sich irren oder mich anlügen. Doch sein Blick bewies mir das Gegenteil.

„Nein! Nein, das kann nicht sein. Ich mein, wie?!", rief ich aus und stand abrupt auf. Darryl ließ mich, er schien zu wissen, dass ich mich abreagieren musste. Deswegen saß er einfach nur da und beobachtete mich, während ich wütend hin und her lief und mit mir selbst redete. „So etwas würde er nie tun! Er war immer gut zu mir. Wieso sollte mein eigener Vater mich so behandeln?", wollte ich verlangend wissen.

Das war der Moment für Darryl seinen Beitrag zu leisten. „Er war immer gut zu dir?! Ernsthaft? Er hat dich eingesperrt!"

„Einmal und da war ich auch selber schuld! Ich bin einfach in sein Arbeitszimmer rein, obwohl ich das nicht durfte", verteidigte ich ihn.

„Dann überleg mal, warum du da nicht reindarfst. Er verheimlicht dir etwas!", argumentierte Darryl weiter. „Außerdem ist er total ausgerastet als er erfahren hat, dass du bei dem Fest warst. Deswegen bist du doch auch mit zu mir gekommen!"

„Er hatte es mir verboten und ich hab mich nicht dran gehalten", widersprach ich ihm erneut.

Darryl seufzte. „Denk mal daran, wie er sich in letzter Zeit verhalten hat. Er ist aufgewühlt, wütend. Alles seitdem er von uns erfahren hat."

Ich sah ihn nachdenklich an und ließ mir das Gesagte durch den Kopf gehen. Es machte definitiv Sinn was er mir erzählte. Das Problem war wohl eher, dass ich es nicht wahrhaben wollte. Ich sträubte mich gegen den Gedanken, dass es so sein könnte.

„Außerdem, was ist mit deinen Träumen? Du hast selbst gemeint, dass es Erinnerungen sein und das waren es auch. Oder waren sie so schlimm, dass du sie lieber nicht gesehen haben willst?", wollte er wissen und sein sanfter Blick von vorhin war einem Verständnislosen gewichen.

„Ich... du hast ja recht, aber das klingt alles so surreal. Überleg mal, das würde meine gesamte Erinnerung über den Haufen werfen", meinte ich leicht verzweifelt.

„Ja, würde es." Das war offenbar alles was Darryl dazu einfiel. Was sollte er auch sagen? Er hatte gut reden. Er erfuhr ja nicht, dass alles was er bisher geglaubt hatte eine Lüge war.

Geschlagen setzte ich mich neben ihn. „Ich glaube dir ja", brachte ich schließlich hervor. „Aber erklär mir eins, warum sollte er meine Erinnerungen löschen?"

„Weil er ein Problem mit unserer damaligen Beziehung hatte. Zudem hatte er gefürchtet, du würdest ihn hassen, nachdem wir das alles herausgefunden hatten." Darryls Stimme hatte einen seltsamen Ton angenommen. Er wirkte abwesend, als würde er in Vergangenheit schweben. Zwar wusste ich dank dem Traum, dass Darryl und ich früher ein Paar waren, aber der Gedanke schien mir immer noch fremd.

„Was hatten wir denn herausgefunden?", fragte ich vorsichtig nach.

Der Schwarzhaarige drehte langsam seinen Kopf zu mir. „Wie deine Mutter gestorben ist," antwortete er monoton.

Mir klappte die Kinnlade runter. Das wurde ja immer besser. „Und wie ist sie... gestorben?"

„Sie wurde von Ihnen getötet."

Meine Augen weiteten sich geschockt und ich zog scharf die Luft ein. Was kam denn bitte noch? Irgendwie hatte ich das Gefühl mich und mein Leben gar nicht gekannt zu haben. Darryl hatte es innerhalb kürzester Zeit durcheinandergebracht. Und die Antworten, die ich wollte, hatte mich nur noch mehr verwirrt.

„Aber wenn das Alles eine Lüge war... was ist dann alles in den letzten Jahren passiert?"

His Green EyesWhere stories live. Discover now