XI

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L U K E

Mein Kopf dröhnte unaufhörlich und irgendwie hatte ich fürchterliche Schmerzen im Nacken und Brustkorb. Was zum Geier war passiert?!

Genervt aufstöhnend öffnete ich die Augen. Das gelang mir nur nicht so einfach. Eine Weile blinzelte ich, doch ich sah nur Dunkelheit und mein Sichtfeld wollte einfach nicht klarer werden. Von weitem drang eine nervige Stimme zu mir hindurch, aber ihre Worte ergaben mich für mich keinen Sinn.

„Luke?" Wer war das? „Luke, komm schon! Wach auf."

Ich startete einen letzten Versuch und schaffte es tatsächlich meine Augen zu öffnen. Noch immer war meine Sicht unscharf. Irgendwie war ich eingeengt. Das Bewegen fiel mir schwer. Was war das? Ich drehte meinen Kopf, in der Hoffnung mich orientieren zu können.

Dann trat ein braunhaariger Junge in mein Sichtfeld. „Endlich, Gott sei Dank, du bist wach!", stieß er erleichtert aus und verwirrte mich damit noch mehr. „Hörst du mich, Luke?"

Angestrengt riss ich die Augen auf und konzentrierte mich auf meine Atmung, da ich merkte, wie die Ohnmacht wieder näherkam. Hören konnte ich den Typ, aber antworten konnte ich nicht. Als mein Kopf zur Seite sackte, erkannte ich auch, wo ich war. Ich saß immer noch im Auto und der Junge hatte die Beifahrertür geöffnet.

Besorgt musterte er mich und rüttelte sogar an meiner Schulter. „Luke?"

„Hm", brachte ich schließlich hervor und er schien mit einem Mal erleichtert.

„Gut, weißt du noch wie ich heiß?"

Nachdenklich kniff ich die Augen zusammen. „Ähm." Eingehend studierte ich sein Gesicht und dann kam alles wieder hoch. Die Erinnerung an den Unfall und die Autofahrt. „Ben?"

„Ein Glück!" Sein Atem ging wieder schneller und ich bemerkte erst jetzt, dass unsere Kleidung völlig nass war. Stimmt, es hatte ja geregnet, oder regnete noch? Keine Ahnung. „Ich versuche dich jetzt hier rauszuholen, okay?", fragte er und nachdem ich langsam nickte, begann er mir näher zu kommen. Zuerst schnallte er mich ab und anschließend hob er mich aus dem Auto.

Draußen wurde ich sofort von der Kälte gepackt und während mein Körper anfing unkontrolliert zu zittern, klapperte ich mit den Zähnen.

„Nicht wegdriften, wir sind gleich drinnen, dann ist es wärmer", versicherte er mir. Kurz stellte er mich ab und ich musste mich ans Auto lehnen. Ben währenddessen schloss die Tür und sperrte das Auto ab. „Kannst du laufen?"

Ich antwortete nicht. Also stützte er mich, wobei er mich mehr trug. Doch irgendwann wurde ihm das zu nervig, denn der Regen und die Kälte waren nicht angenehm und kurzerhand warf er mich einfach über seine Schulter und trug mich in seinem Tempo zur Haustür. Allerdings wurde mir durch diese Haltung plötzlich total schwindlig und mein Magen tanzte Samba, weswegen ich mühevoll, „Ben, ich muss... lass mich...", herausbrachte und ihm leicht gegen die Schulter schlug.

Dieser reagierte sofort und schien mich auch zu verstehen, denn er setzte mich eilig ab und trat gerade noch rechtzeitig einen Schritt zurück, bevor ich mich auf dem Gehweg erbrach. Damit verließ auch jegliche Energie meinen Körper und hätte mich mein Gegenüber nicht wieder mit nach oben gezogen, wäre ich vermutlich in meinem Erbrochenem gelandet.

„Man Luke, du gehörst eindeutig ins Krankenhaus!", meinte er zweifelnd und die Überforderung sprach deutlich aus ihm heraus.

Kraftlos schüttelte ich mit dem Kopf. „Nein."

„Doch!"

Gequält seufzte ich. Konnte er das Thema nicht einfach sein lassen? War doch klar, dass mein Magen rebellierte, wenn er mich auf einmal einfach kopfüber hielt!

Ben beließ es dabei und gab mir seine Schulter als Stütze, währenddessen versuchte er die Haustür aufzusperren. „Wir müssen leise sein, wenn meine Eltern hiervon erfahren oder dich sehen, bin ich tot!", erklärte er mahnend und anschließend betraten wir den Flur.

Das Licht machte er nicht an, wohl aus Angst, damit seinen Vater zu wecken, der anscheinend auf dem Sofa schlief. Irgendwie schafften wir es leise in den oberen Stock und Ben brachte mich in sein Zimmer.

„Falls meine Eltern dich morgen Früh sehen, dann sag ihnen einfach, dass du mit mir feiern warst."

„Und meine Verletzungen?"

„Kommen von einer Prügelei", entgegnete er. Vorsichtig setzte er mich auf seinen Schreibtischstuhl ab und ging zu seinem Schrank. „Aber sag nicht, dass ich schwarzgefahren bin! Wir haben einfach... ein Taxi genommen!"

Müde schüttelte ich mit dem Kopf.

Und während Ben frisches Bettzeug und Klamotten holte, kam mir plötzlich ein Gedanke. Ich war mit einem Wildfremden mitgefahren und war gerade kurz davor bei ihm zu schlafen, nur weil ich zu doof war, um ein Auto zu bemerken!

Ben war in der Zwischenzeit wieder verschwunden und als ich mich gerade von meinen nassen Sachen befreite und die neuen Klamotten anzog, hievte er eine weiße Matratze hinein. Diese legte er vor sein Bett und bezog sie ebenfalls, mit dem Kommentar, „Du schläfst im Bett!"

Mit wackeligen Beinen lief ich darauf zu. Allerdings verließen mich unterwegs die Kräfte und mich klatschte es der Länge nach hin. Zum Glück auf Bens Matratze und nicht auf den Boden. Grummelnd drehte ich mich auf den Rücken und blieb einfach liegen.

„Ich glaub ich find die Matratze schöner."

„Gut, dann schläfst du unten", murmelte Ben und verschwand wieder aus dem Zimmer. Ich war schon fast eingedöst als er frisch geduscht wiederkam und sich ins Bett legte. „Brauchst du noch was? Vielleicht ne Schmerztablette?"

„Nö."

„Dann gute Nacht, Luke!", antwortete er darauf und drehte mir den Rücken zu. Schon nach kurzer Zeit vernahm ich seinen regelmäßigen Atem und eine komische Stille legte sich über den Raum.

Vorhin noch wäre ich fast ein paar Mal ohnmächtig geworden und jetzt wollte mein Körper nicht einschlafen! Dennoch drehte sich alles und egal wie ich mich hinlegte, ich fühlte mich, als wäre ich auf einem Boot auf hoher See. Es schaukelte und obwohl ich ganz still lag war alles irgendwie in Bewegung. Ein scheiß Gefühl!

Die Schmerzen kamen schubweise und das Pochen in meinem Kopf wurde nicht weniger. Gäbe es doch einen Ausschalter!

Ich wollte nie, dass es so weit kam. Innerhalb weniger Stunden wurde meine kleine Welt durcheinandergebracht. Erst wurde ich eiskalt aus dem Stamm geworfen und verlor somit meine Sicherheit und Zukunftsperspektive, und als wäre das nicht schlimm genug, brach auch noch meine Familie an einem einzigen Tag auseinander. Alles wegen mir! Und Zain, der mich bis aufs Blut verteidigte hatte, hatte ich auch liegen gelassen.

Ob er mich suchen würde? Oder war er froh, die Last los zu sein?

Widerwillig kamen mir die Tränen. Jetzt, wo alles so still war, versuchte mein Kopf all das zu verarbeiten, was passiert war. Es war einfach alles zu viel. Eine kalte Hand griff nach meinem Herz und umklammerte es. Hinzu kam, dass ich keine Ahnung hatte, wie es morgen weitergehen sollte. Ich hatte keine Hoffnung, kein Ziel und fühlte mich so unendlich allein, was ja auch meine Schuld war. So in Gedanken bemerkte ich auch gar nicht, wie mein Gesicht nass wurde und ich mich still in den Schlaf weinte.

His Green EyesWhere stories live. Discover now