XVII

177 15 9
                                    

L U K E

Ben lief schweigend neben mir her, während wir zum Auto seiner Mutter liefen. Sie hatte uns hergefahren, damit wir mich für die Schule anmelden konnten. Meiner Meinung nach reine Zeitverschwendung. Ich konnte schon lesen und schreiben und alles andere würde ich wohl nicht brauchen.

Doch es war nicht so einfach jemanden mitten im Schuljahr anzumelden. Vor allem, wenn sich herausstellte, dass ich noch nie auf einer Schule war. Offiziell gab es mich ja nicht einmal. Papiere oder Dokumente hatte ich keine.

Aber Geld regierte die Welt.

Und eben das Geld von Bens reichen Eltern hatte dafür gesorgt, dass alles geregelt werden konnte und niemand nachfragen würde. Die Lehrer wussten Bescheid und meine Anmeldung war damit offiziell.

„Was war das vorhin eigentlich?", verlangte Ben mit vorwurfsvoller Stimme zu wissen, während wir die Straße überquerten.

Ich zog die Augenbrauen leicht zusammen. „Was meinst du?"

„Wie kommst du darauf, dass Laila meine Balzpartnerin wäre? Was ist das überhaupt?", stieß er aus.

Verständnislos sah ich ihn an. Bei uns im Stamm war sowieso vieles anders als hier in der modernen Welt. Das wusste ich schon am ersten Tag, als ich bei Ben übernachtet hatte. Doch mit jedem Tag mehr, wurde mir die Fülle an Unterschieden zwischen den Welten bewusster. Jetzt war ich sogar der Meinung, dass es nahezu unmöglich war, dass eine Menschengruppe sich vor dem Rest der Welt teils isolieren konnte. Hätte ich es nicht selbst erlebt, würde ich es höchstwahrscheinlich nicht glauben.

„Du hast mit ihr gesprochen und ihr saht vertraut aus", rechtfertigte ich mich und verstand sein Problem nicht.

Genervt seufzte er. „Deswegen bin ich doch noch lange nicht mit ihr zusammen!"

„Warum regt dich das überhaupt so auf?"

Ben sah kurz zum Auto seiner Mutter, um festzustellen, dass sie telefonierte und uns nicht hören konnte. „Zwischen mir und Laila ist in der Vergangenheit öfter mal was vorgefallen, aber das ist Geschichte." Eilig setzte er seinen Weg fort. Blieb dann aber dennoch stehen und meinte bestimmt, „Apropos Mädchen und Freunde. Mir müssen da sowieso nochmal reden. Keine Ahnung, wie das bei dir so damals war, aber hier kannst du solche Sachen nicht bringen."

„Bei uns lief das halt anders, da kann ich doch nichts für!"

„Ja, aber du musst dich anpassen, Luke", warf Ben sanfter als vorher ein, während er endlich beim Auto angekommen war. „Aber wenn wir schon mal dabei sind, wie war das denn bei euch so?"

Ich zuckte mit den Schultern. „Wir gehen feste Bindungen ein. Wir wechseln unsere Partner nicht, du tust das ja jede Woche. Außerdem müssen wir die Eltern um Erlaubnis fragen und vor dem Bund läuft nichts. Die meisten Mädchen wollen sich in dem Alter aber noch nicht binden und deshalb reagieren sie auf uns immer abweisend", erklärte ich und wollte weitersprechen, als Ben mir einfach ins Wort fiel.

„Dann bist du ja quasi noch Jungfrau?", rief er überrascht aus und einige auf dem Parkplatz sahen uns komisch an.

„Hä? Ich bin doch nen Junge?"

Ben lachte. „Alter, du hast was verpasst, Luke! Aber glaub mir, ich kenn die besten Leute und die besten Partys, da finden wir noch was für dich. Dann kannst du auch mal ran."

„Das ist aber abartig!", widersprach ich entschieden und machte die Autotür auf. „So oft will ich mich immerhin nicht binden."

„Das musst du dafür auch nicht", erklärte Ben überzeugt.

Doch für mich war das Thema erledigt. „Das ist aber unehrenhaft! Man macht das halt nicht. Es ist unnatürlich!"

„Gott, du bist ne Sache für sich, Luke!" Ben setzte sich neben mich, schnallte sich an und schüttelte entsetzt mit dem Kopf.

Es war nicht das erste Mal, dass wir nicht derselben Meinung waren. Unsere unterschiedliche Erziehung und Kultur sorgten für einige Differenzen. Nicht immer fanden wir dafür eine Lösung. Am Ende wurde das Thema dann einfach vergessen. Ganz egal, ob es dabei um Sex, Technik, Schule oder Freizeit ging.

„Und?", wollte Ida wissen, die gerade aufgelegt hatte.

Ben hob den Daumen. „Er ist angemeldet."

„Na super, hoffen wir mal, dass er am Gymnasium nicht untergeht", murmelte Ida, die schon immer daran zweifelte, dass ich meinen Abschluss schaffen würde. Der Unterricht im Clan war eben etwas anders und beinhaltete nicht so viel theoretisches Wissen. Bens Vater hingegen war der Ansicht, dass ein Schulabschluss mich aus dem Loch der Waldmenschen holen konnte. Für ihn waren wir zurückgeblieben.

„Das wird er schon nicht, immerhin helfe ich ihm", berichtete Ben stolz und klopfte mir auf den unteren Oberschenkel, weswegen ich ihn böse ansah.

Ida lachte. „Dafür musst du selber den Stoff begreifen."

„Tu ich doch", brummte der Braunhaarige beleidigt und lehnte sich gegen die Autotür.

Meinen Rippen ging es jedenfalls schon deutlich besser. Die Wochen voller Ruhe hatten mir gutgetan. Allerdings hatte ich fast jede Nacht Albträume und die Sehnsucht nach meinem Bruder wurde immer größer. Sprechen tat ich jedoch mit niemanden darüber. Sie würden mich eh nicht verstehen.

Was Bens Beziehungen betraf, oder wie er es nannte, One-Night-Stands, darüber konnte ich nur mit dem Kopf schütteln. Es war einfach unehrenhaft und ging in meinen Kopf nicht rein.

„Was gibt's nachher zu Essen?", fragte Ben irgendwann und seine Mutter sah genervt durch den Rückspiegel. Eine Antwort bekam er nicht. Wie so oft auf solche Fragen.

Ich hingegen wurde von Ida mehr als nur bevorzugt. Egal wie viel Geld es war. Ida schien es zu genießen mich zu verwöhnen. Als hätte sie ein zweites Baby bekommen, das sie bemuttern müsste. Das war zwar nicht immer angenehm, aber die Liebe, die sie mir entgegenbrachte, machte mir schmerzhaft immer wieder bewusst, wie sehr mich meine eigentliche Mutter nie geliebt hatte.

Bens Vater hingegen war nie Zuhause. Und wenn, dann sprach er selten mit mir. Seiner Frau zuliebe akzeptierte er mich, doch als Familienmitglied sah er mich nicht an. Verständlich. Ich war fast volljährig und fraß mich bei ihnen durch.

„Es kommen nachher noch ein paar Freunde zu mir, okay?", wollte Ben an seine Mutter gewandt wissen und ich verdrehte innerlich die Augen.

Bens Freunde waren sehr gewöhnungsbedürftig. Sie mochten mich nicht. Sahen mich als Außenseiter. Und der war ich auch. Ihre Anwesenheit bedeutete für mich also mal wieder, verschwinden und unsichtbar machen.

His Green EyesWhere stories live. Discover now