XLIV

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Doch er las sie nicht und kam auch nicht. Meine Hoffnung wurde mit jeder Minute, die ich durch den Wald rannte, kleiner. Konnte er nicht einmal auf sein Handy sehen?

Zugegeben, durch den ganzen Sport und die Bewegung der letzten Tage, war ich fitter und hatte mehr Ausdauer. So war ich dieses Mal schneller und hatte nicht gleich das Gefühl, an Sauerstoffmangel zu ersticken. Allerdings reichte es dennoch nicht aus, um meinem Verfolger abzuhängen. Seine Schritte kamen immer näher und er rief mir etwas Unverständliches hinterher. Sollte der doch mit sich selber reden!

Während ich rannte, bekam ich plötzlich starke Kopfschmerzen und schwarze Punkte tauchten vor meiner Sicht auf.

Doch ich konnte es mir nicht leisten langsamer zu rennen. Das ging nicht!

Die Kopfschmerzen wurden stärker und meine Sicht verschwamm. Doch es kam nicht so wie erwartet und ich fiel hin, sondern undeutliche Bilder blitzten vor meinem inneren Auge auf. Aber ich konnte sie nicht erkennen, da sie viel zu schnell wieder weg waren.

Dann auf einmal ein lauter Knall und ein stechender Schmerz. Sofort sackte ich in mich zusammen und keuchte auf. Ich war mittlerweile auf einer kleinen Lichtung, die Sonne schien grell auf das Gras und in dem Moment, als ich hinfiel, verlor ich auch meine Orientierung. Wo war ich? Hoffentlich nicht zu weit weg vom Lager. Als ich versuchte mich aufzurichten durchfuhr mich wieder dieser Schmerz und ich betrachtete skeptisch meinen Oberkörper.

Blut. Von einem Streifschuss.

Geschockt atmete ich zittrig ein und drückte meine Hand leicht auf meine Flanke. Der Stoff meines Oberteils war schnell mit der roten Flüssigkeit getränkt und ich rollte mich schützend zusammen. Die Beine zog ich an den Körper. Aber so aussichtslos es auch war, ich hatte Hoffnung.

Darryl hatte meine Nachricht nämlich gelesen, das bemerkte ich als ich auf mein Hany sah, was neben mir auf dem Boden lag und den Schuss hatte er mit Sicherheit auch gehört. Ich musste nur abwarten, ganz bestimmt!

„Du hast uns ganz schön Ärger verursacht, du kleines Miststück!", knurrte mein Verfolger mit rauer Stimme. Den hatte ich gar nicht bemerkt. Lässig stand er da und beobachtete mich. Wie immer konnte ich sein Gesicht nicht erkennen. Als er mich angeschossen hatte, sah er wohl keinen Grund dazu, sich zu beeilen. Warum auch? „Aber das hat ja jetzt ein Ende", meinte er selbstgefällig. „Ich weiß nur noch nicht, ob ich dich erschießen oder verbluten lassen soll?", sprach er weiter. 

Gut, dann hatte ich mehr Zeit!

Den Kopf drehte der Kapuzenträger zum Himmel und er lehnte sich unentschlossen an einen Baumstamm am Rande der Lichtung, um sich vor der brennenden Sonne zu schützen.

„Weißt du Laila, es ist unverzeihlich, dass Menschen gestorben sind." Er schüttelte den Kopf. „Nein warte, Menschen sind bedeutungslos. Ich meine, dass Menschen aus meinem Clan gestorben sind!", fauchte er.

„Was kann ich denn dafür?", fragte ich ihn.

„Du? Wahrscheinlich nichts! Aber in unserer Kultur ist es keine Seltenheit, dass Familienmitglieder die Schulden ihrer Verwandten bezahlen." Langsam stieß er sich vom Baum ab. „Tja, und dein Vater hat ziemlich viel Schulden." Geschmeidig machte er einige Schritte auf mich zu, so dass er in der Sonne stand. „Oder willst du etwa sagen, dass das hier ihm vergeben werden kann?", stellte nun er seine Frage und zog seine Kapuze runter.

Zum ersten Mal sah ich einen von Ihnen ins Gesicht. Und das war kein schöner Anblick.

Die linke Hälfte seines Gesichts war komplett verbrannt und vernarbt. Sein Auge auf dieser Seite war blass und blickte leblos ins Nichts. Zudem hatte er keine Haare und das ließ ihn noch hässlicher wirken.

Sein verbliebenes Auge war stahlblau und funkelte mich wütend und zugleich amüsiert an. „Sieht scheiße aus, oder? Das kannst du deinem Vater verdanken, er hat mir mein Auge genommen."

Angeekelt nickte ich, was ihn aber lachen ließ. 

Ich beschloss ein Gespräch aufzubauen, um Darryl mehr Zeit zu geben, aber ich merkte, wie mein Bewusstsein schwächer wurde. „Wie heißt du überhaupt?"

Jetzt blickte er verwirrt drein. „Das wird dir zwar nichts bringen, aber ich bin Tyl."

Benommen nickte ich wieder. Tyl, der Name passt gut zu ihm. 

Mein Blick wanderte zu seinem Mantel. Mit Sicherheit hatte er unter diesem Kampfkleidung und Waffen. Wie sollte er sonst damit kämpfen? „Warum tut ihr das? Warum bringt ihr unschuldige Leute um?", wollte ich nun mit zusammengebissenen Zähnen wissen.

Empört riss Tyl die Augen auf. „Unschuldig?!" Sein Auge brannte vor Wut. „Niemand von denen war unschuldig! Sie sind in unser Revier eingedrungen! Oder haben unsere Lebensweise bedroht. Für jeden hatten wir einen Grund, selbst wenn es nur zum Spaß war!"

„Was müsst ihr denn so dringend verteidigen?"

„Das sind Dinge, von denen verstehst du nichts", blaffte er zurück. „Geschäfte, die Milliarden einbringen, jenseits deiner Vorstellungen, Kleine." Genervt und frustriert seufzte er auf. „Das wird mir zu langweilig. Eigentlich hatte ich gehofft, Darryl könnte deinen Tod miterleben, aber daraus wird nun nichts", meckerte er und richtete seine Waffe wieder auf mich.

„Da hast du definitiv recht!", pflichtete Darryl ihm bei, der plötzlich hinter mir auftauchte und ebenfalls eine Waffe auf Tyl richtete.

Doch anstatt Angst zu haben, grinste Tyl bis über beide Ohren. „Du kommst ja doch noch rechtzeitig." Er warf einen Blick auf meine blutende Wunde. „Oder eben auch nicht, wie du es sehen willst. Ich bin da ja flexibel."

Darryl knurrte drohend und flüchtig warf er mir einen besorgten Blick zu. Doch schnell bekam Tyl wieder seine Aufmerksamkeit.

„Das muss nicht im Kampf enden, Tyl", versuchte der Schwarzhaarige den Mann mit dem Umhang zu beschwichtigen.

„Es wird aber im Kampf enden! Schließlich war es dir auch egal, als du mein Gesicht verbrannt hast", bekam er die garstige Antwort.

Mit großen Augen sah ich zu Tyl auf. Darryl hatte ihn so zugerichtet? Das konnte ich mir kaum vorstellen, aber als mir der Gedanke kam, dass er bereits getötet hatte, war der Gedanke gar nicht mehr so abschreckend.

Abgelenkt bekam ich gar nicht mit, wie Tyl sich auf Darryl stürzte und sie ins Gerangel kamen. Offenbar wollte er ein paar vergangene Sachen klären, denn beide verzichteten auf Schusswaffen. Stattdessen bevorzugte Darryl sein Messer und Tyl hielt einen Dolch in der Hand.

„Laila?", hörte ich plötzlich eine Stimme, die mich zusammenzucken ließ. 

Was machte er denn hier?! 

Schwach drehte ich meinen Kopf in seine Richtung. Mein Vater blickte mich besorgt und entgeistert an. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Auch er war bewaffnet, doch er schien Darryl im Kampf nicht helfen zu wollen. Als wolle er sich nicht einmischen. Lieber verband er meine Wunde und versuchte mich wach zu halten. 

„Laila? Komm schon Kleines, nicht schlafen!"

Doch die Schwärze hüllte mich immer mehr ein und mein Kopf sackte zur Seite. So konnte ich Tyl zusehen, wie er seinen Dolch ein oder zweimal über Darryls Gesicht zog. Dieser wusste sich aber zu verteidigen.

Das Letzte was ich hörte, war die Stimme meines Vaters und das Letzte was ich sah waren die Bilder von vorhin. Nur dieses Mal waren sie langsamer und deutlicher. Es waren aber keine Bilder, sondern Erinnerungen. Meine Erinnerungen. Sie kamen zurück! Doch ich konnte mich nicht darüber freuen, da ich bereits ohnmächtig war und alle Geräusche verstummt waren, sowie alle Bilder erloschen.

His Green EyesWhere stories live. Discover now