II

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L U K E

Erschrocken sah ich zu der Stelle, an der nun kleine Steine hinabrollten. „Was glaubt ihr, was ihr da tut?!", schrie eine fremde Stimme aufgebracht.

Meine Bewegungen waren sofort erstarrt. Gerne würde ich den Kopf drehen, um den Irren anzusehen, doch das ging leider nicht. „Wir wollten nur-", setzte Zain an, konnte aber nicht weiterreden.

„Ist mir egal! Du bleibst schön da, wo du bist!", fauchte der Fremde nun an mich gerichtet und ich unterdrückte ein wütendes Knurren. Als ich leicht nach oben sah, konnte ich erkennen, dass Zain ebenfalls nicht erfreut war. Und Kodi? Naja, der hatte Angst, wie eigentlich immer...

Mir blieb nichts anderes übrig, als an der Wand hängen zu bleiben, wobei meine Finger langsam schmerzten.

„Was mach ich jetzt mit euch?", murmelte er. Vielleicht einer der Mantelträger? Innerlich schlug ich mir mit der Hand gegen die Stirn. Klar, wer auch sonst? Bigfoot jedenfalls nicht.

Vorsichtshalber startete ich einen Versuch nach oben zu klettern, wurde jedoch bemerkt und er schoss erneut neben mich. Dieses Mal knapper. Etwas zu knapp! Ich konnte definitiv mit Waffen umgehen, hatte auch selber welche, aber ich schoss nicht wahllos auf Menschen! Der Schuss hätte fast meinen Unterarm getroffen, mit dem ich mich hochziehen wollte.

„Hören sie zu, wir wissen nicht wer sie sind und Luke wollte nur-"

Wieder wurde mein großer Bruder unterbrochen. „Das ist mir sowas von egal! Ich hab solche Bälger wie euch satt! Das ist unser Terrain und ihr kennt, trotz euren Alters, die Regeln!", spuckte er uns entgegen.

Das Nächste, was ich hörte, war eine sich lösende Sicherung einer Schusswaffe. Zain richtete nun ebenfalls eine seiner kleinen Vis auf den blöden Typ. Ein Geschenk unseres Vaters zu seiner Volljährigkeit. Ab da war es fast schon Tradition, dass man eine Waffe geschenkt bekam.

„Lassen sie ihn hochklettern und dann können wir die Angelegenheit friedlich regeln", schlug Zain vor, doch es klang mehr nach einer Forderung.

Obwohl unser Stamm die Kids trainierte und großen Wert darauf legte, dass alles gerecht zuging, so nahm er das mit dem Töten sehr ernst. Zain war in der Lage jemanden zur Strecke zu bringen und wenn es darum ging uns zu beschützen, dann zögerte er damit auch nicht. Schließlich hatte er die Aufsichtspflicht. Aber ich brauchte keinen Bodyguard! Ich hing doch bloß an einer steilen Wand mit einem vermeintlichen Psycho im Rücken, der mich mit einer Waffe bedroht. Das schaffte ich auch selbst! Nur Zain sah das anders. Und unsere Eltern. Und wahrscheinlich der ganze Stamm...

„Na schön", gab Mister Mystery nun von sich und Zain gab mir mit einem Nicken zu verstehen, dass ich hochkommen sollte. Sollte ich einfach aus Provokation hier unten bleiben?

Letzten Endes kletterte ich doch hoch und das freute meine Finger, die schrecklich weh taten. Meine Hände schüttelte ich erleichtert und anschließend warf ich zum ersten Mal einen Blick auf den Irren. Er trug, wie die anderen die wir kannten, einen dunklen Mantel mit Kapuze, nur seinen Hals und seinen Mund konnte man sehen. Seine schwarze Waffe hatte er permanent auf mich gerichtet.

Finster blickte er zu uns rüber und ich erwiderte feindselig seinen Blick.

„Ich bin der Meinung, dass jemand, für den Versuch hier einzudringen, bestraft werden sollte", meinte der Mann plötzlich mit einem schiefen Grinsen. Nicht nur ich spannte mich sichtlich an.

Zum ersten Mal erhob nun ich die Stimme. „Wofür bitte?! Ich bin nur die Schlucht hinuntergeklettert! Das ist doch nichts!"

„Der Teil der Schlucht gehört uns und ihr habt da unten nichts verloren!", belehrte er uns unnötigerweise.

Doch ich lernte bekanntermaßen nicht aus Fehlern und einsehen tat ich sie schon gleich gar nicht. „Dann haben sie da unten wohl etwas zu verbergen? Ich denke unser Oberhaupt würde sich Das gerne mal ansehen", provozierte ich ihn. Natürlich würde Joachim, unser Oberhaupt, niemals da runter gehen.

Er war viel zu vorsichtig und wollte auf keinen Fall Streit mit benachbarten Stämmen. Außerdem würde er mir nie glauben.

Zwar war unser Vater ein Stammesältester und gut mit Joachim befreundet, aber deswegen hatte ich trotzdem keinen hohen Stellenwert. Alle waren froh, wenn sie nicht die Verantwortung für mich hatten und weit weg von mir waren. Denn ich bedeutete Ärger!

„Kein Wort zu niemanden! Sonst schieß ich euch alle über den Haufen!", fauchte der Mantelträger aggressiv, was mich zum Lachen brachte. Der sollte sich mal therapieren lassen.

Sein Ausdruck wurde schlagartig dunkler. „Wobei, warum erst warten und etwas riskieren, wenn ich das Problem auch gleich beseitigen kann?" Seine Mundwinkel verzogen sich eklig. „Und mit dir fang ich an, Komiker!"

Ich konnte gar nicht so schnell schauen, wie er abdrückte und die Kugel auf mich zu sauste. Keine Ahnung, ob sie mich getroffen hätte, denn ich stand nicht mehr im Weg. Stattdessen schlug sie in einen Baum hinter mir ein. Zain hatte mich mit seinem rechten Arm beiseite geschupst und so stolperte ich überrascht zur Seite. Das feindliche Stammesmitglied begann wieder auf mich zu schießen, doch im Gegenzug zu vorhin traf er.

Nur nicht mich.

Kodi stand plötzlich vor mir und als die Kugel durch seinen Oberkörper ging sackte er zusammen. Sofort kniete ich mich zu ihm.

„Kodi? Kodi?!" Noch nie hatte ich solche Angst und echte Besorgnis hörte ich in meiner Stimme.

Ich bekam nur am Rande mit wie drei weitere Kugeln abgefeuert wurden und dann plötzlich alles still war. Nur ein kurzer Blick zur gegenüberliegenden Seite verriet mir, dass Zain wohl besser treffen konnte als der Kapuzenträger. Leblos lag er auf dem Boden und seine Waffe, die er vorhin noch in der rechten Hand gehalten hatte, fiel in die Schlucht.

Doch meine Aufmerksamkeit galt Kodi. Alles in meinem Inneren schrie, dass er tot war und dass ich nichts mehr tun konnte. Aber dennoch rüttelte ich an seiner Schulter und jammerte seinen Namen wie ein Schlosshund.

Das durfte einfach nicht wahr sein! Diese scheiß Gesichtsgrätsche! Wir hatten doch nichts gemacht!

Jemand war plötzlich an meiner Seite und versuchte mich von meinem kleinen Bruder wegzuziehen. Am Geruch und der Sanftheit der Berührung erkannte ich Zain. Doch das war mir egal.

Kodi war tot. tot!

Diese Worte wiederholten sich ständig und ich klopfte dem Kleinen auf die Brust in der Hoffnung, dass das etwas brachte. Doch nen scheiß brachte es. Die Augen blieben geschlossen und nichts regte sich!

„Luke", setzte Zain an, doch auch ich hörte den Schock und die Traurigkeit aus seiner Stimme heraus.

„Nein! Kodi ist tot und..." Halbherzig wandte ich mich aus seiner Umarmung und versuchte wieder zu Kodi zu gelangen. Dies schaffte ich auch. Ich tätschelte seine Wange, aber er reagierte nicht. Eigentlich wusste ich, wie ein Toter aussah. Nur wollte ich es nicht wahrhaben, dass wir eben wegen so einer dämlichen Aktion unseren Bruder verloren hatten. Sicher, die Clans waren stark verfeindet, aber das war kein Grund für so etwas!

Als es dann auch endlich in meinem Kopf ankam, dass es zu spät war, ließ ich die Schultern sacken und sah emotionslos zu dem Braunhaarigen vor mir, dessen Kleidung schon ganz blutig waren. Und wie ich ihn so ansah, schoss mir ein Gedanke in den Kopf, der sich für immer einbrannte.

Kodi war tot und es war meine Schuld.

His Green EyesWhere stories live. Discover now