XIV

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L U K E

Unruhig rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her. Weder Ben noch seine Mutter sagten etwas und das machte mich nervös. Zudem wusste ich noch immer nicht, ob ich die Wahrheit auspacken sollte oder nicht. Wie weit konnte ich sie einweihen?

„Aber was hast du denn dann die letzten Jahre gemacht?", fragte Ida fassungslos.

Unschlüssig zuckte ich mit den Schultern. „Ich wurde immer Zuhause unterrichtet."

„Das ist doch gar nicht erlaubt", stieß sie aus.

„Stimmt", schnaubte Ben. „Denn wenn es erlaubt wäre, dann würde ich mich nicht jeden Tag dahinschleppen."

Ida sah ihren Sohn strafend an. „Und was machst du dann nachts auf der Landstraße, Luke?"

„Ähm." Diese Frage haute mich echt aus den Latschen und egal wie schlagfertig ich sonst war, mein Gehirn schien leerer als jeder Luftballon. Diese hatte unser Vater mal zum Geburtstag mitgebracht. „Naja, ich bin..." Hilfesuchend sah ich zu Ben. Er war dabei und konnte es seiner Mutter vielleicht besser erklären.

Doch der Braunhaarige hatte einen anderen Plan. „Mum, ich muss mal kurz mit Luke allein sprechen", meinte er nur und schob mich anschließend in den Flur. „Was ist los?"

„Nichts."

Ben zog seine Augenbraue hoch. „Nichts?"

„Ja, nichts." Ich seufzte und raufte mir die Haare. „Okay, es ist doch etwas. Was soll ich ihr denn sagen? Die Wahrheit?"

„Was ist denn die Wahrheit?"

„Die Wahrheit ist, dass ich aus meinem Stamm geschmissen wurde und meinen Bruder im Wald zurückgelassen hab. Und als wäre der Tag nicht schon beschissen genug, wurde ich auch noch von einem Schwarzfahrer umgenietet!"

In Bens Gesicht tauchten lauter kleiner Fragezeichen auf. „Stamm?"

Ich nickte zaghaft. „Sowas wie eine Großfamilie."

„Und wieso wurdest du rausgeschmissen?", hakte er nach. Nur wollte ich ihm das nicht beantworten und schwieg lieber. Ben sah mich auffordernd an, allerdings würde ich ihm nichts weiter erzählen. Das sah dann auch er ein, weswegen er ungewöhnlich sanft fragte, „Also hast du im Moment kein Zuhause?" Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte nichts mehr. „Also gehst du auch nicht auf eine Schule, hast kein Dach übern Kopf und wenn ich dich einfach rausschmeißen würde, wärst du aufgeschmissen", fasste er zusammen.

Beleidigt blies ich die Backen auf. „So hilflos und lebensunfähig bin ich nun auch nicht."

„Das mein ich ja auch gar nicht", warf er besänftigend ein. „Also würde dich auch niemand vermissen."

Hart musste ich schlucken. „Nein." Niemand würde das. Das Stechen in meinem Brustkorb wurde größer und ich war mir sicher, dass dies nicht an den Rippen lag. „Mich gibt es theoretisch gar nicht."

„Was?! Wie soll das denn gehen?"

„Wir wurden nie gemeldet oder so. Unser Stamm zieht seine Kinder im Verborgenen groß und wenn sie erwachsen sind, bekommen sie eine falsche, beziehungsweise vorm Staat gültige Identität", erklärte ich. „Wir wurden nie an die Gesellschaft angepasst und kamen nie mit anderen in Berührung. Also meistens."

Ben schien das alles nicht glauben zu können. „Wozu das Alles?"

„Schutz. Unser Oberhaupt und die Ältesten meinten immer, dass die Welt außerhalb abtrünnig wär. Man würde uns schädliche Sachen spritzen. Impfungen oder so, keine Ahnung. Der Staat wär nicht gut und sie würden die Kinder wegnehmen, wenn sie von unserer Existenz wüssten."

„Krass", lachte er. „Wie kommen die darauf?"

Ich zuckte mit den Schultern. „Sie sprechen mit uns nicht darüber. Aber komplett falsch können sie ja nicht liegen."

„Hm, wie alt bist du denn?", fragte er mit seltsamem Unterton.

Misstrauisch musterte ich ihn. „17. Wieso?"

„Perfekt, genau wie ich. Du kannst mit auf meine Schule gehen und bei uns wohnen. Meine Eltern haben sicher nichts dagegen, sie sind eh nie da und mir ist dann nicht so langweilig", rief er begeistert aus.

„Also ende ich als dein persönliches Spielzeug?", entgegnete ich missmutig. Was man nicht alles für eine Unterkunft tat.

„Nein!", rief er lachend aus und klopfte mir auf die Schulter. „Ich will wahrscheinlich nur mein schlechtes Gewissen beruhigen, weil ich dich fast umgebracht habe und außerdem kann eine gute Tat im Leben nicht schaden."

Dennoch war ich nicht ganz überzeugt. Mir ging das Alles irgendwie zu schnell. Ich kannte Bens Familie nicht. Seine Mutter hatte ich nur kurz gesehen, seinen Vater gar nicht und ihn selbst kannte ich erst seit letzter Nacht. Zugegeben, er hatte mir bisher immer geholfen und ich hatte das Gefühl, ihm vertrauen zu können. Nur wollte ich nicht von ihm abhängig sein. Ich kannte die Gesellschaft generell nicht und wenn ich bei ihm wohnen würde, wäre ich in gewissermaßen abhängig.

„Luke? Ich wollte dich damit jetzt nicht überfordernd oder so", murmelte Ben überfordert. Mein Schweigen machte ihn erstaunlicherweise unsicher.

Ich grinste. „Beeindruckend wie schnell deine Stimmung wechseln kann."

„Da bin ich nicht der Einzige", antwortete er beleidigt und verschränkte die Arme hinterm Kopf. „Also was sagst du?"

„Keine Ahnung, wird deine Mutter das denn erlauben?"

Ben lachte. „Die hat dich doch schon längst ins Herz geschlossen."

„Meinst du?", fragte ich erstaunt.

„Aber natürlich, so wie sie dich angesehen hat. Am Ende hat sie dich lieber als mich", bekräftigte er. „Das wird schon, glaub mir."

Ich wollte ihm glauben. Das wollte ich wirklich. Nur fiel es mir nicht gerade einfach. Es ging nicht in meinen Kopf rein, dass seine Eltern mich einfach aufnehmen würden. Vor allem, wie sollten wir das der Schule und generell erklären? Wollten die mich etwa adoptieren, oder was?

„Habt ihr es dann langsam?", riss mich Idas Stimme aus meinen Gedanken und wir beide zuckten zusammen.

„Ja, naja...", Ben sah zu mir und dann zu seiner Mutter, „Ich glaub, wir müssen dir was erzählen."

Fragend sah sie ihren Sohn an und als wir dann wenig später in der Küche saßen, folgte das schrecklichste Gespräch meines Lebens. Bens Mutter stellte immer wieder Fragen und ich versuchte alle zu beantworten, ohne dabei zu viel zu verraten. Immerhin wollte ich meinen Stamm nicht in Schwierigkeiten bringen.

Das Ganze lief dann darauf hinaus, dass Ida mir wirklich helfen wollte. Nur musste sie erst mit ihrem Mann reden und mich besser kennenlernen. Da meine Rippen eh heilen musste, ehe ich wieder in die Schule gehen konnte, war das nahezu perfekt. Ob ich dann allerdings wirklich Bens Adoptivbruder werden würde, stand aber noch in den Sternen.

Mir ging das zu schnell und ich konnte mich mit dem Gedanken noch nicht anfreunden mich in eine fremde Familie zu nisten. Vielleicht war ihre Gastfreundschaft auch wirklich nur dem Unfall und Schuldgefühlen geschuldet, sowie die Angst vor einer Anzeige. Ich wusste es nicht. Die nächste Zeit würde es zeigen.

His Green EyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt