XXXVIII

625 30 54
                                    

Im Versammlungsraum waren viel weniger Leute als angenommen. Nur Mara, David, Molotov, Jessie und ein paar andere. Der blonde Trainingspartner von Darryl war auch nicht da. Als wir eintraten, sahen uns schon alle an und mir war das äußerst unangenehm, weswegen ich dichter zu Darryl rückte. Er strich mir beruhigend über den Unterarm und wir setzten uns mit an dem großen, hellen Holztisch.

„Also was machen wir jetzt? Auf Lailas Vater können wir nicht zählen und wir sind zu wenig und noch zu angeschlagen, um sie anzugreifen", startete Molotov das Gespräch und sah fragend in die Runde.

„Erstmal werden wir gar nichts machen. Ein Angriff wäre absolut hirnrissig. Wir erholen uns erstmal und verstärken unser Sicherheitssystem und füllen unsere Ressourcen und Waffen auf", erklärte Darryl.

„Außerdem sollten wir mehr Wachposten und Nachtwachen einführen", schlug Jessie vor.

„Und ein intensiveres Training wäre auch nicht schlecht", fügte Molotov hinzu, woraufhin David frustriert aufstöhnte.

Ich hielt mich wie so oft aus der Unterhaltung raus, hörte einfach nur zu und blickte immer mal jeden an.

Irgendwann hatten sie sich endlich geeinigt und jeder ging seiner Arbeit wieder nach. Aber war es wirklich so schlau, nichts zu tun? Sondern einfach nur abzuwarten? Angriff war doch die beste Verteidigung, oder nicht?

Den Mittag und Nachmittag gestaltete jeder anders. Ich für meinen Teil hatte die langweiligste Beschäftigung. Alle trainierten und erledigten Aufgaben für den Clan. Molotov zum Beispiel war mit Jessie bessere Waffen besorgen, keine Ahnung woher und Darryl war draußen im Wald mit David. Ihm ging es etwas besser und Mara meinte, er müsse an die frische Luft. Und ich, was tat ich? Ich machte meine Schulaufgaben!

Sara hatte sie mir vorhin geschickt und da ich, wenn es so ruhig blieb, wieder in die Schule gehen wollte, musste ich eben auch etwas dafür tun.

Als ich damit fertig war, war es bereits früher Abend und ich saß unten im Essenssaal. Darryl und die Anderen waren noch nicht da und ich wollte mit dem Essen warten, weswegen ich mich mit meinem Handy beschäftigte. Dann hörte ich Schritte und laute Stimmen. Kurz darauf betraten Jessie, David und Darryl den Raum.

„Na, hast du alles geschafft?", fragte Darryl neckend und setzte sich neben mich. Dabei legte er einen Arm um meine Schultern.

Ich nickte. „Ja, glaub schon."

David lachte. „Du glaubst es? Wie kommst du bitte zu solchen Noten mit so einer Einstellung?"

Ich zuckte mit den Schultern. Dann weiteten sich meine Augen. „Woher kennst du denn bitte meine Noten?!"

„Naja, sagen wir es mal so... wir haben dich etwas gestalkt als du keinen Kontakt zu uns hattest", antwortete er wahrheitsgemäß ohne jegliches Schuldgefühl.

„Ist das so?", fragte ich und sah Darryl prüfend an. Dieser sah erst beschwichtigend zu mir und zog mich anschließend auf seinen Schoß, wo er seinen Kopf in meinem Nacken vergrub, um mir keine Antwort geben zu müssen. Das betrachtete ich mit einem Schmunzeln auf den Lippen. Allerdings entging mir Jessies missbilligender Blick nicht. Offenbar hatte sie mich noch immer nicht akzeptiert.

„Das ist doch alles jetzt nicht wichtig, immerhin gibt es Essen!", rief David und lockerte die Stimmung.

So holten wir uns alle Maras Essen und saßen zusammen am Tisch, während die Zwillinge sich aufgeweckt miteinander unterhielten. Oder eher stritten. Was Molotov anging, der war nach Hause gegangen und würde heute nicht nochmal kommen. Darryl hingegen war komischerweise sehr ruhig und suchte stattdessen immer den Körperkontakt zu mir. Dies ließ ich nur allzu gerne zu, doch sein Essen wurde kalt, da er nicht mal daran dachte es anzurühren.

„Alles okay?", flüsterte ich ihm zu, während ich ihm über die Hand strich. Von ihm kam nur ein Nicken, was mich nicht sonderlich beruhigte.

„Darryl?", hakte ich nachdrücklich nach.

Geschlagen seufzte er. „Es ist alles in Ordnung, ich bin nur müde."

Mir blieb nichts anderes übrig, als zu akzeptieren, dass er jetzt nicht sprechen wollte. Also tat ich dies und fragte nicht weiter nach.

Nachdem alle fertig waren, räumten wir die Teller weg und jeder ging auf sein Zimmer. „Darryl, kann ich nochmal kurz mit dir reden?"

„Klar, was gibt's?", wollte der Schwarzhaarige wissen. David stand noch auf der Treppe und sah nun zögerlich zu mir, da er augenscheinlich allein mit seinem Ziehbruder sprechen wollte. „Laila gehst du schon mal vor?"

„Ja okay", gab ich nachgiebig von mir.

Das brachte mir einen dankbaren Blick des Braunhaarigen ein und ich konnte noch sehen, wie Darryl mit David runter ging und sie das Haus verließen. Wo wollten die denn jetzt noch hin? Es war fast dunkel. Schulterzuckend ging ich nach oben und betrat Darryls Zimmer. Dort warf ich mich erstmal aufs Bett, was so wunderbar nach ihm roch. Für einem Moment schloss ich die Augen und ließ die letzten Tage noch mal Revue passieren.

Verrückt, was alles in kürzester Zeit so geschehen konnte. Noch vor wenigen Tagen lag ich in genau diesem Bett und wusste gar nicht was abgeht. Darryl hatte mich in der Nacht vor Ihnen gerettet und jetzt war ich mit ihm zusammen.

Ich öffnete meine Augen wieder und stand auf. Vor dem Schlafen wollte ich noch einmal ins Bad. Denn wenn Darryl zurückkommt, wollte er sicher auch.

Doch auf dem Weg dorthin stolperte ich gegen den Schreibtisch, da es bereits dunkel war und ich kein Licht angemacht hatte. Fluchend hielt ich mir den Fuß, der schrecklich wehtat und funkelte den kleinen Schreibtisch böse an. Durch meine Aktion war einer der Papierstapel heruntergefallen, die wir von meinem Vater hatten. Wütend sammelte ich sie wieder ein, als mein Blick auf ein Blatt fiel, was mir sofort ins Auge stach. Es sah aus wie ein Brief und er hatte eine mir bekannte Schrift. Zudem fehlte der untere Teil.

Das war die obere Hälfte von dem Brief meiner Mutter! Mit vor Aufregung zitterten Fingern zog ich die andere Hälfte aus meiner Hosentasche und hielt beide Teile zusammen.

Hallo mein Schatz,

Es tut mir leid, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe. Ich hoffe, es geht Laila und dir gut? Jedenfalls habe ich neue Hinweise gefunden, wer für die Morde verantwortlich sein könnte. Malcom hat zugegeben, dass er der neuen Generation der Aksharas das Töten beibringt, auch an lebenden Opfern. Die toten Mitglieder, die wir von Ihnen gefunden haben, sind zum Teil von Malcoms Schülern als Trainingsobjekt getötet wurden.

Zudem gab es heute einen erneuten Mord am Morgen. Ich bin mir sicher, dass es Zusammenhänge gibt. Es war die selbe Waffe, die selbe Uhrzeit und die selbe Art und Weise. Das bedeutet wir hatten die ganze Zeit recht. Malcom Coyne ist nicht der, für den er sich ausgibt und die Aksharas könnten auch zum Problem werden. Wir brauchen nur noch handfeste Beweise und dann hat der Spuck endlich ein Ende. Vielleicht kann ich ja nächstes Wochenende zu euch kommen.

Bis bald, Annabella

Geschockt sah ich auf die schwarzen Zeilen und las sie mir immer wieder durch. Wenn das stimmte, was meine Mutter schrieb, dann hatte mich Darryl die ganze Zeit belogen und Sara hatte recht. Darryl war ein Mörder und nicht unschuldig an der ganzen Sache! Die Aksharas töten ihre Gegner genauso. Ob aus Rache oder Verteidigung war mir egal.

Ich musste sofort hier raus und mit Sara sprechen, hier fühlte ich mich nicht länger wohl. Wer wusste schon, was er mir noch alles verschwiegen hatte. War überhaupt das wahr, was er mir erzählt hatte? Er meinte immer nur, dass er trainieren würde zum Selbstschutz. Stattdessen hat sein Mentor ihm das Töten beigebracht und nicht nur ihm. Wahrscheinlich auch Molotov, Jessie, David und den Anderen.

Schnell schnappte ich mir meine Jacke und den Brief, dann stürmte ich aus dem Zimmer.

His Green EyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt