7. Kapitel: Freitag, 17. März 2000

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Viktoria

Viktoria erkannte den Mann vor sich kaum wieder. Natürlich wusste sie, dass es Harry Potter war. Aber das unbeschwerte Kind, dass sie während ihrer Schulzeit im Gryffindorturm gesehen hatte, war kaum noch zu erkennen. Das hieß, unbeschwert war Harry Potter wohl nie gewesen. Immer hatte er etwas an sich gehabt, dass Viktoria auch jetzt, fast neun Jahre später, noch nicht deuten konnte. Wahrscheinlich würde diese Sache für den Rest ihres Lebens ein Geheimnis bleiben, aber darum ging es nicht. Stattdessen studierte sie den Blick des Zauberers. Er war etwas erstaunt, schien sich aber nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. „Ja, tatsächlich erinnere ich mich noch viel zu gut daran...". Wenn Viktorias Worte eine Spitze gewesen waren, dann waren es Potters mit Sicherheit auch. Er klang eindeutig etwas bitter, auch wenn er versuchte es mit seinem geschäftigen Tonfall zu überdecken.

„Warum, warum musste es ausgerechnet sie treffen?". Jetzt war Viktoria wieder das naive Mädchen aus ihrer Kindheit. In ihren Erinnerungen gab es zwar sowas wie Angst, aber die war so dunkel, dass sie nie mehr als ein wages Gefühl wahrnehmen konnte. Das waren die Erinnerungen an den ersten Zaubererkrieg, bei dessen Beendung sie fast drei Jahre alt gewesen war. An die Erleichterung von damals konnte sie sich noch erinnern. Ebenso wie daran, dass die Stimmung auf eine für sie damals unerklärliche Weise umgeschlagen war. Jetzt war es ein wenig, als wäre sie wieder drei Jahre alt. Sie stand am Bett ihrer Schwester und fragte jemanden nach dem Sinn dieser Begegnung, der es ebenfalls nicht wissen konnte. In diesem Moment fühlte Viktoria sich einfach nur unfassbar müde, ausgezehrt und schrecklich hilflos.

„Das kann ich ihnen nicht sagen, aber ich kann ihnen sagen, dass ich alles tun werde um es herauszufinden". Die Stimme klang entschlossen. Entschlossener, als Viktoria sich fühlte. Ein kleiner Teil von ihr meinte, dass diese Worte nur leere Phrasen waren, die sie beruhigen sollten. Es war der selbe Teil, der dies auch bei Magdalena Telum geglaubt hatte. Viktoria nannte ihn ihren pessimistischen Teil. Er stammte aus der Zeit, in der sie gerade beim Tagespropheten angefangen hatte. Damals hatte sie auf die harte Tour gelernt, dass es manchmal falsch war, wenn Leute sie beruhigten.

Selbst, als sie in das ernste Gesicht von Harry Potter blickte, der nicht gerade für seine Lügenmärchen bekannt war, konnte sie diesen Teil von sich nicht übergehen. Viktoria seufzte und stand von dem Stuhl auf, der neben Resas Bett gestanden hatte. „Dann sollten sie wohl Fragen stellen...", sagte sie und ging im selben Moment in den Arbeitsmodus über. In ihrem Kopf begann sich das unrealistische Szenario zu regen, sie würde einfach nur ein Interview führen. Sie musterte ihren Gegenüber erneut und wie von selbst begann sich die Einleitung in ihrem Kopf zu formen. Viktoria musste zugeben, dass es kein schlechter Anfang für einen Artikel wäre. Aber es würde keinen Artikel geben und so konzentrierte sie sich stattdessen auf die Bewegungen von Harry Potter. Dieser holte eine schwarze Mappe aus seiner Tasche. Auf den ersten Blick sah sie so aus wie jede andere Mappe in einem Schreibwarengeschäft. Dann aber erkannte Viktoria das Logo des Ministeriums darauf und ihr wurde klar, was genau es mit der Mappe auf sich hatte. Währenddessen hatte Potter auch noch eine Feder und Tinte herausgeholt. Er schwang einmal seinen Zauberstab zu einem lautlosen Zauber und die Mappe klappte auf. Ein paar Seiten blätterten vorbei, bis sie schließlich auf eine leere Seite aufgeschlagen blieb. Daraufhin begann die Feder sich zu bewegen und schrieb eigenständig eine Überschrift auf das Blatt. „Wenn ich diesen Zauber in der Schule gekannt hätte...", musste Viktoria unweigerlich denken. Sie wandte den Blick von der selbstschreibenden Feder ab und dem Gesicht ihres Gesprächspartners zu. Zum ersten Mal an diesem Tag blieben ihre Augen dabei an der blitzförmigen Narbe hängen, die ihn berühmt gemacht hatte. Als Viktoria sich dabei ertappte wandte sie schnell den Blick ab und versuchte eine abwartende Miene aufzusetzen. „Was wollen sie nun wissen?", fragte sie und stellte dabei fest, dass ihre Stimme leicht zitterte. Sie wandte den Blick wieder zu ihrer Schwester, die immer noch regungslos in ihrem Bett lag. Keinerlei Kabel waren an sie angeschlossen, was für Viktoria wohl der größte Unterschied zu dem Krankenhaus war, in dem ihre Mutter seit sie denken konnte arbeitete. In der Zaubererwelt brauchte man keine Maschinen um Patienten am Leben zu halten. In der Zaubererwelt waren die Chancen ihrer Schwester wahrscheinlich wesentlich höher...

Ein Räuspern riss sie aus ihren Gedanken. „Können wir anfangen?", fragte der Zauberer. „Natürlich". Viktoria beeilte sich zu antworten und riss sich vom Anblick ihrer Schwester los. Harry Potter nickte. „Haben sie ihre Schwester gefunden?", fragte er. Es war eine leichte Frage, auch wenn sie noch der Grund für Vorwürfe sein könnte. „Nein, ich war noch bei der Arbeit, als ich die Nachricht erhielt", erwiderte Viktoria also. Wie zu erwarten schrieb die Feder jede ihrer Worte mit. Sie beschloss später nach dem Zauber zu fragen, schließlich würde er ihr sicher auch noch nützlich werden. „Und haben sie bereits mit einem Heiler oder einer Heilerin gesprochen?", machte Potter weiter. „Ja, ich bin einer Heilerin auf dem Flur begegnet. Sie meinte, dass Resas Chancen ganz gut stehen". Viktoria schluckte und war froh, dass der Auror direkt weitersprach: „Wir gehen aktuell von einem Angriff aus, können sie sich vorstellen wieso jemand ihre Schwester angreifen sollte?". Bei dem Wort Angriff wurde Viktorias Hand kurz zittrig. Dann fasste sie sich wieder. Sie war eine starke Frau, immer gewesen, sie würde das durchstehen. „Eigentlich gibt es keine Gründe meine Schwester zu verletzen", sagte sie. „Es sei denn, jemand wollte sich beispielsweise für die Arbeit meines Vaters rächen". Kurz war nur das Kratzen der Feder zu hören. Dann ergriff Viktoria erneut das Wort: „Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass sie in der Schlacht um Hogwarts gekämpft hat oder aber jemand hat etwas gegen ihre aktuelle Arbeit im Ministerium". Das Reden klärte Viktorias Gedanken etwas und half ihr so sich wieder besser zu fokussieren. „Oder es war irgendein Verrückter", schloss sie ihren Bericht.

Die Feder schrieb die letzten Worte.

Dann war es still im Raum.

Es wird besser werden - Die Wahrheit über die Ereignisse im Frühjahr 2000Where stories live. Discover now