5. Kapitel: Freitag, 17. März 2000

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Viktoria

Viktoria setzte endlich den letzten Punkt unter den Artikel. Sie hätte nie gedacht, dass ein Text über die Dicke von Kesselwänden so aufwändig sein konnte. Endlich war sie fertig geworden und konnte das Ganze weiter zum Einsetzen in die Zeitung geben. Vorher wollte sie sich allerdings noch einen Keks aus der metallenen Keksdose nehmen, die ihr ihre Eltern zu Weihnachten geschenkt hatten. Aktuell war sie allein in dem großen Raum. Ihre Kollegen waren entweder in einer Besprechung oder noch bei irgendwelchen Terminen. So konnte auch nur Viktoria den Patronus sehen, der sich in diesem Moment vor ihr materialisierte. Er hatte die Form einer Schwalbe und nicht die eines Dachses und doch war Viktoria einen Moment in ihren Erinnerungen gefangen:

Es war im Herbst des Jahres 1997, etwas weniger als drei Jahre her, als ein Patronus sich vor Viktoria materialisiert hatte. Er hatte sich damals an alle Mitglieder ihrer Redaktion gerichtet und doch war er auf Viktorias Schreibtisch erschienen. Sie waren aufgefordert worden in den Konferenzraum ein Stockwerk tiefer zu kommen. Dort hatten sie eine beispielslose Säuberungsaktion miterlebt. Die Todesser hatten klar gemacht, was sie von ihnen erwarteten. Danach hatten sie an Fabian Kernler, einem ihrer Kollegen aus der Redaktion für Gesellschaftsthemen, ein Exempel statuiert. Fabian hatte in seiner Kolumne weiterhin gegen die Todesser geschrieben und einige der wirklichen Geschehnisse thematisiert. Er hatte es relativ geschickt getan und doch war er aufgeflogen. An diesem Tag hatten die Todesser ihn erst mit dem Cruciatus-Fluch gefoltert und dann mit dem Todesfluch umgebracht. Seine Schreie und das Bild seines schmerzverzerrten Gesichtes ließen Viktoria noch heute aus dem Schlaf hochschrecken. Sie hatte Fabian gemocht und sie hatte um ihn getrauert. An jenem Tag hatte sie ihr persönliches Kriegstraumata bekommen.

Aber der Patronus hatte die Form einer Schwalbe und er sagte nicht, dass sie in den Konferenzraum kommen sollte. Das hieß allerdings nicht, dass die Nachricht irgendwie besser war: „Miss Fox, ihre Schwester wurde ins St. Mungos eingeliefert. Sie ist momentan nicht bei Bewusstsein, weswegen wir sie bitten würden direkt herzukommen". Schon löste sich die Schwalbe in Luft auf.

Viktoria merkte erst, dass die Zeit nicht stehen geblieben war, als die Keksdose aus ihrer Hand glitt. Mit einem lauten scheppern kam sie auf dem Boden auf, hob sich nochmal etwas an und drehte sich leicht. Dann blieb sie still liegen und hatte nicht einmal einen Kratzer abbekommen. Das Geräusch ließ Viktoria zusammenzucken. Sie schüttelte sich einmal kurz und hob dann die Dose wieder auf. Während sie sich aufrichtete kam der Praktikant, Theodor Fiord, wieder in ihr Blickfeld. „Was ist passiert?", fragte er und klang dabei, als sei er die Treppen hochgerannt. „Mir ist die Dose runtergefallen", beeilte sich Viktoria zu sagen. Der Praktikant schaute sie nur weiterhin prüfend an. „Geht es dir gut?", fragte er weiter und in seinen Augen lag etwas, was Viktoria nicht ganz verstehen konnte. Sie interpretierte es als Sorge. „Dringender Notfall, ich muss sofort nach Hause". Die Worte waren schneller aus ihrem Mund, als Viktoria denken konnte. Der Praktikant nickte jedoch nur verstehend. „Ich sage bei der Sitzung bescheid". In diesem Moment fielen Viktoria einige Steine vom Herzen. Sie hätte nicht gewusst, wie sie es geschafft hätte früher Schluss zu machen. Denn wenn sie eines wusste, dann das ihre Kollegen gerne auch mal bei Unfällen aus dem Umkreis der Redakteure nachforschten. Sie war Redakteurin geworden, weil sie sich so über die falsche Berichterstattung geärgert hatte und es besser machen wollte. So hatte sie auch kein großes Interesse an diesen Nachforschungen und eventuellen Artikeln. Ein Notfall Zuhause würde aber hoffentlich erstmal nicht genug Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Vor allem, wenn sie es vom Praktikanten erfuhren. „Danke", sagte sie. Der Praktikant lächelte nur. „Kein Problem, richte Grüße von mir aus". Wie in Trance nickte Viktoria, dann packte sie ihre Sachen zusammen. Die Aussage, dass sie Grüße ausrichten sollte, hinterfragte sie in ihrer Erleichterung nicht. Dabei kannte der Praktikant soweit sie wusste niemanden aus ihrer Familie.

Kurz darauf verließ sie die Redaktion.

Im St. Mungos wurde erstmal ein riesiger Aufwand betrieben, bevor sie zu Resa gelassen wurde. Sie musste dem Zauberer am Tresen erst dreimal versichern, dass sie mit ihr verwandt war. Danach durfte sie ihren Zauberstab identifizieren lassen um auch ganz sicher zu sein. Erst dann durfte sie in die Abteilung für Fluchschäden, wo ihre Schwester untergebracht war. Auf dem Korridor kam ihr eine Frau im grünen Kittel entgegen, die bereits ziemlich erschöpft aussah. Als sie Viktoria erblickte rang sie sich ein Lächeln ab, das aber ihre braunen Augen nicht erreichte. „Sind sie eine Angehörige?", fragte sie, als sie ungefähr auf derselben Höhe wie Viktoria war. „Ja". Viktoria nickte. „Mein Name ist Viktoria Fox, ich bin die Schwester von Theresia Fox". Bei dem Namen Theresia wurde das Gesicht der Heilerin noch ein wenig müder. „Ich bin Magdalena Telum und habe heute Nachtschicht. Ihre Schwester wurde gerade behandelt und liegt jetzt in einem magischen Koma. Wir haben alles getan, was wir konnten. Jetzt müssen wir hoffen, dass ihr Körper den Rest von allein macht". Magdalena sagte das Ganze schnell und mit professioneller Stimme. Trotzdem glänzten ihre Augen und Viktoria begann zu zittern, als sie die Worte hörte.
Nein, es war doch vorbei!
Sie sollte keine Angst mehr um ihre Familie, ihre Schwester, haben müssen. Es war alles gut!
Da spürte sie plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter. „Das hört sich schlimmer an als es ist. Wir gehen davon aus, dass der Fluch tödlich gewesen wäre, wäre nicht so schnell reagiert worden. Jetzt aber hat sie eine reale Chance". Zuerst dachte Viktoria, dass Magdalena das sicher nur sagte, um sie zu beruhigen. Dann aber meldete sich der Teil ihres Gehirns, der das unbedingt glauben wollte. Resa hatte eine reale Chance. Viktoria versuchte ein schwaches Lächeln, das man wohl eher als tapfer bezeichnen konnte. Magdalena sah sie daraufhin ermunternd an. „Wir haben in diesem Fall natürlich das Ministerium informiert. Wundern sie sich also nicht, falls heute Abend noch jemand vorbei kommt. Haben sie die restlichen Angehörigen informiert?". Viktoria nickte, während sie immer noch versuchte den Satz vollständig zu verstehen. Sie hatte ihre Mutter während der Arbeit angerufen, was nie so eine tolle Angelegenheit war. Diese hatte versprochen die restliche Familie zu informieren, damit Viktoria direkt ins Krankenhaus konnte. Das ließ Viktoria auch wieder auf den eigentlichen Grund ihres Besuches zurückkommen. „Kann ich nun zu meiner Schwester?", fragte sie und die Heilerin nickte. „Folgen sie mir..."

Es wird besser werden - Die Wahrheit über die Ereignisse im Frühjahr 2000Where stories live. Discover now