18. Kapitel: Samstag, 18. März 2000

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Viktoria

Sie wusste nicht genau, was daran so schlimm war, dass der Zauberer ihren Namen sagte. Der Zauberer, Daniel Wiel. Der Zauberer, mit dem ihre Schwester heute Abend verabredet gewesen war. „Ich bin ihre ältere Schwester", erklärte Viktoria leise. Sie war die ältere Schwester des Mädchens, dass gerade im St-Mungos lag und nicht wusste wie es weitergehen sollte. Sie standen sich so nahe und doch kam Viktoria sich ihrer Schwester gerade so fremd vor. „Das erklärt aber immer noch nicht, wieso sie mit mir reden müssen." Daniel schaute sie erwartungsvoll an. Viktoria hatte schon so viele Gespräche geführt, das gehörte zu ihrem Job. Sie hatte mehr oder weniger berühmte Personen interviewt und unangenehme Fragen gestellt. Aber das hier war schwerer als jedes Gespräch, das sie zuvor geführt hatte. Selbst schwerer als das Gespräch mit dem Heiler vorher. „Resa schickt mich, weil sie keine Eule hat und unsere Eltern nicht fragen wollte." Außerdem war es besser wenn sie es Daniel direkt sagte. Ein Brief konnte abgefangen werden. Daniel schaute enttäuscht, oh wahrscheinlich dachte er jetzt... „Sie liegt im Krankenhaus und kann deshalb nicht zu eurer Verabredung kommen." Die Worte waren schneller aus ihrem Mund als Viktoria denken konnte. Sie schlug sich die Hand vor den Mund und registrierte gleichzeitig, wie bestürzt Daniel aussah. „Was hat sie denn?" Fragte er in einem besorgten Tonfall. Ihm schien doch einiges an ihrer Schwester zu liegen. Das freute Viktoria, die beiden würden sicher ein schönes Paar abgeben. „Sie wurde bewusstlos vor ihrer Haustür gefunden. Für näheres fragst du sie am besten selbst." Jetzt sah der Zauberer richtig verlegen aus, während die Bedienung ihre Bestellungen brachte. Viktoria bedankte sich und wartete bis diese wieder weg war. Dann sah sie Daniel erwartungsvoll an. „Will sie denn überhaupt, dass ich die besuche?" Fragte dieser und Viktoria seufzte. „Ich glaube sie kann jede Unterstützung im Moment gut gebrauchen, aber sag ihr ja nicht, dass ich das gesagt habe." Sie nippte an ihrem Kaffee, Daniel hatte sich Tee bestellt, was Viktoria etwas verwundert hatte. „Ich kann wohl davon ausgehen, dass du diskret bist und nicht gleich mit jeder Information an die Presse gehst?" Es war schon verrückt, dass sie sowas sagte. Aber sie kannte die Berichterstattung in solchen Fällen. Das alles wurde immer enorm aufgebauscht und gefühlt tausend Leute wurden zu unrecht beschuldigt. Eigentlich war das der Grund, warum Viktoria Journalistin geworden war. Sie wollte anders schreiben, menschenwürdiger. Der Trubel, den die Bekanntmachung auslösen würde, war im Moment das letzte, was ihre Schwester und die ganze Familie brauchen konnte. „Natürlich, aber ist es denn so schlimm?" Daniel lehnte sich vor und Viktoria stiegen die Tränen in die Augen. Seit Resa ins Krankenhaus eingeliefert worden war, war sie nicht mehr zu Hause gewesen. Keinen Moment hatte sie für sich gehabt und so kam es, dass sie in dem kleinen Café die Nerven verlor. Sie fühlte sich in diesem Moment hilfloser als in der Zeit, in der die Todesser an der Macht gewesen waren und sie jeden Moment um das Leben aller Menschen, die ihr nahe Standen hatte bangen müssen. Damals hatten sie über das gesprochen, was passieren könnte. Es hatte einen Teil der Angst genommen, mit diesem Angriff hatte niemand gerechnet. „Es ist unbeschreiblich..." Flüsterte sie. Der Kaffee brannte auf ihren Lippen und schmeckte bitter. Sie spürte die heißen Tränen über ihre Wangen laufen.

Später kam sie dann doch in ihre Wohnung. Im Gegensatz zu Theresia wohnte sie allein in einer Wohnung, die schon seit Jahren ihrer Familie gehörte. So sah sie auch aus. Wie die Wohnung, die einer alten nicht ganz unangesehenen Familie gehörte. Hier war es stiller als in dem stickigen U-Bahn Tunnel und es war Stiller als im St-Mungos. Viktoria gehörte nicht zu den Menschen, die besonders still waren. Das war schon immer so gewesen. Trotzdem hatte sie nie Angst vor der Stille gehabt. Stille bedeutete, dass alles in Ordnung war, dass es heute friedlich bleiben würde. Stille bedeutete für sie, dass sie sicher Zuhause war, in dem alten stillen Haus in der Nähe von London. Während der Ära der Todesser hatte sich dieses Gefühl gewandelt. Stille bedeutete, dass gerade niemand schrie, dass niemand etwas von ihr wollte. Doch Stille bedeutete auch, dass sie hoffen musste. Hoffen, dass niemand ihre Familie ins Visier nahm. Hoffen, dass es irgendwann besser werden würde und es war besser geworden. Lange Zeit hatte auch Viktoria zu den Leuten gehört, die an einen echten Neuanfang geglaubt hatten. Den hatte es auch gegeben und trotzdem war nicht alles gut. Der Angriff war nur das letzte Indiz dafür. Seit Monaten schrieb Viktoria über kleinere Auffälligkeiten. Sie war bestens über wiederausspuckende Toiletten und singende Straßenlaternen informiert. Aber das war nur die Spitze des Eisberges. Es war in den Protesten gegen das neue Gesetz untergegangen aber auch die Anfeindungen gegen Muggel und Muggelstämmige hatten wieder zugenommen. Noch immer waren Todesser auf freiem Fuß. Viktoria hatte sich einige Artikel an die Wand ihres Wohnzimmers gehängt. Jetzt schauten sie verschiedene Hexen und Zauberer verwundert an. In dem Raum war es still. Stille bedeutete so viel und doch nur, dass sie alleine war. Im Gegensatz zu ihrer Schwester hatte Viktoria keine Mitbewohner, die sie finden könnten. Würde irgendjemand sie angreifen wäre es für sie knapp geworden. Aber es hatte ihre Schwester erwischt. Ihre Schwester, die vielleicht nie wieder ganz gesund werden würde. Ihre Schwester, die mit zwei weiteren Menschen in einer Wohnung mitten in London lebte. Viktoria stockte, als ihr klar wurde, dass dieser Anschlag nicht ihrer Familie gegolten haben konnte. Denn sowohl sie als auch Sophia, die jüngste der Schwestern, wäre ein einfacheres Ziel gewesen. Es hatte Theresia getroffen und lange würde sie es nicht mehr geheim halten können. Das dachte Viktoria sich, während sie sich erschöpft auf ihr Sofa fallen ließ. Ihre Gedanken wanderten zu diesem Daniel. Er schien echt nett zu sein, hatte nichts gesagt als sie die Fassung verloren hatte. Der Tag war anstrengend gewesen. Die Müdigkeit kam plötzlich. So plötzlich, dass Viktoria von ihr überrascht wurde. Sie glitt in einen unruhigen Schlaf, nicht ahnend was um sie herum passierte.

Es wird besser werden - Die Wahrheit über die Ereignisse im Frühjahr 2000Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt