Confused.

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Junes Sicht

Ich stand noch lange verdattert dort, der Parkplatz war längst leer und der leise fallende Schnee hatte bereits eine dünne Schicht auf meiner Jacke gebildet. Er war so nah bei mir gewesen, so dicht vor mir und sofort hätte ich wieder alles für ihn aufgegeben. Mir war kalt und ich sehnte mich nach einer heißen Dusche, doch ich hatte nicht das Gefühl das ich mich hier wegbewegen konnte. „June?“, ich wurde aus meiner starre gerissen. Tommy war in dickem Mantel und langen Schal vor mir stehen geblieben. „Alles in Ordnung mit dir“, zu seinen Füßen stand Puck und wedelte mit dem Schwanz. Der Mischlingsrüde war Pechschwarz, liebte es sich einzurollen und sah dann immer wie ein übergroßer Puck aus. Für den Eishockeyvernarrten Tommy war die Namenwahl deshalb Sonnenklar. „Nein alles in Ordnung. Ich wollte grade Heim gehen“, brachte ich schließlich hervor. „Dann können Puck und ich dich sicher begleiten wir wollten nach der Schicht in der Bar nur noch eine kleine Runde drehen“, ich zwang mir ein lächeln ab „Sicher.“

Ich wischte den Schnee von meiner Jacke und schon setzte sich unser kleines Trio in Bewegung. Es war nicht weit bis zu dem Haus in dem wir wohnten und so trennten sich unsere Wege bereits im ersten Stock von Hauseingang zwei, als Tommy mit Puck in seiner Wohnung verschwand. Ich lief die restlichen Treppen nach oben und als ich die Wohnungstür hinter mir geschlossen hatte merkte ich erst wie kalt mir wirklich gewesen war. Schnell beeilte ich mich die warme Dusche aus meinen Gedanken Wirklichkeit werden zu lassen.

Das warme Wasser prasselte auf mich nieder und schon waren meine Gedanken wieder bei Jonathan. Er ging mir einfach nicht mehr aus meinem Kopf. Ich erinnerte mich an unser zusammentreffen in der Bar. Ich erinnerte mich an seine Küsse und mir wurde sofort wieder heiß. Langsam ließ ich meine Hände an meinem Körper heruntergleiten, bis sie sich bald an meiner intimsten Stelle wiederfanden. Der Gedanke an seine Hände die über meinen Körper wanderten, ich stöhnte auf. Der Gedanke daran sein Gewicht auf mir zu spüren. Meine Hände bewegten sich immer schneller, geschickter. Der Gedanke wie er langsam in mich eindrang, seine rhythmischen Bewegungen. Ich musste mich an den Fliesen der Dusche abstützen. Der Gedanke wie seine Bewegungen immer schneller wurden und schließlich wie er sich an mich gekrallte hatte. Ich sackte erschöpft in der Dusche zusammen mein Atem ging schnell, während die letzten seichten Wellen der Orgasmus verebbten. Das Wasser prasselte immer noch warm auf mich nieder.

Als ich am nächsten Morgen im Zug nach Oakville saß, fühlte ich mich seltsam erleichtert. Meine Mutter hatte um eine Audienz bei Kaffee und Kuchen gebeten und ich hatte mich breitschlagen lassen. Schon jetzt wusste ich das sie mir wieder hunderttausend  Vorwürfe über mein Leben machen würde, dass sie mir sagen würde, dass ich in der Bar versauern würde und dann würde sie für meine Seele beten, die ich ihrer Meinung schon an den Teufel verkauft hatte, als ich mir mein erstes Tattoo stechen ließ. Wenn ich Glück hatte würde Pfarrer Jeffrey auch dort sein und sie würde wieder versuchen mich in ihre Gemeinde einzugliedern. Wenn sie nur wüsste was ich mit Jonathan getan hatte und mit anderen davor, sie würde sofort in Ohnmacht fallen. Ich schmunzelte bei dem Gedanken. All das wusste ich und trotzdem fühlte ich mich erleichtert.

Als der Zug in Oakville hielt sah das schon ganz anders aus. Ich war hier aufgewachsen zwischen Eigenheimen, perfekt gemähten Vorgärten und spießigen Nachbarn. Ich konnte dem Ort immer noch nichts abgewinnen, alles viel zu ruhig und alle waren hier viel zu leicht zu schocken. Als Archie das erste Mal einen Jungen unter der Tribüne des Footballfeldes geküsste hatte, wurde seine Familie übelst beschimpft, sie nannten ihn Teufelsbrut und wechselten die Straßenseite. Meine eigene Mutter verbot mir damals etwas mit meinem besten Freund zu unternehmen, allerdings war dieses Verbot nicht von Erfolg gekrönt. Ich ging den vertrauten Gehweg entlang und kam an dem ehemaligen Haus von Archie’s Eltern vorbei, als die Anfeindungen gegenüber ihrem schwulen Sohn immer heftiger wurden zogen sie weg, doch unsere Freundschaft war geblieben. Ich schmunzelte bei der Erinnerung, wie ich und Archie aufs Dach geklettert waren und damit den größten Feuerwehreinsatz auslösten den Oakville je gesehen hatte. Wir hatten von früh bis spät nur Dummheiten gemacht und als ich endlich alt genug war, konnte ich es gar nicht erwarten hier wegzukommen. Ich zog ins Studentenwohnheim, teilte mir ein Zimmer mit Archie. Doch nach dem Studium musste ich notgedrungen wieder nach Hause. Mein Vater war grade gestorben und ich schob Los Angeles auf. Es brauchte drei Jahre bis ich meinen Traum wieder aufnahm, womit wir wieder bei Heute wären.

Mom hatte bereits den Tisch gedeckt und wie erwartet war auch Pfarrer Jeffrey anwesend. Ich ließ mich an den Esstisch fallen und begutachtete das teure Geschirr, was meine Mutter nur zu speziellen Anlässen aus dem Schrank holte. Doch es war weder Weihnachten noch hatte ich irgendein Geburtstag vergessen. Ich starrte in die Runde, doch beide sahen auf ihre Teller. „Mom was ist los warum bin ich heute hier?“, stellte ich schließlich die Frage. „Also Schatz du wunderst dich sicher warum Pfarrer Jeffrey heute hier ist“, fing sie an. „Nein nicht wirklich“, fiel ich ihr ins Wort. „Also was ich sagen will…“, sie strich sich durch ihre Haare. „Nach dem tot deines Vaters habe ich viel Zeit in der Kirche verbracht und Pfarrer Jeffrey und ich sind uns nähergekommen“, ich musste kichern als mir klar wurde was sie sagen wollte. „Du willst mir also sagen du treibst es jetzt mit dem Pfarrer“, wie erwartet war das nicht die richtige Wortwahl für meine Mutter „June also bitte“, sie wurde ganz rot. „Was deine Mutter zu sagen versucht ist. Wir sind jetzt ein Paar“, schaltete sich auch Pfarrer Jeffrey ein. „Ich werde Sie jetzt aber nicht Dad nennen“, stellte ich sofort klar. „Das verlangt auch gar keiner, wir wollten es dir nur mitteilen und gemütlich einen Kaffee trinken“, meine Mutter hatte sich wieder gefangen. Ich wusste nicht was ich noch sagen sollte, also begann ich mein Stück Kuchen in mich hinein zu schaufeln.

Als ich am frühen Nachmittag den Zug zurück nach St. Louis nahm, war ich erleichtert endlich dieser Hölle auf Erden zu entkommen. Kaum war ich dem Pfarrer-Drama meiner Mutter entkommen, steckte ich schon wieder in meinem eigenen, als ich Jonathans Nummer in meinem Handy wiederfand und ohne drüber nachzudenken einfach die Nummer wählte.

Wir sind St.LouisWhere stories live. Discover now