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Julian Pov.

Erschöpft ließ ich mich auf das angrenzende Bett fallen, das mit rosa-rotem Licht beleuchtet war. Einige Minuten starrte ich an die Decke und verdaute, dass ein neuer Freund gerade mehr als 300$ für mich hingeblättert hatte. Für mich. In einem rot beleuchteten Raum. Auf einem Bett. Ohne Sex. Nur zum Reden.

Kurz schloss ich meine Augen, um Revue der letzten Monate geschehen zu lassen. Es war so vieles passiert, so viel, das ich mir niemals hätte erträumen können, zumindest bis vor einem Jahr. Dads Arbeit. Die Schulden. Der Brief. Die Arbeit. Meine Sexualität. Meine Schwester.

Ben Lewis.

Kaum war mir dieser Name in den Kopf geschossen, musste ich seufzen. Langsam begann ich daran zu zweifeln, dass er etwas mit dem Vorfall meiner Schwester zu tun hatte, wenngleich ich mich auch dafür schämte. Mag sein, dass er jetzt ganz nett wirkte, mich sogar nicht mehr dumm anmachte, doch waren Beweise nunmal Beweise gewesen. Ein Zeuge. Die Flasche mit den KO-Tropfen. All dies konnte ihn für schuldig erklären und trotz dessen wollte mein Kopf nicht akzeptieren, dass er so ein Mensch sein konnte. Ein Mensch, der sich an anderen verging. Ein Mensch, der Straftaten beging. Ein Mensch, der überhaupt an Drogen gelangte. Hasste er nicht Rauchen? Hatte ich ihn schon einmal im Umgang mit anderen Drogen außer Alkohol gesehen? Nein.

Das Schließen der Tür war im Raum zu vernehmen, da mein Kumpel den Riegel gedreht hatte, sodass uns keiner stören könnte oder würde.

"Über was denkst du nach?", wollte der Junge interessiert wissen. Zügig setzte ich mich auf und schlug mir leicht gegen die Wangen.

"Ach, über dumme Sachen", murmelte ich und sah den Grünäugigen an, der die wenigen Schritte zu mir ans Bett gelaufen kam. Dieser zuckte mit den Schultern und machte es sich genauso wie ich zuvor gemütlich auf dem Bett. War dies erledigt setzte er sich auf und schaute mich an.

"Und was machen wir jetzt?", hinterfragte er, weshalb ich zu grübeln anfing. Ich hob meine Hand ans Kinn und strich meinen nicht vorhandenen Bart, als Zeichen ich würde nachdenken. Er hieß Nelton. Er hatte grüne Augen. Er dealte schätzungsweise. Was wusste ich noch? Nichts.

"Uns besser kennenlernen?", schlug ich ihm daher vor. Kurz schien er abzuwägen, ob er es tun sollte oder nicht, ehe er nickte.

"Okay, fang an", befahl er und blickte mir auffordernd in die Augen.

"Wie alt bist du?", lang überlegen musste ich bei dieser Frage nicht, da ich mir diese bereits bei unserem ersten Aufeinandertreffen gestellt hatte.

"Ich bin 20. Kann ich denke mal sagen, da du auch nicht wie 21 aussiehst", behauptete er grinsend. Überrascht hoben sich meine Augenbrauen in die Höhe. Da schien er sich aber ziemlich sicher zu sein. Ich erwiderte sein Grinsen und schlug ihm sanft gegen die Schulter.

"Hey, was wäre, wenn ich einfach nur jung aussehen würde?", lachte ich. Nelton schüttelte darauf bloß den Kopf.

"Niemals, dafür siehst du echt viel zu sehr nach Teenager aus", erklärte er noch immer schmunzelnd. Meinem Chef ist's ja nicht aufgefallen. Geschlagen zuckte ich mit den Schultern.

"Mag sein. Und deine Frage?", wollte ich gespannt wissen.

"Stehst du auf Männer?", erwiderte er gelassen, als wäre es das normalste der Welt so etwas zu fragen. Überrumpelt verschluckte ich mich an meiner eigenen Spucke und litt zunächst an einem Hustanfall, ehe ich mich erneut in der Lage befand, antworten zu können. Ich räusperte mich, bevor ich dies tat.

"Ja, schon", meinte ich, "Aber Frauen sind auch voll okay."

Letzteres hatte ich hintendran gehängt, um zu verdeutlichen, dass ich nicht schwul, sondern bisexuell war. Denn für mich war dies noch immer ein gewaltiger Unterschied. Sobald ich mit meiner Frage dran war, stellte ich ihm dieselbe wie Nelton zuvor, worauf er gelassen nickte, aber den Kopf leicht wegdrehte.

"Früher wollte ich mir das nicht wirklich eingestehen, wegen meinem alten Herrn. Der hasst Schwule und nunja, so wurde ich dann auch erzogen", erläuterte er mit bitterem Gesichtsausdruck. Zum Glück ging es mir nicht so, doch kannte ich ähnliche Geschichten aus Fernsehsendungen oder Filmen. Meist wurden dessen Szenen nicht sonderlich nett dargestellt. Fast schon traumatisierend. Ich schluckte laut und legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter.

"Find ich gut, dass du drüber stehst, ehrlich", versuchte ich ihn daher aufzumuntern. Zwar war ich nicht sehr gut in solchen Dingen, doch war es tatsächlich viel wichtiger, dass ich es überhaupt probierte. Oder nicht?

Erneut nickte er. Ich hatte wohl einen wunden Punkt getroffen. Unsicher biss ich mir auf die Lippe.

"Ich denke wir lassen das mit den Fragen erstmal", meinte ich daher und widmete dem Braunhaarigen ein sanftes Lächeln. Dankend erwiderte er dieses. Schon bald übertönte die totale Stille, mit Ausnahme der dumpfen Musik aus dem Hauptzimmer, unsere lauten Gedankengänge und ließ mich unbehaglich fühlen. Ich hatte die Stimmung ruiniert. Ein leises Seufzen schlich sich aus meinem Mund.

"Tut mir Leid, ich wollte nicht –", begann ich bedrückt, doch wurde von einem Finger auf meinen Lippen unterbrochen.

"Wenn du's so sagst, geht's mir nur noch schlechter, weil ich das Fragespiel vorgeschlagen habe. Ist schon okay. Wir können auch einfach ganz normal reden", bot er an, sich den Nacken mit der Hand reibend. Als Antwort nickte ich.

"Deine Tabletten haben mir geholfen. Danke", behauptete ich daher, ihm meine Dankbarkeit mit einem weiteren Lächeln zeigend. Seine Hand landete in meinen Haaren, die er kaum später verwuschelte.

"Na, das freut mich. Wenn du noch was brauchst, lass es mich wissen", machte er das Angebot und ließ seine Hand von meinem Kopf auf meine Schulter gleiten. Kurz überlegte ich. Geholfen haben sie echt sehr. Soll ich fragen? Bloß zur Sicherheit!

"Hast du zufällig welche dabei?", hinterfragte ich neugierig und schaute den Jungen mit glänzenden Augen an. Ich war wirklich sehr wach gewesen, dank der Tabletten. Wenn ich sie einfach nehmen konnte, wenn ich fertig war, konnte ich das Geld locker bis Oktober in den Händen halten!

Doch leider schüttelte Nelton den Kopf. Enttäuscht ließ ich meinen sinken. War vielleicht auch besser so.

"Ich hab heute nur mein eigenes Zeug einstecken, bin privat hier", erklärte er schmunzelnd. Interessiert zog ich eine Augenbraue in die Höhe.

"Was denn?"

"Nichts für dich, Kleiner", antwortete er. Und obwohl seine Stimme mir eigentlich bedeutete, dass ich nicht weiter nachbohren sollte, wollte ich es wissen. Ich war schlichtweg zu neugierig geboren worden. Selbst als kleines Kind hatte mein Dad schon Probleme mich von Waschbären wegzuziehen, die sich zu uns an die Mülltonnen geschlichen hatten. Sie sahen nunmal ziemlich knuffig aus und zudem noch als wären sie aus dem Zoo ausgewandert. Natürlich wollte ich da einen anfassen. Im Endeffekt hatte er meinen Dad gebissen, da er in letzter Sekunde eingegriffen hatte und wir durften ins Krankenhaus und prüfen lassen, ob er sich nicht mit irgendetwas infiziert hatte. Zwar war alles gut gewesen, doch hatte Dad mir für einige Tage Hausarrest gegeben und mir kein einziges Mal das Essen gemacht, auf das ich Lust hatte.

"Ach komm! So jung bin ich nicht. Sag's mir ruhig", meinte ich daher und versuchte mein Bestes nicht wie ein kleines Kind zu klingen, das wissen möchte, was in einem Überraschungsei sein könnte. Nelton seufzte tief.

"Smileys und Gras. Nicht wirklich viel, aber das, was man für eine Party brauchen könnte", bedeutete der Ältere und schaute endlich wieder in meine Augen. Seit seiner Erzählung mit seinem Vater hatte er es nicht mehr gewagt mir ins Gesicht zu sehen. Er hatte sich anscheinend beruhigt oder zumindest vergessen, worüber wir zuvor gesprochen hatten, sodass er mir wieder ins Gesicht sehen und mich anlächeln konnte.

"Warum solltest du Gras mit zu einer Party nehmen? Da wird man doch total träge!", fragte ich sichtlich irritiert.

"Naja, da hast du vielleicht nicht unrecht..Aber es kann auch zur intensiveren Wahrnehmung beitragen. Außerdem lockert es ziemlich", erklärte er nun grinsend. Verstehend nickte ich und ein 'Ah' verließ meinen Mund. So hatte ich das noch nie gesehen. Tatsächlich kiffte ich schon einige Male mit Rick, doch hatte ich dabei nie auf solche Aspekte geachtet. Klar wusste ich, dass es entspannte, doch über eine intensivere Wahrnehmung hatte ich noch nie nachgedacht. Nun, da es angesprochen worden war, wollte ich mich vergewissern, dass er nicht log. Es interessierte mich. Mich und meine Neugierde.

"Kann ich vielleicht was vom Gras?"

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Done~

Romeo und.. - Julian?!Where stories live. Discover now