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Ich wachte mitten in der Nacht auf und sah auf den Wecker. 3 Uhr. Seufzend drehte ich mich um und merkte, dass Shawns Arm nicht mehr um mich lag. Ich drehte mich in seine Richtung um und blickte ihn im Dunkeln an. Ich konnte ihn nicht sehen, doch ich hörte seine harten, kurzen Atemzüge.
"Shawn?"
"Ja", murmelte er, worauf ich meinen Arm ausstreckte und seine Nachttischlampe anschaltete.
Als ich mich wieder zu Shawn umdrehte, starrte er an die Decke.
"Alles okay?"
Seine Atemzüge waren flach und seine Hand lag auf seiner Brust.
"Shawn?"
Ich legte meine Hand auf seine, worauf er leicht zusammenzuckte. Besorgt sah ich ihn an und legte meine Hand an seine Wange, die fast schon glühte. Schnell schlüpfte ich aus dem Bett und rannte ins Badezimmer, um einen Waschlappen mit kaltem Wasser zu befeuchten. Ich eilte zu Shawn zurück und kniete neben ihm auf die Matratze. Vorsichtig tupfte ich mit dem Waschlappen über seine schweißüberströmte Stirn. "Was ist los?"
"Ich pack das nicht, Lyra."
"Shawn", flüsterte ich und sah ihn besorgt an. Erst jetzt blickte er zu mir und seufzte.
Seine Atmung wurde wieder schneller, worauf er sich aufsetzte und gegen das Kopfteil des Betts lehnte.
"Hey, versuch langsam zu atmen, okay?"
Er nickte und blickte mich verzweifelt an. "Tut mir so leid."
"Wofür entschuldigst du dich?"
"Hierfür."
"Dafür solltest du dich nicht entschuldigen, Babe", erwiderte ich und lächelte ihn an. Seine Atmung wurde langsamer und seine Muskeln schienen sich langsam zu entspannen.
"Komm her", sagte Shawn, worauf ich mich auf seinen Schoß setzte, ein Bein auf beiden Seiten seiner Hüfte. Seine Hände lagen auf meinem unteren Rücken. "Danke."
Ich drückte ihm einen sanften Kuss auf die Lippen und fuhr durch seine lockigen Haare. "Du bist nervös vor morgen, oder?"
"Nervös? Ich sterbe fast vor Aufregung."
"Wovor hast du Angst?", fragte ich.
"Ich habe so viel in dieses Album gesteckt. So viel Arbeit und Geld und Liebe und was, wenn das morgen schiefgeht? Was, wenn ich total versage und die Leute mich hassen? Dann wird niemand mein Album kaufen und ich habe meine ganze Zeit  verschwendet, Lyra."
"Shawn", sagte ich lächelnd. "Es gibt gar kein Szenario, in dem du schlecht sein könntest. Du wurdest hierfür geboren und die Leute werden dich lieben. Und selbst wenn sie es nicht tun sollten, dann hast du mich. Und deine Eltern. Aaliyah. Ich liebe dich, Shawn. Und ich stehe hinter dir, was auch immer passiert."
"Ich liebe dich, Lyra."
"Und ich dich", erwiderte ich, als seine Hände sanft über meinen Rücken wanderten. "Du schaffst das, okay?"
Er atmete tief ein. "Okay."
"Und jetzt solltest du schlafen, du hast morgen einen großen Tag."
Er lächelte mich müde an, als ich mich wieder auf meine Seite des Betts legte und die Nachttischlampe ausschaltete. Er legte sich mir direkt gegenüber und ich legte meine Hand an seine Wange und streichelte sie leicht mit meinem Daumen. "Gute Nacht."

Der Tag verging wie im Fluge und schon waren Shawn und ich auf dem Weg zur Location. Die ganze Autofahrt redete er kaum. Ich wusste, wie nervös er war und dass er mich deshalb anschwieg, weshalb ich nur seine Hand hielt und mit meinem Daumen sanft über seinen Handrücken streichelte.
Sobald wir da waren, war totale Hektik angesagt. Shawn wurde gestylt, sein Manager redete fast ununterbrochen mit ihm und ich beobachtete alles von dem Sofa in seiner Umkleide aus.
Man hörte schon Lärm durch die Tür dringen, was hieß, dass sich die Halle füllte. Sie war vielleicht nicht groß, aber ich wusste, dass es für Shawn alles bedeutete. Ich war froh hier zu sein, um ihn bei diesem Schritt zu unterstützen, selbst wenn ich ihm die Angst nicht nehmen konnte. Er hatte es so weit gebracht und ich wusste, er würde es noch weiter bringen. Es begann alles hier und ich war bereit jeden Schritt des Weges mit ihm zu gehen.
Kurz bevor er die Bühne betrat, bekam ich dann doch noch die Chance mit ihm zu reden.
"Nervös?"
"Soll das ein Witz sein?"
"Du schaffst das, Shawn."
Er nickte nur schweigend und sein Manager klopfte ihm von hinten auf die Schulter. "Showtime!"
Shawn nickte erneut und blickte mich panisch an, worauf ich ihn küsste. "Du schaffst das. Geh jetzt da raus und zeig ihnen, wer du bist."
"Okay."
Shawns Band fing an zu spielen, bevor er Sekunden später die Bühne betrat und jubelnd begrüßt wurde. Er sprach ein paar Worte mit dem Publikum, bevor er begann seine Songs zu spielen. Ich beobachtete ihn mit einem Lächeln von der Seite der Bühne aus. Ich fragte mich, wie es sich anfühlte dort oben zu stehen. Jetzt konnte ich verstehen, warum er die Musik um keinen Preis aufgeben wollte.
Er spielte Gitarre, ließ sich von der Musik leiten und nahm einen kurzen Augenblick um mich anzulächeln. Ich schenkte ihm ein Lächeln zurück, worauf er sich wieder zur Masse umdrehte. Wenn ich ihn anblickte, dann war ich einfach glücklich und egal, wo wir waren, er würde immer ein Teil meiner Heimat sein. All die Jahre seit dem Tod meiner Familie hatte ich nach etwas gesucht. Nach etwas, woran ich mich festhalten konnte. Etwas oder jemand, der bleiben würde, mich für immer lieben würde. Und wenn ich ihn so ansah, dann wusste ich, dass er es war. Ich war nicht abhängig von ihm, aber ich war glücklich mit ihm. Bei ihm fühlte ich mich zu Hause, ich konnte einfach ich selbst sein und er akzeptierte es. Danach hatte ich gesucht. Nach ihm. Und nach mir. Als wir von der Brücke stürzten, war ein Teil von mir verloren gegangen. Ein Teil, den ich seitdem immer weiter gesucht hatte. Und jetzt, nach all der Zeit, nach der längsten Reise meines Lebens, fühlte ich mich endlich, als wäre ich angekommen.

Tides [german] Where stories live. Discover now