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Nachdem wir alle nach der Bescherung ein ausgiebiges Frühstück genossen hatten, hatte ich mich mit dem Plan, mein Zeug aus Shawns Zimmer zu holen, vom Esstisch entschuldigt. Müde, aber irgendwie doch glücklich über mein Geschenk und darüber, ein schönes Weihnachtsfest verbracht zu haben, stieg ich die Treppen hoch.
Ich betrat Shawns rechteckiges Zimmer und klaubte mein Handy von dem Beistelltisch des Betts, als die Tür aufging.
"Ein Notizbuch?", neckte mich Shawn und fuchtelte damit vor meiner Nase herum. "Wirklich Lyra, sehr kreativ."
Er schloss die Tür hinter sich und grinste mich spitzbübisch an.
Ich zuckte peinlich berührt mit den Achseln: "Ich dachte du kannst es brauchen... Du weißt schon, für Lyrics oder sowas."
Er lachte inbrünstig und kam einen Schritt näher. "Und was besseres ist dir wirklich nicht eingefallen?"
"Nein, Shawn. Wirklich nicht. Wenn es dir nicht gefällt, kannst du es mir gern wiedergeben", fauchte ich und drehte mich genervt weg.
"Hey, Lyra, das war nicht ernst gemeint!" Er trat nich näher zu mir und ich konnte bereits die Wärme und den Duft seines Parfüms wahrnehmen.
"Es ist ein schönes Geschenk, ehrlich", versicherte er mir und ich verkniff mir ein Lächeln.
"Das Tutu ist auch wunderschön, also danke. Wirklich", bedankte ich mich ebenfalls und wich seinen intensiven Blicken aus.
"Mhm", summte er, nahm mein Kinn in seine Hände und drückte seine warmen Lippen auf meine.
Aus dem einen, kurzen Kuss wurden schnell mehrere, drängende Küsse und kurz darauf warf er mich sanft auf sein Bett.
"Shawn, ich muss wirklich los", schaffte ich es zwischen zwei Küssen zu sagen.
"Nein, musst du nicht", widersprach er mir und begann meinen Hals zu liebkosen.
"Shawn", wiederholte ich mich und versuchte, ihn von mir herunter zu schieben.
Er ignorierte mich und als seine Hände begannen, die Haut unter meinem Shirt zu erkunden, wäre ich für einen Moment fast eingeknickt und geblieben. Doch dann drückte ich ihn endgültig weg von mir, strich mir durch das verwunschelte, braune Haar, richtete mein verrutschtes Shirt und stand vom Bett auf.
"Ich gehe jetzt", sagte ich bestimmt, während Shawn mich mit einem schmollenden Blick ansah.
"Ähm... Danke nochmal." Ich machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum.
"Danke für was genau eigentlich?", hörte ich Shawns provokante Stimme mir hinterherrufen, doch ich ignorierte sie.

"Danke Karen, für das Tutu und dass ich bleiben durfte! Es war wirklich schön mit euch", verabschiedete ich mich von Karen.
"Absolut kein Problem, Lyra, du weißt du bist hier immer Willkommen." Sie schenkte mir ein freundliches Lächeln, umarmte mich kurz und öffnete die Tür für mich. Ich winkte ihr zu und verließ das warme Haus. Die kalte Winterluft ließ mich frösteln.
Ich winkte auch Manny und Aaliyah, die mir durchs Wohnzimmerfenster dabei zusah, wie ich mich ins Auto setzte und den Motor startete. Von Shawn war keine Spur zu finden.

Als ich die Tür aufschloss und mir kein Geruch des Ofenfeuers und frisch gebackener Weihnachtskekse entgegen kam, überrollte mich eine Welle der Trauer. Vor allem an Weihnachten, dem Fest der Liebe, vermisste ich meine Familie ganz besonders. Ich weiß nicht, ob ich ohne die Mendes' ein tränenfreies Weihnachten hätte verbringen können. Ich rieb mir die müden Augen, entledigte mich meiner Jacke und zog mir in meinem Zimmer erstmal eine Jogginghose an.
Nachdem ich allen meinen Freunden und Nate frohe Weihnachten gewunschen hatte, blieb mein Blick bei Kaitlyns Kontakt hängen. Wir hatten genau genommen noch kein klärendes Gespräch nach unserem Streit gehabt. Trotzdem hatten wir geredet, nur war es eine Sache, die irgendwie noch zwischen uns stand. Ich verstand ihre Meinung, das tat ich wirklich. Zu was einem Mensch muss man werden, um seinen Freund zu betrügen? Doch sie musste auch mich irgendwie verstehen können, oder?
Ich beschloss, sie anzurufen.
"Hey", erklang ihre Stimme am anderen Ende der Leitung.
"Fröhliche Weihnachten Kaitlyn!"
"Dir auch!"
Es entstand eine Stille.
"Hör mal, ich muss nochmal mit dir reden", setzte ich an.
"Warte kurz", ich hörte sie etwas zu einer anderen Person sagen, ehe sie sich wieder bei mir meldete.
"Ich höre."
"Okay. Ich weiß ich hab Mist gebaut. Und ich rede nicht nur von dem Mist, von dem du weißt. Ich hab nochmal mit Shawn geschlafen, und bevor du wieder sauer wirst, hör mir bitte zu!" Ich legte eine kleine Pause ein, aber sie sagte nichts. "Ich bereue es. Natürlich bereue ich es. Und Nate verdient es nicht, betrogen zu werden, und dass ich ihn anlüge macht es nicht besser, aber versuch bitte zu verstehen, dass Shawn ein wichtiger Teil meines Lebens ist. Und das war er auch, als wir gar kein Kontakt hatten. Ich weiß, das es sich anhört wie eine billige Ausrede, aber du weißt ganz genau, was er mit mir durchgestanden hat. Er saß mit im Auto, Kaitlyn. Durch die ganzen Berührungen kamen Erinnerungen hoch, an die Zeit, die wir damals hatten. Und ja, ein paar Monate sind nicht lang, aber er ist nunmal mein bester Freund. Und es war so leicht, einfach nachzugeben und einzuknicken."
"Aber das Leben ist nunmal nicht leicht, Lyra", erwiderte sie vorwurfsvoll.
"Ich weiß, ich habe eine Fehler gemacht. Einen verdammt großen. Aber ich kann es nicht rückgängig machen und ich will wenigstens, dass wir uns wieder vertragen. Und außerdem, bräuchte ich deine Meinung. Was soll ich tun?"
Sie seufzte laut hörbar. "Sag es Nate. Okay, du hattest Sex mit Shawn. Fehler, definitiv ein Fehler, du weißt ich halte nicht viel davon, was damals passiert ist und wie er sich verhalten hat. Aber es ist nicht mehr rückgängig zu machen. Also, was du tun solltest? Sag es Nate, brich mit Shawn den Kontakt ab, und bete zu Gott, dass Nate dir das irgendwie verzeiht. Er ist vielleicht nicht der Mann fürs restliche Leben, aber er ist definitiv der richtige Mann für jetzt. Er. Und nicht Shawn, verstanden?"
"Ja, ich weiß, dass es so besser ist, ich hab nur jemanden gebraucht, der mir das nochmal einbläut, bevor die Zweifel in mir zu groß werden."
"Da wird nichts gezweifelt", kommandierte sie, nun lachend.
"Niemals, Sir", spielte ich mit.
"Hey, Lyra."
"Mhm?"
"Schön, dass wir das geklärt haben."

Tides [german] Where stories live. Discover now