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"Okay, okay", beruhigte ich Nate lachend, der mir nun schon zum gefühlt 10. Mal sagte, ich solle sein Shirt, das er hier vergessen hatte, mitbringen.
"Perfekt, danke",erwiderte er am anderen Ende der Leitung. "Wie weit bist du mit packen?"
Mein Blick fiel auf den Koffer, der so gut wie fertig eingeräumt war. "Fast fertig. Und hättest du mich nicht angerufen, wäre ich schon längst fertig und könnte schon schlafen. Du weißt, ich muss morgen früh raus." Ein gespielt vorwurfsvoller Unterton schwang in meiner Stimme mit. 
"Also ich kann ja morgen ausschlafen", neckte mich Nate und ich verdrehte die Augen.
"Ja, ja."
"Okay Baby, dann lass ich dich jetzt mal zu Ende packen." "Danke", erwiderte ich lächelnd. "Schlaf gut." "Ja, du auch Nate."
"Ich liebe dich."
Es dauerte einen Moment, bis ich die drei Worte zurück sagen konnte. "Ich liebe dich auch", stammelte ich, bevor ich auflegte. Soviel mir auch an Shawn lag, war ich froh, bald wieder von ihm weit genug entfernt zu sein, um ihn zu vergessen.
Seufzend faltete ich einen meiner Pullis zusammen und legte ihn sorgfältig in den Koffer. Nachdem ich auch den Rest meiner Sachen gepackt  und mich geduscht hatte, legte ich mich müde ins Bett. Ich checkte noch kurz, ob ich neue Nachrichten hatte, ehe ich mein Handy aus der Hand legte und ich in mein Kissen kuschelte. Kaum hatte ich die Augen geschlossen, begann mein Handy jedoch zu klingeln und ich richtete mich verwirrt auf. Wer rief mich jetzt noch an?
"Hey. Was gibt's?", begrüßte ich den Störenfried lächelnd.
"Naja... Ich hab nichts zu tun und da du morgen gehst, dachte ich, wir könnten uns nochmal treffen", schlug Shawn vor.
Meine Hand tastete sich im Dunkeln zum Lichtschalter und der Raum wurde auf einmal wieder hell erleuchtet. Ich gab ein  unentschlossenes Geräusch von mir. "Ich war eigentlich schon im Bett, ich muss morgen ziemlich früh aufstehen", erklärte ich.
"Komm schon! Wir müssen nichts anstrengendes machen und du darfst auch wieder gehen, wenn du müde wirst", drängte er.
"Ich weiß nicht." Es war nicht nur die Tatsache, dass ich früh aufstehen musste, sondern auch der Fakt, dass ich bei der Sache kein gutes Gefühl hatte. Auch wenn jede Faser meines Körpers zu Shawn wollte.
"Bitte", flehte er und zog dabei das "i" in die Länge.
In meinem Kopf fand eine Debatte mit mir selbst statt und auch wenn es eindeutig besser gewesen wäre, einfach zu schlafen, sagte ich folgendes: "Na schön. Ich bin in 20 Minuten da."
"Ich freue mich."
"Ja, bis gleich." Ich legte auf und erhob mich, um mir etwas anderes anzuziehen. Bevor ich das Haus verließ, sah ich mir im Spiegel in die Augen. Kein Grund zur Panik. Shawn weiß, dass du mit Nate zusammen bist und er hat sich für den Fast-Kuss ehrlich entschuldigt. Wir sind immerhin nur Freunde....oder?
Ich schüttelte den Kopf. Natürlich sind wir nur Freunde.

"Oh! Hallo, Lyra",begrüßte mich Karen, offensichtlich verwirrt. Wir umarmten uns kurz.
"Was tust du hier?"
"Ich fahre morgen wieder zur Uni und Shawn und ich treffen uns noch spontan, bevor ich weg bin."
Ich lächelte sie freundlich an und folgte ihr ins Haus. "Es freut mich, dass du dich wieder mit Shawn verstehst. Sowas würde nicht jeder verzeihen."
Ich zuckte mit den Schultern. "Du weißt, er hat mir durch eine schwere Zeit geholfen. Und gegen einen guten Freund, kann ich eigentlich nichts einwenden."
Sie nickte verständnisvoll. "Er müsste oben in seinem Zimmer sein."
"Ja, danke."
Ich grüßte Manny, der im Wohnzimmer saß und lief dann die Treppen hoch zu Shawns Zimmer.
Es dauerte keine 2 Sekunden, nachdem ich an Shawns Tür geklopft hatte, ehe er sie für mich öffnete.
"Hey", sagte er mit strahlendem Lächeln und zog mich in eine Umarmung.
"Hey."
Ich war schon lang nicht mehr in diesem Zimmer gewesen, es hatte sich jedoch sogut wie nichts verändert. "Setz dich ruhig aufs Bett", bot er mir an, fuhr sich durchs Haar und nahm dann auch auf dem Bett Platz. Hier allein mit Shawn zu sein, rief nicht nur eine ganze Reihe an Erinnerungen hoch, es fühlte sich außerdem an, als wäre ich wieder in der Highschool und würde hier mit meinem ersten Schwarm sitzen. Dementsprechend füllte Stille den Raum. Shawn musterte mich mit intensivem Blick und ich rutschte unbehaglich auf meinem Platz herum. "Tut mir Leid, dass ich so aussehe. Ich hatte schon meinen Schlafanzug an und wollte mich nicht wieder in irgendeine enge Jeans zwängen", kommentierte ich mein Aussehen.
"Nein, du siehst sehr gut aus, wie immer", erwiderte er. Es war jedoch nicht als Anmache gemeint, sondern wirklich ernst.
"Danke."
Die Situation war wirklich unangenehm und auch wenn mich Shawns vertrauter Geruch einlullte und ich die Wärme seinen Körpers pulsieren spürte, wünschte ich mir ich wäre nicht gekommen.
"Okay, wieso bin ich hier Shawn?", platzte es aus mir heraus.
"Ich wollte dich einfach nochmal sehen. Ich wusste nicht, dass die Stimmung so angespannt sein würde. Es war ja sonst auch nie so." Er ließ sich seufzend auf seinen Rücken fallen.
"Ja, tut mir Leid", gab ich zur Antwort und legte mich neben ihn.
"Es wäre schön, wenn es wieder wie in den alten Zeiten wäre."
Seine Augen suchten meine. "Ja."
"Ich meine, einen guten Freund zu haben, der weiß was ich durchgemacht habe und mir durchgeholfen hat, du weißt schon", korrigierte ich mich selbst, da meine Worte nicht nach dem geklungen hatten, was ich sagen wollte.
"Ich weiß, was du meinst Lyra, keine Sorge. Aber die Zeit war trotzdem schön, musst du zugeben", neckte er mich und wackelte mit den Augenbrauen.
"Ja", antwortete ich lachend.
"Ja", murmelte er und unsere Blicke trafen sich wieder.
Seine Hand berührte sanft meine Wange. "Wunderschön."
Im nächsten Moment lagen seine Lippen auf meinen. Es war so schnell gegangen, dass ich zu perplex war, um den Kuss zurückzugeben. Und selbst als ich realisiert hatte, was gerade passiert war, hielt ich Shawn nicht davon ab.
Er zog mich an meiner Hüfte zu sich. Ihn zu küssen hatte etwas so vertrautes, dass es sich anfühlte, als würde ich nach einer langen Reise nach Hause kommen. Der Kuss wurde immer drängender. Meine Hände wanderten durch Shawns lockiges Haar während seine längst nicht mehr nur auf meiner Hüfte lagen. Unsere Körper waren so aneinander gepresst, dass kein Blatt Papier mehr zwischen uns passen würde. Seine Lippen fanden meinen Hals. "Shawn", stöhnte ich. Ich spürte sein Lächeln an meinem Hals.
"Und du willst das?", fragte er mit glitzernden Augen. Ein kleiner Teil meines Gehirns konnte noch klar genug denken, um an Nate zu denken, und dass ich das definitiv nicht tun sollte. Shawns Lippen streiften meine und seine Hände fanden den Weg zu meinen Brüsten. Spätestens jetzt schob ich jeden Gedanken an Nate weg.
"Ja", hauchte ich. "Ich will das."

Mein Handywecker klingelte um Punkt 6.
"Mist", fluchte ich leise. Vorsichtig befreite ich mich aus Shawns Armen und stellte den Wecker ab. Shawn schlief glücklicherweise immernich tief und fest. Erinnerungen an den gestrigen Abend flutete mein Gedächtnis und ich sammelte schnell meine Klamotten von Boden auf und warf sie mir über. Ich wusste noch nicht ganz, wie ich auf das Passierte reagieren sollte, aber ich wusste, dass ich hier weg musste. Ich schlich mich so leise es ging aus dem Haus und fuhr nach Hause, um mich kurz frisch zu machen und meinen Koffer zu holen.
Ich verdrängte meine Gedanken und versuchte mich auf andere Dinge zu konzentrieren. Als ich endlich alles hatte, stieg ich zurück ins Auto. Es tat mir Leid, Shawn so zurückzulassen, aber es hätte keine andere Möglichkeit gegeben. Frustriert zog ich mein Handy aus meiner Hosentasche und begann zu tippen.

Lyra
Hey, Shawn. Was gestern passiert ist, war ein Fehler und wird auch nicht nochmal vorkommem. Es war eine einmalige Sache. Wir haben beide nicht nachgedacht. Was auch immer zwischen uns ist, ist vorbei und ich denke wir sollten uns nicht wiedersehen. Das wäre das Beste für alle.  xo Lyra

Tides [german] Where stories live. Discover now